Freitag, 20. September 2019 SPORT51
Gegen den Rest der Welt
Der Laver-Cup stürzt Genf in den Ausnahmezustand – Roger Federer hat sein e helle Freude daran
DANIEL GERMANN, GENF
Es gibt imTenniskeine falsche Beschei-
denheit. Dem Selbstsicheren gehört die
Welt.Auchdeshalb sagte derModera-
tor beim offiziellen Empfang derLaver-
Cup-Teams am Mittwoch am Sitz der
Genfer Stadtregierung: «Die ganzeWelt
blickt in die Schweiz.»
DieganzeWelt?Wirklich?
Ganz sicher aber ist derLaver-Cup
zumindest in der Schweiz das Ereignis
imJahr 20 19 – wenn nicht das sport-
liche, dann zumindest das gesellschaft-
liche. Und schon wieder provoziert ein
Satz und vor allem seine Endgültigkeit
Widerspruch.
Doch vielleicht ist ja gerade dieser
Widerspruch, dieFormel, die provoziert
und polarisiert, dieBasis des Erfolges,
die derLaver-Cup hat. Blau spielt gegen
Rot, Europa gegen dieWelt, Björn Borg
gegenJohn McEnroe.
Borg und McEnroe sind nicht mehr
die Protagonisten auf dem Court, son-
dern nur noch die Captains, die ihre
Teamsrepräsentieren. Doch McEnroes
Ausstrahlung bleibt unübertroffen. Als
er am Donnerstag gefragt wird, wen er
als Grössten im Männer-Tennis erachte,
RogerFederer, Rafael Nadal, Novak
Djokovic, fällt er demFragenden ins
Wort und sagt:«Wie soll ich das wissen?
Wir können das frühestens nach dem
Ende ihrer Karrieren beantworten. Und
irgendwann werden sie enden.Vielleicht
schon an diesemWochenende, nachdem
wir ihnen den Arsch versohlt haben.»
223:34Turniersiege
John McEnroe liebt die Provokation.
Und er weiss, was man von ihm erwar-
tet.Dabei ist sein«TeamWorld», sorry
John, doch eher ein versprengterHau-
fen.John Isnerist als Nummer 20 in der
Weltrangliste der bestklassierte Spie-
ler. Gemessen anATP-Titeln führen
die Europäer 223:34 Siege. Die kumu-
lierte Bilanz aus den Direktbegegnun-
gen beträgt 83:39. Sollten also McEnroe
und seinTeam denLaver-Cup gewinnen,
dann wäre das nur ein weiteres Indiz
für seine sportliche Irrelevanz. Denn
im echten Leben schlägt diese Gruppe
Federer und Nadal nie.
Doch wer bestimmt, wasrelevant und
normal ist? Im Sinne der Show bricht
derLaver-Cup mitjener sportlichenTr a-
dition, die auchFederer am Herzen liegt.
Jelänger dasTurnier dauert, desto wich-
tiger wird es, zu gewinnen. Am ersten
Tag zählt ein Sieg ein Punkt, am zwei-
ten zwei, am dritten drei.Das garantiert,
dass derLaver-Cup frühestens am Sonn-
tag entschieden werden kann.
Doch wahrscheinlich muss man sich
aus den gängigenDenkschemen lösen,
wenn man denLaver-Cup beurteilen
will.Denn um Sport, um einen sport-
lichenWettstreit, geht es auch.Aber nur
amRande.Vorherkommt die Show, die
Show und nochmals die Show.
Man kann den demonstrativen
Gigantismus verurteilen. Der dreitägige
Eventkostet über 20 MillionenFranken
und ist damit das teuerste Sportspekta-
kel der Schweiz.Tr otzdem ist beeindru-
ckend, was die Organisatoren in den
GenferPalexpo-Hallen aus dem Boden
gestampft haben.Auf 57 000 Quadrat-
metern wurde im letzten Monat eine
Tennis-Wunderwelt aufgezogen.Die
ganze Arena ist im matten Schwarz ge-
halten, das nicht nur edel aussieht, son-
dern imFernsehen auch denBall besser
sichtbar macht. Die über 50 000 Tickets
warenMitteFebruar mehr oder weni-
ger ausverkauft. Schon am Donnerstag
kamen über 60 00 ,um den Spielern beim
öffentlichenTr aining zuzusehen.
Die Grosszahl dieser Menschen will
RogerFederer sehen.Auch mit 38Jah-
ren ist dieAusstrahlung desAusnahme-
spielers ungebrochen.Erist das Zen-
trum derKunstwelt, die Genf für ein
paarTage in Beschlag nimmt.Federer
is t derLaver-Cup,und derLaver-Cup
istFederer. Sechs der achtFragen bei
der Medienkonferenz des europäischen
Teams vor demTurnierstart richten sich
an ihn. Eloquent wie immer versucht er
denJournalisten das zu geben, was sie
von ihm erwarten. DieFragen waren
allerdings auch unverfänglich und leicht
zu beantworten.
Als doch eine kritische auftaucht und
einJournalist wissen will, ob denn mit
demLaver-Cup,demDavis-Cup und
dem neuenATP-Cup drei ähnlicheVer-
anstaltungen im ohnehin vollen Kalen-
der Platz hätten, sagtFederer: «Absolut.
DerDavis-Cup ging ja vor derReform
über vierWochen. DerLaver-Cup dau-
ert dreiTage. Mehr gespannt bin ich, wie
sich derDavis-Cup und derATP-Cup,
die ja praktisch nach derselbenFormel
gespielt werden, gegeneinander behaup-
tenkönnen.InzehnJahren wissenwir
mehr.»
Es geht auch ohneWawrinka
Selbst in derTennisszene haben das neue
Format nicht alle mit offenen Armen
aufgenommen.Er gibt denen, die ohne-
hin schon viel haben. Die Antrittsgagen
richten sich nach derWeltranglistenposi-
tion und werden wie ein Geheimnis ge-
hütet. Doch sie dürften sich selbst für
die Spieler auf den hinterenPositionen
in siebenstelliger Höhe bewegen.Das
Management umTony Godsick hält
eisern amRaster fest und wurde auch
nicht weich,als deshalb dieVerhandlun-
gen mit StanWawrinka scheiterten.
Das Motto des Laver-Cups lau-
tet: «Aus Rivalen werdenFreunde, aus
Einzelspielern einTeam.»Das ist eine
MengePathos und doch nicht falsch.
Federer spricht mit fast schon kind-
licher Begeisterung von den gemeinsa-
men Nachtessen der Mannschaft. Nick
Kyrgiossagt, dieLaver-Cup-Woche sei
eine seiner liebsten imTennisjahr. John
McEnroe lobt dasFormat als beste
Innovation in den vergangenenJahren.
Die Euphorie ist nicht gespielt und
wird getragen vonRogerFederer. In
einem dreiminütigenYoutube-Video
führt er das Publikum im Stolz des
Hausherrn durch die umgebautePal-
expo-Halle.Am Ende der Medienkon-
ferenzkommt auch noch Stefanos Tsit-
sipas zuWort. Er sagt: «Die Menschen
erwarten eine Show von uns, und wir
werden sie ihnen geben.»Wer wollte an
seinenWorten zweifeln.
John McEnroe liebt die Provokationund heizt die Stimmung auf. DENIS BALIBOUSE / REUTERS
«Aus Rivalenwerden Freunde»: Rafael Nadal (l.) undRogerFederer spielenamLaver-Cup im gleichenTeam. MARTIAL TREZZINI/EPA
Um Sport geht es im
Laver-Cup nur am
Rande.Vorher kommt
die Show, die Show und
nochmals die Show.
HERAUSGEGRIFFEN
Hoeness und
die Westpresse
Stefan Osterhaus· In Deutschland wird
gegenwärtig einFussballklassiker auf die
Bühne gebracht. Er trägt den Arbeitstitel:
«DasTorwartduell. Es kann nur einen ge-
ben». Regelmässig, einmal imJahrzehnt,
wird das Stück in wechselnder Beset-
zung aufgeführt.Früher einmal hiessen
dieDarsteller Uli Stein undToni Schu-
macher, Jens Lehmann und Oliver Kahn.
Heute ist derBarça-Goalie Marc-
André ter Stegen derjenige, der den
Fehdehandschuh hingeworfen hat.Auf-
genommen hat ihn Manuel Neuer,Tor-
hüter der MünchnerBayern und mit 90
LänderspielensamtgewonnenemWelt-
meistertitelschon jetzt so etwas wie ein
Monument seiner selbst.Ter Stegen mel-
det nach den letztenLänderspielen, in
denen er nicht zum erhofften Einsatz
kam, seinen Anspruch an und bekräftigt
ihn mit einer glänzenden Leistung in der
Champions League in Dortmund. Neuer,
seit Monaten in besterVerfassung,will
sich nicht weiter mit ter Stegens Ein-
lassungen beschäftigen, erklärt dessen
öffentlich vorgetragenen Anspruch für
nicht mannschaftsdienlich.
Begleitet wird der Streit um die Num-
mereins im deutschenTor nicht nur vom
Schweigen des BundestrainersJoachim
Löw. Mittlerweile hat die Situation auch
die Sekundanten Neuers auf den Plan ge-
rufen: denBayern-Vorstandschef Karl-
HeinzRummenigge, derDankbarkeit
gegenüber der Lebensleistung des Goa-
lies anmahnte,und denVerbal-Kavalle-
risten Uli Hoeness im Präsidentenamt.
Noch bevor sich die legendäre
Medienkonferenz jährt, an der dieBay-
ern-Führung ihren Kritikern mit Arti-
kel1des deutschen Grundgesetzes be-
gegnen wollte,schlüpft Hoeness erneut in
die Rolle des Medienkritikers. «Die west-
deutsche Presse unterstützt den ter Ste-
gen extrem, wie wenn er schon 17 Welt-
meisterschaften gewonnen hätte,und
hier von der süddeutschen Presse gibt
eskeine Unterstützung.» Man kann tat-
sächlich darüber streiten, was genau die
Aufgabe derWestpresse ist. Der Münch-
nerVerfassungsfreund beklagtejeden-
falls, dass der DFBkeine guteRolle ab-
gebe – und so ter Stegen einThema in die
Öffentlichkeit trage, das alleinden Coach
Löw und ihn etwas angehe.Falsch liegt
Hoeness nicht.Ter Stegens öffentlich ge-
äusserter Unmut ist der Unterlassung
Löws geschuldet, dieVerhältnisse zwi-
schen denTorhütern zu klären.
Frauen dürfen
zu Länderspielen
Iran erlaubt partiellen Zugang
zum Nationalstadion Teherans
(sda/dpa)·IranischeFrauen dürfen laut
Sportminister Massud Soltanifar künftig
Fussball-Länderspiele besuchen. «Alle
Vorbereitungen sindgetroffen, damit
auchFrauen, vorerst nur fürLänder-
spiele, inFussballstadienkommenkön-
nen», sagte der Minister am Donnerstag.
Im Asadi-Stadion inTeheran, wo
Irans Nationalteam seine WM-Qua-
lifikationsspiele austrägt, wurden für
Frauen separate Eingänge, eine Extratri-
büne undDamentoiletten eingerichtet.
Ausserdem sollenPolizeieinheiten ein-
gesetzt werden, damit dieFrauen sicher
ins Stadion und wieder herauskommen,
sagte Soltanifar laut demWebportal des
Sportministeriums.
Dadie Gleichbehandlung von Män-
nern undFrauen in den Statuten des
Fussball-Weltverbandes geregelt ist,
hatte derFifa-Präsident Gianni Infan-
tino Druck auf Iran ausgeübt, woFrauen
seit 40Jahren der Besuch vonFussball-
spielen untersagt ist.
Obwohl Minister Soltanifar und so-
gar Präsident HassanRohani gegen das
Verbot sind,konnten sich beide bis jetzt
nicht gegen den erzkonservativen Kle-
rus durchsetzen. ObFrauen tatsächlich
ins Stadion dürfen, wird sich beim ersten
Heimspiel am 10. Oktober gegen Kam-
bodscha zeigen.
Die Laver-Cup-Teams imVergleich
Team Europe Team Welt
ATPTitel ATPTitel
Rafael Nadal 28 4John Isner 20 15
Roger Federer 3102 Milos Raonic 24 8
Dominic Thiem 51 4Nick Kyrgios 27 6
Alexander Zverev 61 1Taylor Fritz 30 1
StefanosTs itsipas 73 Denis Shapovalov 33 0
Fabio Fognini 11 9Jack Sock 210 4