überlegenen Rasse deklarierte. Nein, diese Bilder stellten detailgetreu eine in
ihren Ursprüngen erotische tierische Natur dar. Die Körper der Frauen auf
den Karten boten sich dem Blick des italienischen Mannes auf eine Art dar,
die seine wesenseigene Überlegenheit anerkannte sowie seine Aufgabe, sie zu
zähmen. Der afrikanische Kontinent war eine Frau, jede afrikanische Frau
war ein Kontinent, der kolonialisiert werden musste. Ihre nackten Brüste
waren klein und schwarz, ihre sich öffnenden Schenkel bargen tiefdunkle
Geheimnisse. Kurz gesagt, sie waren Negerinnen.
Attilio saß in dem kleinen Puff von Lugo und betrachtete die Postkarten,
während ihm das Blut ins Geschlecht lief. Wie die anderen Kunden, wie die
Puffmutter, die sie verteilte, fand auch er, dass es sich um unanständige
Abbildungen handelte, nur eben etwas exotischer als sonst. Eingetaucht in
den muffigen Geruch der Nutten verstand er nicht, was sie wirklich waren.
Merkte nicht, was er da in der Hand hielt: Das Bild eines schwarzhäutigen
Mädchens mit nichts am Leib als einer Halskette, die spitzen Brüste über dem
konvexen Bauch hervorspringend, war keine Pornografie. Es war
Kriegspropaganda.
Der Duce bereitete den Abessinien-Feldzug vor und wollte nicht über den
Pazifismus stolpern, den der Erste Weltkrieg mit sich gebracht hatte. Der
jubelnden Menge unter dem Balkon auf der Piazza Venezia, den Familien,
die in der Küche um das Radio versammelt waren, und jedem, der es hören
wollte (und das waren alle Italiener), hatte er versprochen, sie aus drei
Gründen nach Äthiopien zu führen: um die Niederlage von Adua zu rächen,
um das imperiale Heldenepos wiederzuerwecken, um jedem von ihnen einen
Platz an der Sonne zu schenken, an jenem »blühenden Ufer, der Schatztruhe
purer Fülle«. Klar war ihm aber auch, dass er der Jugend, die als erste zu
überzeugen war, besser nicht mit Waffen und Tod kam, sondern bei ihr auf
einen stärkeren Trieb setzen musste: den Sex. Die künftigen Soldaten des
neugeborenen Römischen Imperiums steckten mit ihrer Männlichkeit im
dreifachen Zangengriff – dem der Mütter mit dem Heiligenschein aus
Müdigkeit und Opferbereitschaft, dem der tristen mechanischen Freuden der
Dirnen und dem der bis zur Hochzeit unerreichbaren Körper der
gleichaltrigen jungen Mädchen. Als die heimatlichen Bordelle von den
Bildern äthiopischer Frauen überflutet wurden, reagierten die jungen Männer
Italiens begeistert. In Scharen meldeten sie sich für Afrika, das jungfräuliche
Land, das entjungfert werden wollte.
jeff_l
(Jeff_L)
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