Freitag, 20. September 2019 WIRTSCHAFT 27
ANZEIGE
Negativzinsen bleiben eine Belastung für die Banken –
gefragt sind neue Geschäftsmodelle SEITE 29
Die Brandrodungen im Regenwald werden für einen
brasilianischen Rindfleischexporteur zum Risiko SEITE 31
«Wenn wir den Zahlungsverkehr
nicht revolutionieren, tun es andere»
David Marcus, der Kopfhinter der Facebook-WährungLibra, willkonstruktiv auf Kritik eingehen
Sie haben vielResonanz erhalten auf
dieVorstellung des Libra-Projekts und
mussten viel Kritik einstecken. Haben
Sie das erwartet?
Ja, und zwar aus zwei Gründen. Erstens
alleine aufgrund der Bedeutung eines
Vorhabens dieser Art, inVerbindung
mit der Grösse und desRufs vonFace-
book – obwohl das Unternehmen den
Verein und das Netzwerk nichtkontrol-
lieren wird.Zweitens warabsehbar, dass
der Aufbau eines Zahlungssystems auf
Basis einer digitalenWährung allerlei
Fragen aufwerfen würde.
Wie gehen Sie damit um?
VieledieserBedenkensindgerechtfertigt
und müssen mitkonkreten Massnahmen
aufgelöst werden – und genau daran
arbeiten wir zurzeit. Ich bin optimistisch,
dass wir diese Hürden erfolgreich neh-
men und dann weitermachenkönnen.
Die Kritik am Projektwar zumTeil
massiv. Sie kam aus politischen Krei-
sen in den USA,aber auch der deutsche
Finanzminister hat sich vorgestern nega-
tiv geäussert.Was sagen Sie dazu?
Letztlich ist es eineFrage derKom-
munikation. Je bes ser die Leute ver-
stehen, um was es eigentlich geht, desto
eher haben wir die Chance, berechtigte
Fragen zu beantworten undLösungen
vorzuschlagen.Dann wird dasVorha-
ben sehr wahrscheinlich auch auf mehr
Gegenliebe stossen.
Wieso?
Bei aller Skepsis und Kritik wäre es
vielleicht ganz gut, etwas mehr über die
potenziellen positiven Effekte des ge-
planten Netzwerkes für dieWelt, die
Wirtschaft und für alle, die bisherkeinen
Zugang zu digitalem Geld undFinanz-
dienstleistungen haben, zureden. Also
zum Beispiel über geringereKosten bei
internationalen Geldtransfers;diese ma-
chen sich bisher vor allem beiPersonen
bemerkbar, die am meisten darauf an-
gewiesen sind – oder über dieVerbesse-
rung der Infrastruktur für globale Ge-
schäftsmöglichkeiten.
Werden diese denn behindert?
EsmagzwarinjüngererZeiteinigeinno-
vative Ansätze vonFintech-Unterneh-
men gegeben haben, aber die fanden
eher nur amRande statt. DerKern des
Systems für den internationalen Zah-
lungsverkehr stammt immer noch aus
den siebzigerJahren des vergangenen
Jahrhunderts – zum BeispielSwift.Es ist
Zeit,dassindiesemBereichetwasÄhnli-
chespassiertwieinderTelekommunika-
tion mit demAufkommen des Internets.
Ist das denn so dringlich?
Die Transformation hat doch längst be-
gonnen. Ob wir nun dabei sind oder
nicht – derWandel ist schon in vollem
Gange. Sei es mitWechat oder Alipay
in China oder imRahmen anderer Platt-
formen, welche ihre eigenen Projekte
aufgezogen haben.
Was hat der Libra-Verein in diesem Zu-
sammenhang zu bieten?
Letztlich stellt sich dieFrage, welche Art
von Plattform wir haben wollen. Etwa
eine, die eine digitaleRechnungsgrösse
wie Libra verwendet, welcheeins zu eins
durch traditionelleWährungen gedeckt
wird – ohneWenn undAber? Und auf der
regulatorisch sichergestellt ist, dass künf-
tig niemandvondiesemPrinzipabweicht?
Wostehen wir im gesamten Prozess?
Das Ziel ist weiterhin, imkommenden
Jahr mit Libra zu starten. Bis dahin müs-
sen wir alleFragen adäquat beantwor-
tet, das geeigneteregulatorische Umfeld
geschaffen, denVerein operativ auf die
Beine gestellt und dasWallet derFace-
book-TochterCalibrafertiggestellthaben.
Es gibt allein schon in diesemJahr noch
viel zu tun.
Was heisst das konkret?
ZunächststehendieRatifizierungderSat-
zung und der Start der operativen Tätig-
keit des Libra-Vereins an,die Ernennung
eines verantwortlichen Managing Direc-
tor, die Aufnahme der vielen interessier-
ten, potenziellen Mitglieder etc.
Es fällt auf, dass bisher keineBank Mit-
glied ist...
...das war und istkeine Absicht. Grund-
sätzlich ist das Interesse aus allerWelt,
Mitglied zu werden, gros s. Die Finanz-
institute wollten sehr wahrscheinlich erst
einmal verstehen,welcheregulatorischen
Konsequenzeneine Mitgliedschafthaben
könnte.SobaldderLibra-VereinneueMit-
glieder aufnimmt,wird sehr wahrschein-
lich eineReihe vonBanken dabei sein.
Was sind die wichtigstenBedenken, die
Sie bisherwahrgenommen haben?
Erstens geht es oft darum, wie das Libra-
Netzwerk mitFragen der Geldwäsche-
rei, derTerrorismus-Finanzierung oder
auch mit Sanktionen umgeht. Hier ver-
suchen wir inkooperativerWeise,die
verschiedenen Aspekte zu verstehen
und konkrete Lösungen zu finden.Zwei-
tens fragt sich, wie verhindert werden
kann, dass imLaufe der Zeit dieRegel
zur Verwaltung der Libra-Reserve ver-
wässert wird.Was das anbelangt, hat die
SchweizerFinanzmarktaufsicht (Finma)
in der vergangenenWoche eineArt Leit-
faden veröffentlicht. Drittens ist bisher
offen, welcheRolle der öffentliche Sek-
tor in so einem Netzwerk spielen sollte.
Wir würden es begrüssen, wennsich die
Zent ralbanken einbrächten.
Ist die Finma die einzigeRegulierungs-
instanz, mit der Sie reden?
Wir sprechen zumindest mit all jenen
Regulierungsbehörden,derenWährun-
gen undWertpapiere voraussichtlich in
der Libra-Reserve enthalten sein werden.
Zudem gibt es auch Gespräche mit der
Arbeitsgruppe der G-7-Staaten, die sich
mit dieserThematik beschäftigt und die
sich dieseWoche in derBank fürInter-
nationalenZahlungsausgleichinBaselge-
troffen hat. Das hilft uns, die Bedenken zu
verstehen.Solangediesenichtausgeräumt
sind, können wir nicht voranschreiten.
Steht die Struktur der Libra-Reserve
schon fest?
Nein, sie wird bestimmt vom Libra-Ver-
ein. Er sorgt zusammen mit denRegu-
latoren idealerweise auch dafür, dass die
Zusammensetzung nicht willkürlich ver-
ändert wird.
Kann Libra die Geldpolitik der Zentral-
banken stören?
Ich denke nicht.Tatsächlich wird jede
LibraeinszueinsmittraditionellenWäh-
rungen hinterlegt undkeinerlei neues
Geld geschaffen. Es gibtkeinen Einfluss
aufdieZinsenundRenditen.Sogesehen
kann dieReserve auch die Geldpolitik
nicht stören. Ohnehin ist unwahrschein-
lich, dass man einen Espresso in der
Schweiz, Deutschland oderFrankreich
künftig mit Libra bezahlen wird. Statt-
dessen wird man diese dort verwenden,
wo sieVorteile bietet – etwa im inter-
nationalen Zahlungsverkehr oder zum
Begleichen von Kleinstbeträgen.
Es besteht also nicht die Gefahr, dass
sich plötzlich 2,7 MilliardenFacebook-
Mitglieder auf Libra stürzen werden?
Im Gegenteil, ich sehe zunächst statt
regulatorischer eher Akzeptanzpro-
bleme. So müssen dieKonsumenten erst
einmal verstehen, wozu sie Libra über-
haupt brauchenkönnen. Schliesslich
wird es anfänglich beachtlicheFriktio-
nen geben, unter anderem weil sich die
Interessenten erst einmal mit offiziellen
Dokumenten ausweisen müssen.
Wie gehen Sie mit dem Datenschutz um?
Zum einen kannFacebook nicht auf die
Daten von Calibra zugreifen. Die sozia-
len Daten und die des Zahlungsver-
kehrs-Netzwerkeswerdenalso nichtver-
mischt.ZumanderenwirdaufderEbene
der Blockchain ständig über einen bes-
seren Schutzder Privatsphäre diskutiert.
Was sagen Sie dazu, Libra sei in die
Schweiz gekommen,weil dieRegulie-
rung schwach sei?
Die Schweiz hat einen der striktes-
ten regulatorischenRahmen imFinanz-
bereich.WenneszumBeispielumdieVor-
sorge gegen Geldwäscherei geht,gehören
die Standards zu den striktesten derWelt
- strikter als in den USA.Auf der ande-
renSeitebietetereinegewisseFlexibilität
nach dem Motto «same risks, same rules».
Ist es das Ziel, eine möglichst hoheRen-
dite mit derReserve zu erzielen, um eine
satte Dividende an die Mitglieder des
Libra-Vereins ausschütten zu können?
Nein, so denken wir nicht. Die Apps der
Facebook-Familie werden von rund 2,7
Milliarden Menschen und 90 Millionen
KMU weltweit genutzt – wenn es ein-
facher und günstiger wird, miteinan-
der ins Geschäft zukommen, profitie-
ren alle davon.Vertraut man uns,kön-
nen wir über Calibra weitere Dienstleis-
tungen anbieten.
Wie wird Libra konkret starten – erst
einmal in einem Land, und dann kommt
derRoll-out in denRest derWelt?
Das Netzwerk selbst wird allgemein zu-
gänglich sein.Dann fragt sich, welche
Wallets in welchemLand verfügbar wer-
den. Wir selbst werden Calibra überall
dortanbieten,wowirdieregulatorischen
Rahmenbedingungen erfüllenkönnen.
Interview: ChristofLeisinger
David Marcus lädt auchNotenbanken ein, sich einzubringen. ALEX WONG / GETTY
BKW schluckt
das nächste
Unternehmen
Der Berner Stromproduzent kauft
die Zürcher Swisspro-Gruppe
STEFAN HÄBERLI
Die Berner Energiegruppe BKW setzt
ihre Einkaufstour ausserhalb des einsti-
gen Kerngeschäfts fort. Sie übernimmt
gemäss einem Mediencommuniqué vom
Donnerstag die Swisspro-Gruppezu
100%.Swisspro ist in denBereichen In-
formations- undKommunikationstech-
nologie (ICT), Gebäudeautomation so-
wie Elektroinstallation tätig. Das Unter-
nehmen mit Hauptsitz in Urdorf (ZH)
erzielte im vergangenenJahr einen Um-
satz von rund 210 Mio. Fr. und beschäf-
tigt schweizweit an18 Standorten gut
1100 Mitarbeiter. Die 1999 gegründete
Firmaist vorwiegend fürGeschäfts-
kunden tätig. Den Kaufpreis nennt die
BKW nicht.
HalbstaatlicheKonkurrenz
Die MarkeSwisspro wird mit der Über-
nahme nicht verschwinden, sondern als
eigenständigeMarke unter dem BKW-
Dach weitergeführt. Auch personell
ändert sich an der Spitze vorerst we-
nig: Die beiden bisherigen Eigentümer,
JohannJann und MauroDal Bosco, so-
wie die anderen Mitglieder der Ge-
schäftsleitung werden die operativen
Geschäfte weiterhin führen.
Die BKW reduziert seit Jahren
schrittweise ihreAbhängigkeit vom tra-
ditionellen Energiegeschäft, indem sie
das Dienstleistungsgeschäft ausbaut. In
den letzten fünfJahren wuchs der Um-
satz in diesem Bereich von 320 auf 880
Mio. Fr. Im vergangenenJahr machte
dieser damit bereits einen Drittel des
Gesamtumsatzes aus. Seit 2014 hat die
BKW-Gruppe nach eigenen Angaben
rund 70 Unternehmen aufgekauft.
PatriotischerAkt
Diese Expansionsstrategie stösst auch
au f Kritik: Die BKW gehört zu 52%
dem Kanton Bern. Lokalen Gewerblern
stösst sauer auf, dass ihnen ein halbstaat-
liches und finanziell potentes Unterneh-
men zunehmendAufträge abjagt. Diese
Klagen hatte BKW-Chefin Suzanne
Thoma wohl beim Dreh einesVideos
im Hinterkopf, in dem sie denSwiss-
pro-Kauf als patriotischen Akt darstellt:
Heute prägten internationaleKonzerne
den Markt für Gebäudetechnik, sagt
sie vor der Kamera. Und: «Durch den
Zusammenschluss entsteht eine starke
SchweizerAlternative.» DieTransaktion
muss noch von derWettbewerbskom-
mission (Weko) genehmigt werden.
Firmengründer und
Blockchain-Experte
cri.·David Marcuskommt eigentlich
aus Genf. Trotzdem ist geradezu der
Prototyp eines Silicon-Valley-Unter-
nehmers. Nach abgebrochenem Stu-
dium machte er mit der Gründung und
demVerkauf mehrererFirmen nicht
nur einVermögen, sondern auch Kar-
riere.Von der Chefetage beiPaypal
wechselte er in den vergangenenJah-
ren überraschend zu Facebook und
übernahm dort schliesslich ein kleines
Team, das die Möglichkeiten der Block-
chain-Technologie erkunden sollte. Das
Resultat ist eine Infrastruktur und eine
Kryptowährung namens Libra.
WirhaltenWort.
Verlässliche Fakten schaffen,
statteinfach Marktkonsens
übernehmen.