schmetterling

(Martin Jones) #1

Er joggt den belebten Pier entlang. Noch sind die auf Stelzen gesetzten
Restaurantveranden gut besucht, letzte Bestellungen machen die Runde. Auf
dem Bardeck der Delta King wird ein Außenplatz frei. Luther ordert ein Pale
Ale und ein Glas Bowen’s, trinkt den Whiskey zuerst und schaut hinaus auf
den Fluss. Zwei schnittige Motorboote voller junger Leute liefern sich ein
maßvolles Rennen, dröhnende Außenborder, Lachen, das sich im Fahrtwind
fängt, dann verebbt das Motorengeräusch jenseits der Brücke, und Luther
geht daran, das Übermaß an Information und Spekulation in seinem Kopf zu
inventarisieren. Wie ist das mit Doppelgängern? Solchen aus differierenden
Wirklichkeitsebenen, überlappenden Zeitsträngen, wie immer man das nennt!
Es gibt ja keinen Präzedenzfall, aber angenommen, nur mal angenommen, so
wie zwei Schlüsselbünde einander nicht ähnlich, sondern identisch sind,
wären auch sie beide identisch, er und der andere Luther, genetisch gleich –
wie ließe sich dann beweisen, wer welcher ist? Bestenfalls würde man sie für
eineiige Zwillinge halten, deren einer sich ins Leben des anderen geschlichen
hat, also gälte es herauszufinden, wer der rechtmäßige Träger des Sterns, der
geschiedene Ehemann von Jodie Kruger und Tamys Vater ist. Tagelang
würde man sie befragen. Die Aussichten, mit einer sieben Jahre umfassenden
Gedächtnislücke gegen den Revierverteidiger zu bestehen, sind wahrhaft
berauschend.
Der Barmann stellt ein zweites Bier vor ihn hin. Sie wechseln ein paar
Worte, die Motorboote kommen zurück, wenden und geraten erneut außer
Sicht. In den Turbulenzen, die ihre Außenborder erzeugen, sieht Luther seine
letzten klaren Gedanken zerstieben.


Ruth starrt auf die vertraute Fassade.
Die Fenster sind schwarz, trotzdem ist eine Art Anwesenheit spürbar. Die
Dunkelheit starrt gewissermaßen zurück, und ihr ist flüchtig, als rufe jemand

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