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2012
Attilio Profeti lauschte friedlich dem erstickten Gurgeln. Das Röcheln eines
Sterbenden – sein eigenes. Es ist ihm gleichgültig, fern. Seit Jahren sind seine
Gedanken wie die Scherben eines Basreliefs, das gerade bei archäologischen
Grabungen entdeckt wird; hier ein Finger, da die Raffung eines Umhangs,
dort ein Akanthusblatt. Antike Bruchstücke, anhand derer man unmöglich
erkennen kann, was ein Wesen ist, was bloße Dekoration. Doch gerade
beschert ihm ein letzter Blutstrom im Gehirn eine vollständige Erinnerung.
Er war neun Jahre alt. Viola war mit ihm zur Beerdigung seiner
Großmutter mütterlicherseits gegangen. Attilio hatte nicht sehr an der alten
Frau gehangen, die in einem Dorf voller Mücken wohnte und die er nur
selten gesehen hatte. Vorsichtig trat er an den offenen Sarg, wo sie mit auf
der Brust gefalteten Händen lag. Er sah sie an. Ihre Gesichtshaut hing am
Kinn herab, schlaff und gelb wie die Kehllappen eines Suppenhuhns. Die
Nasenlöcher, durch die keine Luft mehr strömte, waren bedrohliche schwarze
Höhlen. War sie schon als Lebende nicht schön gewesen, so war sie nun
geradezu hässlich.
»Warum ist sie gestorben?«, fragte er Viola.
»Weil sie alt war«, gab sie zurück. »Und weil wir früher oder später alle
sterben müssen.«
Damals hatte Attilio seiner Mutter kein Versprechen abgenommen,
sondern sich selbst, ein für alle Mal. Drei Wörter hallten durch seinen Kopf,
mit der unbedingten Kraft des Absoluten: »Alle, außer mir.«
Der Klang des Röchelns schreckt Anita auf, die weinend neben dem Bett
steht. Attilio hingegen lässt sich davon einlullen.
In dem Moment, bevor er stirbt, streift ihn fern eine Frage.
Wer denn, alle?
Und ihm fällt niemand ein.