Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Familienschmuck und Hauspantoffeln klang, um das Parkett zu schonen.
Oder nach etwas, das so wenig mit der Verschwendungssucht, den
Abscheulichkeiten und der Trägheit der ewigen Stadt zu tun hatte wie
Mailänder Risotto, Pünktlichkeit oder ein flächendeckendes, funktionierendes
U-Bahnnetz. Die Römer reagierten mit demselben nüchternen Spott, mit dem
sie seit zweitausend Jahren Versprechungen und Schimpftiraden ihrer
Regierenden hinnehmen, und wie immer behielten sie Recht. Nur wenige
Jahre nach Ilarias Umzug begann sich die Gegend um Piazza Vittorio herum
zu verändern, jedoch nicht in das solide Ideal bürgerlicher Würde, sondern in
Chinatown.
Innerhalb weniger Monate, wenn nicht Wochen, verwandelten sich die
jüdischen Geschäfte für Brautmoden unter den Arkaden, wo Lina vierzig
Jahre zuvor ihr Hochzeitskleid mit der Schleppe und dem
Prinzessinnenschleier gekauft hatte, in einen Ort mit kahlen, halbleeren
Räumen, in denen ihre Eigentümer sich mit wenig einladenden Blicken
offenbar all jene vom Hals zu halten versuchten, die nur Einzelpaare suchten
in Regalen mit Hunderten gleichen Schuhpaaren, wie in den Schuhfabriken
von Zhejiang, wo sie herkamen.
Von Anfang an kursierten dunkle Gerüchte über den schlagartigen
Wandel, der den Römern ebenso feindselig vorkam wie die Mienen der
neuen chinesischen Händler. Die Theorie, die sich am längsten hielt, hörte
Ilaria zum ersten Mal in einem Haushaltswarengeschäft, das zwischen
Mixern, Fönen und Mikrowellen ein Schild ins Schaufenster gestellt hatte,
auf dem in patriotischem Grün-Weiß-Rot stand: DAS IST EIN
ITALIENISCHES GESCHÄFT. Der Inhaber war ein freundlicher Mann,
etwas älter als sie, und er füllte den Raum um sich herum mit der Dynamik
dessen, der sich in seiner Haut wohlfühlt. Ilaria schätzte seine ruhige
Kompetenz, mit der er die Vorzüge der ausgestellten Waschmaschinen
erläuterte. Bei der Information, bis in den sechsten Stock hinauf zu müssen,
schaffte er es in einem einzigen Satz sowohl, das Problem der Anlieferung
aus der Welt zu schaffen, einen Aufpreis dafür auszuschließen, den an diesem
Punkt viele Händler ins Spiel brachten, sowie ihr ein Kompliment zu
machen: »Aber natürlich tragen wir sie bis in Ihre Wohnung hinauf, Sie sind
ja nicht die Einzige, die in Form bleiben will!«
Als Ilaria ihre Adresse in den Auftrag schrieb, verzog der Verkäufer das
Gesicht: »Ojemine, bei den Chinesen. Stören Sie denn die ganzen gelben

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