schmetterling

(Martin Jones) #1

Treppen zertrümmerte, die Flügeltüren aus ihren Scharnieren riss und den
Ankündigungskasten für die Gottesdienste in Scherben schlug. Das
Flammenkreuz stürzte von der Fassade, Glas splitterte aus den Fenstern, ein
Schockrauschen ging durch die Baumkronen. Noch während das Wrack von
der Kirchenwand zurückprallte, raste der Peterbilt weiter in parkende
Fahrzeuge, pflügte durch die Vorgärten, rasierte Sträucher und Zäune ab und
hinterließ eine Schneise der Vernichtung, bis ihn eine Eiche, zu alt und
gewaltig, um dem stählernen Koloss nachzugeben, stoppte.
Jodies Leben endete an einer Wand aus Chrom.
Tamy blieb unverletzt. Nur in ihrer Erinnerung klaffte ein Abgrund, aus
dem Jodies Stimme bisweilen flüsterte: »Daddy ruft dich an, Schatz. Sei nicht
traurig. Ganz bestimmt ruft er dich heute noch an.«


»Da war sie elf«, sagt Luther und nimmt Ruth das Foto aus der Hand. »Auf
diesem Bild ist sie mindestens fünfzehn. Es kann kein Bild geben, auf dem
Jodie und ich zusammen mit einer fünfzehnjährigen Tamy abgelichtet sind.
Dieses Foto ist eine Fälschung.«
Ruth taxiert ihn, und Luther sieht sie in plötzlicher Klarheit, als sei ein
Filter von seiner Wahrnehmung genommen. Ihre scharfen, die Mundwinkel
umlaufenden Falten und weniger sichtbaren Fältchen, die sich erst vertiefen,
wenn sie lacht. Das Gespinst in ihren Augenwinkeln, jedes einzelne Haar des
Flaums auf ihren Wangen und eckigen Kinnladen, deren Kontur in eine leicht
asymmetrische Spitze mündet. Die quer verlaufende Narbe, wo ihre schmale,
gerade Nase entspringt, das steile Krakelee zwischen ihren geschwungenen
Brauen, das man sich nicht vertiefen sehen möchte, die einsetzende
Pergamentisierung der Haut unter den Lidern, das Funkeln und Fließen im
Eis ihrer Iris, Relief ihrer Knochen, jeden winzigen Schatten. Selbst ihre
Sehnen und Nerven glaubt er zu erkennen und dem Fluss des Blutes in ihren

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