Neue Zürcher Zeitung - 20.09.2019

(Ron) #1

54 WOCHENENDE Freitag, 20. September 2019


Magellans Triumph


und Tod


auf der andern


Seite der Welt


Bei der ersten Weltumseglun g 1519–1522


geht es um Macht und Geld.


Generalkapitän Magellan und die meisten


Seeleute gehe n an den Strapazen zugrunde.


VON AND RES WYSLING (TEXTE)


UND ANJA LE MCKE (ILLUSTRATIONEN)


«Der Generalkapitän befahl, die Schiffe
zu beflaggen, die Segel wurden gehisst
wie zur Schlacht, und es schoss die ganze
Artillerie – dadurch hatten diese Leute
furchtbare Angst.» Unter Kanonen-
donner kündigt sichFerdinand Magellan
mit seiner Flotte an. Mit den Einheimi-
schen hat er leichtes Spiel: «Diese Leute
sind einfach, sie gehen nackt und sind
tätowiert», berichtet Antonio Pigafetta,
der Chronist der erstenWeltumsegelung.
Am 20.September 1519 ist Magel-
lan, der portugiesische Seefahrer in spa-
nischen Diensten, zu seiner Expedition
aufgebrochen. Mit fünf Schiffen und 237
Mann soller eineWestpassage zu den
Gewürzinseln finden. Am7. April 1521
erreicht die Flotte die Philippinen-Insel
Cebu, es sind jetzt allerdings nur noch
drei Schiffe mit149 Mann.
Auf einem purpurnenThron sitzend,
empfängt Magellan eine Delegation
von Inselbewohnern auf seinem Schiff.
Die Einheimischen verlangen Hafen-
zoll, doch Magellan macht von Beginn
weg klar:Tr ibut zahlt er nicht, denner
ist der «Kapitän des grösstenKönigs und
Fürsten derWelt», nämlich des damals
21-jährigen Kaisers KarlV. (König Car-
los I in Spanien).Dannbeginnt ervom
Glauben zureden. Und schon wollen
manche Christen werden, nichtetwa aus
Angst oder Gefälligkeit, «sondern aus
eigenem, freiemWillen», wie der Chro-
nist unterstreicht.

Tauschen undTaufen


Nach einigem Hin und Her trägt der
Inselherrscher Humabon dem General-
kapitän die Blutsbrüderschaft an. Man
weint und umarmt sich. Und man han-
delt: Lebensmittel gegen Stoffe, Klei-
der und Gläser, Gold gegen Eisen – ein
günstiges Geschäft für die Spanier. Der
Häuptling istdick und nackt und bemalt,
er wird prächtig eingekleidet und erhält
einerote Mütze auf denKopf. Später
lässt sein Neffe nackte Mädchen tanzen.
Die Eingeborenen sindjetzt Magellans
«treue Diener».
Auf dasTa uschen folgt dasTa ufen.
Es ist Ostern, 40 Spanier gehenanLand
in vollerWaffenpracht, diekönigliche

Fahne voran.Wieder donnern die Kano-
nen, «die Leuterannten in alle Richtun-
gen davon».Auf dem Hauptplatz wird
ein Kreuz errichtet. Magellan fordert die
Inselbewohner auf, täglich zu beten und
ihre Götzenbilder zu verbrennen. Er ist
ganz inWeiss gekleidet,«umihnen seine
wahre Liebe zu bekunden». Die Einhei-
mischen sagen, «sie wüssten auf seine
süssenWorte gar nicht zu antworten» –
wer schweigt, sagt nichtsFalsches.
Nun nimmt Magellan den Inselkönig
an der Hand und führt ihn zurTaufe; aus
Humabon wird Karl, «so wie der Kai-
ser, sein Herr». Dann werden die übri-
gen führenden Männer getauft. Einigen
Zögernden droht Magellan mit dem
To d, worauf sie gehorchen; von freiem
Willen ist nicht mehr dieRede. Magel-
lans Einladung zum Essen lehnen der
Häuptling und sein Gefolge ab.Erneut
dröhnen die Kanonen.
500 Männer werden zu Christen
gemacht, am Nachmittag folgen 300
Frauen und Kinder. Der Chronist selbst

zeigt der Inselkönigin– sie ist eine junge
und schöneFraumit knallroten Lippen
undFingernägeln – und ihrem Gefolge
Heiligenfiguren: «Ich zeigte ihnen Bil-
der Unserer LiebenFrau,ein sehr schö-
nes Kindaus Holz und ein Kreuz.» Die
schöneKönigin weint,wünscht dieTaufe
und erbittet sich das Christkind, «um es
anstatt ihrer Götzenbilder aufzustellen».
Sie wirdes alsbald geschenkt erhalten.
Die 30 Zentimeter hohe Holzsta-
tuette gibt es noch, sie ist heute das
Nationalheiligtum der Philippinen.
Das «Santo Niño de Cebu» trägt einen
Reichsapfel in der Hand, die Erdkugel
mit dem Kreuz darauf, dasSymbol der
Weltherrschaft.Dass die Erde eineKu-
gel ist, weiss man schon seit der Antike,
und diesesWeltbild hat sich gehalten.

«Kastilien!Kastilien!»


Innert einerWoche taufen die Spanier
die ganze Bevölkerung Cebus und einiger
benachbarter Inseln; die etwas dubiose
Wunderheilung eines einheimischen
Würdenträgers hilft bei derVerbreitung
des christlichen Glaubens. Die Einheimi-
schen sollen ihre Götzenbilder verbren-
nen, sie müssen jetztTr ibut zahlen und
die Spanier mit Lebensmitteln versorgen.
Sie rufen ganz von selbst «Kastilien! Kas-
tilien!», wenn es gerade angezeigt scheint.
Ein Dorf wirdangezündet, weil die Be-
wohner sich nicht taufen lassen.
Der Chronist berichtet auch über
heidnische Bestattungen undTieropfer;
ein Schwein wird unterTanz und Gesang
der Sonne dargebracht. Er staunt über
diegepierctenPenisse der Inselmänner:
«Sie sagen, ihreFrauen wollten es so.»
Um dann anzufügen:«Die Frauen lieb-
ten unsviel mehrals die (also die einhei-
mischen Männer).»Die Eroberer fühlen
sich unwiderstehlich.Ta g und Nacht zie-
hen sie durch die Dörfer und lassen sich
gastfrei halten.

Fehlgeleitete Strafexpedition


Nicht alle Einheimischen lassen sich die
Zumutungen der Spanier gefallen.Auf
der Insel Mactan verweigert der Häupt-
lingLapu-Lapu den gefordertenTr ibut.

Die Eroberer fü hlen si ch


unwiderstehlich.


Tag und Nacht ziehen


sie durch die Dörfer


und las sen sich


gastfrei halt en.


Pazifischer Ozean
Die Überquerung dauert
viel länger als gedacht.

Río de la Plata

Magellanstrasse

Río de Janeiro

Sanlúcar
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