Freitag, 20. September 2019 WOCHENENDE 55
Kaum hört das Magellan,schickt er mit-
teninderNachteineStrafexpeditionlos,
um Gehorsam zu erzwingen, 60 Mann
auf drei Schiffen. Begleitet werden sie
vom christlichen Häuptling von Cebu
mit 20 Einbäumen, 2000 Mann sollen
das sein.Frühmorgens befiehlt Magel-
lan den Angriff – aber Humabon und
seineTruppen will er ausdrücklich nicht
dabei haben, siesollen nurzusehen, wie
die Spanier die Sache erledigen.
Die spanischen Schiffekönnen nicht
ans Ufer fahren, weil die flacheKüste
von Steinen übersät ist.Deshalbkönnen
die Spanier ihre Kanonen nicht einset-
zen,dieKugeln erreichen das Ufer nicht.
49 Mann mit Helmen undPanzerhem-
den waten ans Ufer, dort stossensie
auf Verteidigungsgräben. Mit Kriegs-
geschrei stürmt ihnen eine Übermacht
von angeblich1500einheimischen Krie-
gern entgegen, von drei Seiten.
Ein Hagel von Giftpfeilen und -lan-
zen geht auf die Spanier nieder. Deren
Armbrüste undFeldgeschütze nützen
wenig, denn dieVerteidiger haben gute
Schilde und sind dauernd in Bewegung,
so dass sie schwer zu treffen sind. Die
Spanier zünden zwanzig oder dreissig
Häuser an, um die Gegner abzulenken,
doch dadurch werden diese nur noch
angestachelt.
Magellan wird von einem vergifte-
ten Pfeil insrechte Bein getroffen. Er
befiehlt denRückzug, dieser wird mehr
und mehrzur Flucht. Der Kampfwird
im Wasser weitergeführt. Die Einheimi-
schen schleudernLanzen, die Spanier
schleudern sie zurück,Geschosse fliegen
hin und her.Auch die Kanonenkommen
jetzt zum Einsatz. Die meisten Spanier
erreichen die Schiffe, wobei ihnen die
Truppen des Herrschers von Cebu mit
einem Entlastungsangriff helfen.
Die Verteidiger von Mactan gehen
auf Magellan los, der nur noch von
wenigen Gefährten gedeckt wird. Zwei-
mal wird ihm der Helm vomKopf ge-
stossen – «aber er, als guter Ritter,
hielt sich stets wacker». Dann erhält
er einenLanzenstoss ins Gesicht und
einen Schwerthieb ans linke Bein. Sein
Schwert kanner nicht mehr ziehen, weil
er am Arm verwundet ist. Mit dem Ge-
sicht voran fällt Magellan insWasser
und wirdtotgehauen.
Etwa zwei Stunden hat der Kampf
am 27.April 1521 gedauert. Sieger ist
ein heidnischer Inselhäuptling, der sich
der Majestät im fernen Spanien nicht
beugen will.Lapu-Lapu gilt heute auf
den Philippinen wegen seinesWider-
stands gegen die spanischen Eroberer
als Nationalheld,nach ihm ist die grösste
Stadt auf Mactan benannt.
Kein christliches Begräbnis
Für die Spanier ist die Bilanz nieder-
schmetternd: Der Generalkapitän ist
tot, sieben weitere Spanier sind gefal-
len, auch vier getaufte Einheimische,
zudem gibt es vieleVerletzte.Vergeb-
lich feilscht man um die Herausgabe
der Leichen Magellans und der andern
Toten, doch umkein Geld will der Sie-
ger sie hergeben.Der Welteroberer wird
kein christliches Begräbnis erhalten.
Schuld an dem Desasterist niemand
anders als Magellan selbst. Er hat die
Lage nicht richtig erkundet, er hat den
Angriff ohne Unterstützung der Artille-
rie befohlen, er hat die Mithilfeder Ver-
bündeten ausgeschlagen. «Der christ-
licheKönig hätte uns geholfen, aber der
Kapitän befahl ihm, als wir anLand gin-
gen, er solle sein Boot nicht verlassen,
sondern zurückbleiben und zuschauen,
wie wirkämpften.» Wichtige Teil-
nehmer der Expedition versuchten den
Generalkapitän von derTeilnahme an
dem Gefecht abzuhalten – vergebens.
Wollte sich derPortugiese gegenüber
den Spaniern beweisen?War er im
Rausch der eigenen Erfolge benebelt?
Man kann nur spekulieren.
Blutbankett und Flucht
Zurück im Hafen vonCebu,bereiten die
Spanier sogleich ihreAbfahrt vor. Der
Nimbus der Unbesiegbarkeit ist dahin,
das Selbstvertrauender Eroberer er-
schüttert. Ihre Gierall erdings haben
sie nicht verloren,deshalb tappen sie
in eineFalle. Der Inselkönig Humabon
lädt zum Abschiedsmahl,die Spanier
soll en Geschenke für den spanischen
König abholen. Eine Delegation geht
an Land, doch sie erwartet ein Blutban-
kett : 26 Spanier werden hinterrücks um-
geb racht oder danach vermisst. Einige
werden gefangen genommen und später
als Sklaven nach China verkauft.Wenige
können schwimmend entkommen.
Die Schiffe beschiessen das Dorfmit
Kanonen,dann hissen sie die Segel und
fah ren davon. Zurück bleibtJuan Ser-
rano, der eben erst zum neuen Gene-
ralkapitän gewählt wurde. Ein Freikauf
kommt nicht zustande.Verletzt, gefes-
selt und nackt steht er am Ufer; er ruft –
je nach Quelle–Verwünschungen oder
Befehle zu den Schiffen hinüber. So en-
det die spanische Herrschaft auf den
Philippinen fürs Erste, am 1. Mai 1521.
Die Kreuze werden umgelegt.
Das Massaker angezettelt hat wahr-
scheinlichMagellans Sklave Henrique.
Dieser stammt von Sumatra und dient
als Übersetzer; wahrscheinlich spricht
er Malisch, zu jener Zeit dieVerkehrs-
sprache in jener Inselwelt. Ohne ihn
wäre eineVerständigung zwischen den
spanischen Abenteurern und den Insel-
bewohnern unmöglich gewesen. Magel-
lan hat Henrique in seinemTestament
freigelassen, doch Serrano will ihn be-
halten.Henriquerächt sich. Selten hat
sich dasWortspiel «traduttore – tradi-
tore»(Übersetzer –Verräter) derart
drastisch erfüllt.
Christusohne Kreuz
Gut vierzigJahre nach Magellan,am
28.April1565, landet der spanische Er-
oberer Miguel López de Legazpi auf
Cebu. MitWaffengewalt überrennen
seine Leute das Dorf, die Einwohner
flüchten insLandesinnere (wenn sie
nicht umgebracht werden). Beim Plün-
dern findet ein spanischer Soldat in
einer ärmlichen Hütte das Christkind
aus Holz; es liegt ineiner Schachtel,
es tr ägt nochseine Mütze und seine
Kleider im«fla ndrischen Stil», auch
der Reichsapfel ist noch da, allerdings
ohne Kreuz.Vom Hausaltar der Insel-
königin in eine Schachtel beiarmen
Leuten– di e Holzfigur hat über die
Jahrzehnte einen tiefen sozialen Ab-
stieg mitgemacht und ist zudem an
entscheidender Stelle beschädigt. Nach
dem Tod Magellans und der Flucht der
Spanier stand das Christentumbei den
Einwohnern vonCebu nicht mehr in
hohem Ansehen.
Doch jetzt verhilft Legazpi dem wie-
dergefundenen Christkind zu neuen Eh-
ren. Es erhält seinen Ehrenplatz in der
eilends errichteten Kirche,dazu wird ein
jährlicherFesttag festgelegt. Der kleine
Holz-Christus wird dann imVolksglau-
ben zumRegenmacher und zum Ge-
burtshelfer der Frauen – immer im
Januar wird er mit einer grossen Pro-
zession gefeiert.
Heute kursiert auf Cebu noch eine
ganz andere Geschichte über das höl-
zerne Christkind. DieFigur stamme, so
heisst es, nicht aus Europa.Vielmehr
habe ein einheimischerFischerein Stück
Holz aus dem Meer gefischt. Dieses sei
dreimal hintereinander in seinem Netz
hängen geblieben; zweimal habe er es
ins Wasser zurückgeworfen. Beim drit-
ten Mal habe er darin einen «Agipo» er-
kannt, einen Geist.Das wunderkräftige
Stück Holz sei dann von den Spaniern
zu einem Christus geschnitzt worden.
Der dissidenteVolksglaube unter-
wandert,so geht die ethnologische Deu-
tung, die hegemoniale Erzählung der
spanischen Eroberung. Anders gesagt:
Der Glaube der Unterworfenen ist in
der Substanz einheimisch, nur derForm
nach ist er fremdländisch.
Umfassende Darstellun g der Magellan-Rei-
se mit Quelle n:Xavier de Castro (Hrsg.): Le
Voyage deMagellan (1519–1522), 2 Bde., Paris
2007.
Pigafettas Reisebericht in kritischer Aus-
gabe:Antonio Pigafetta: Relazione del primo
viaggi o attorno al mondo, hrsg. von Andrea
Canova , Padua 1999.
Pigafettas Reisebericht in deutscher Über-
setzung:Antonio Pigafetta: Die erst e Reise
um die Erde, hrsg. von Robert Grün, Wies-
baden 2009.
SeinSchwert kann er
nicht mehr ziehe n.
Mit dem Gesicht voran
fällt Magellan
ins Wasser
und wird totgehauen.
Der Nimbus
der Unbesiegbark eit
ist dahi n, das Selbst
vertrauen er schüttert.
Ihre Gier alle rdings
haben sie nicht verloren.
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wan
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C
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QUELLE: RUTAELCANO.COM