schmetterling

(Martin Jones) #1

Als Ruth auf dem Nachhauseweg an Danes Automotive vorbeikommt, brennt
in der Werkshalle noch Licht.
Sie fährt bis zur nächsten Kreuzung, dreht und parkt unentschlossen am
Straßenrand. Meg ist oft nach Feierabend im Büro. Durch die Fenster dringt
ein warmer Glanz – so wird selbst eine Werkstatt zu einem Eiland, einem
Sehnsuchtsort in der Nacht. Noch ist es nicht vollständig dunkel. Die Zeit der
Agonie. Unwiderruflich endet der Tag, endet für immer. Es ist der Beginn der
Auslöschung, um vielleicht wiedererweckt zu werden, ein wenig blasser und
kraftloser, bis es kein Wiedererwachen mehr gibt.
Und plötzlich überkommt Ruth die schreckliche Vorstellung, gar nicht
wirklich zu existieren. Als werde man erst erschaffen durch den Blick
anderer. Durch Zugehörigkeit. Einladend ist das Licht in der graublauen
Dämmerung, zugleich herausfordernd und auf unbestimmte Weise Furcht
einflößend. Ein Signal, Ruf, Versprechen, eine Drohung. Alle Geschichten
scheinen darin auf, von Verbundenheit, Liebe, verständnislosem Erstaunen
und Zurückweisung. Hineinzugehen bedeutet, dass es nie wieder so sein
wird, wie es gerade ist, aber was ist schon? Nichts. Am Ende aller
Vermeidungsstrategien steht, dass man vermieden hat zu leben.
Ruth schließt die Augen.
Wütend übertönen einander die Stimmen in ihrem Kopf, deren eine
nachdrücklich fordert, was die andere zutiefst fürchtet. Es herausfordert auf
die Gefahr hin, Wunden aufzureißen. Nach Luthers Anruf – mittlerweile
glaubt sie ihm jedes Wort! – hat sie im Netz Paralleluniversen eingegeben
und ein unendlich komplexeres Bild erhalten, als Luther zu skizzieren
vermochte. Vier Ebenen gibt es demzufolge. Ebene-I-Universen: parallele
Welten im selben physikalischen Raum, Teil derselben materiellen
Wirklichkeit, gebettet in dieselben Naturgesetze – nur die ungeheuren
Distanzen verhindern, dass man eben mal rübergehen und sich bei seiner

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