30 PANORAMA DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,18.SEPTEMBER2019
E
inmal wird Joschka Fi-
scher regelrecht laut.
„Ich war nie Maoist, nie
Trotzkist!“, unterbricht
er Robert Habeck, der gerade zu
erklären versuchte, seine idealis-
tische Phase sei, anders als bei
dem frühen Rebellen ihm gegen-
über, erst nach dem Abitur ge-
kommen – „aber ohne diesen
Maoismus und diesen Trotzkis-
mus von Joschka“.
„Was warst du denn?“, fragt
Habeck, der Schriftsteller mit
Doktortitel, ratlos zurück. Jetzt
wirkt Fischer, der Schulabbre-
cher, Fotografenlehreabbrecher,
Taxifahrer und Buchhändler,
überfragt – bis ihm von jahr-
gangsnahen kundigen Thebanern
aus dem Publikum ein „Na,
Sponti halt“ zugerufen wird.
Spontis hatten nachweisbar kei-
ne Ideologie – und Philosophie-
studenten wie Habeck wurden in
den 90er-Jahren an den Universi-
täten offenkundig nicht mehr
von K-Gruppen belästigt.VON ANSGAR GRAWVizekanzler außer Dienst trifft
Kanzler der Reserve – im Hebbel
am Ufer, einem aus dem Milieu
des Vor-68-Bürgertums von Ber-
lin-Kreuzberg hervorgegangenen
Theaterkombinat, diskutieren
zwei Alpha-Männer der Grünen
über Geschichte und Zukunft ih-
rer Partei. Grimmig zunächst der
ältere, Jahrgang 1948, immer
noch mimisch das Gewicht derWeltläufte schleppend, und zu-
kunftsfroh der andere, Jahrgang
1969, der unlängst sagte, die Grü-
nen seien „schon längst in der
Rolle einer quasi Regierungspar-
tei im Wartestand“.
Die Diskussion am mit Was-
serkaraffen und Gläsern sparta-
nisch bestückten Holztisch, mo-
deriert von der Fernsehjournalis-
tin Anke Plättner, ist Teil des 19.
Internationalen Literaturfesti-
vals. Das wird aber erst ganz am
Ende eine kleine Rolle spielen.
Zunächst ist unverbindliche
Freundlichkeit angesagt. Fischer
lobt die Doppelspitze von „Ro-
bert Baerbock und Annalena“
(sic!), und das Publikum freut
sich, obwohl der Ex-Außenminis-
ter ja sicher witzeln wollte „und
Annalena Habeck“.
Der Grünen-Vorsitzende wie-
derum besingt auf die Frage, was
er an Fischer bewundere, dessen
„Risikobereitschaft und Furcht-
losigkeit“ – und meinte damit er-
kennbar nicht den einstigen
schwarz behelmten Frankfurter
Straßenkämpfer, der nach Erin-
nerung von Zeitzeugen 1976 für
seinen berühmt gewordenen An-
griff auf einen Polizisten wartete,„bis den die anderen überwältigt
hatten“.
Nein, es geht um den Politiker
Fischer, der, so Habeck, wohl alle
Auseinandersetzungen auf Par-
teitagen verloren habe („Bis auf
die eine“, wirft Fischer ein) und
trotzdem als Realo unbeirrt blieb
in dem Projekt, die Grünen in die
Koalition mit der SPD zu führen.
Und „die eine“ Auseinanderset-
zung, das war 1999 auf dem Biele-
felder Parteitag, als der frischge-
backene Außenminister die bis
dahin pazifistisch argumentie-
renden Grünen mehrheitlich für
eine deutsche Beteiligung am Na-
to-Kriegseinsatz im Kosovo ge-
wann. „Massenvergewaltigungen,
Morde, Srebrenica, das war nicht
hinnehmbar“, erinnert Fischer andie Gräuel des Balkankrieges. Da-
mals flog der Farbbeutel eines
Autonomen, der sein Trommel-
fell platzen ließ. „Meine Vergan-
genheit ist ja bekannt, ich war ja
nicht für das Prinzip ‚linke Backe,
rechte Backe‘. Ich wär am liebs-
ten hinter dem Kerl hergelaufen“,
grollt Fischer immer noch.
Die Bielefelder Entscheidung
für den Nato-Einsatz habe die
Grünen verändert, sagt Habeck.
Ein bedingungsloser Pazifismus
mache nun einmal nicht die Welt
besser. Andererseits könne man
nicht „mit wehenden Fahnen in
jeden Konflikt ziehen“.
Was das für die von Deutsch-
land nicht eingehaltene Selbst-
verpflichtung aller Nato-Staaten
bedeute, zwei Prozent des Brut-DEUTSCHLAND
Forscher untersuchen
Polizeigewalt
AAAuf einen Verdachtsfall vonuf einen Verdachtsfall von
illegaler Polizeigewalt kommen
in Deutschland Forschern zu-
fffolge mindestens fünf Fälle, dieolge mindestens fünf Fälle, die
nicht angezeigt werden. Das
geht aus der ersten Studie zur
Erforschung illegaler Polizei-
gewalt in Deutschland hervor.
Das Dunkelfeld läge damit bei
mindestens 10.000 mutmaß-
lichen Gewalttaten durch Poli-
zisten im Jahr. Wissenschaftler
der Ruhr-Universität Bochum
haben einen Zwischenbericht
der Studie („Körperverletzung
im Amt“) veröffentlicht, für die
knapp 3400 mutmaßliche Op-
fffer von rechtswidriger Polizei-er von rechtswidriger Polizei-
gewalt Auskunft gaben. Jahr
fffür Jahr wird gegen rund 4000ür Jahr wird gegen rund 4000
Polizisten von den Staatsan-
waltschaften ermittelt – wegen
2 000 Verdachtsfällen illegaler
Polizeigewalt. Die Gewerk-
schaft der Polizei (GdP) teilte
mit: „Die Polizei genießt in
allen Umfragen großes Ver-
trauen und hohe Wertschät-
zung. Das wäre nicht der Fall,
wenn hier etwas im Argen
läge“.
GROSSBRITANNIEN
Viermal Ärmelkanal
durchschwommen
Als erster Mensch hat eine
US-Bürgerin viermal hinter-
einander ohne Pause schwim-
mend den Ärmelkanal durch-
quert. Ein auf Video zeigte, wie
Sarah Thomas am Dienstag-
morgen nach ihrer 54-stündigen
Ausdauerleistung in Dover an
der Küste von Südengland von
Unterstützern mit Jubel emp-
fangen wurde. Die 37-Jährige
hatte vor einem Jahr eine Be-
handlung wegen Brustkrebs
abgeschlossen. Mit ihrer auf-
sehenerregenden Aktion wollte
sie den Sieg über den Krebs
feiern.INDONESIENWaldbrände belasten
Orang-UtansDie riesigen Brände im indone-
sischen Regenwald belasten
auch die gefährdeten Orang-
Utans auf Borneo. Hunderte
gerettete Orang-Utans in
Schutzeinrichtungen und Wie-
derauswilderungs-Stationen
seien von dem dichten Rauch
betroffen, berichtete die Borneo
Orangutan Survival Foundation
am Dienstag. Von 355 dort le-
benden Tieren litten bereits 37
an Atemwegserkrankungen in
Folge des Qualms. In einer
Schutzstation in der Provinz
Ost-Kalimantan ist der Rauch
so dicht, dass die Tiere nur
noch wenige Stunden am Tag
ins Freie gelassen werden.TÖDLICHER SUV-UNFALLKein Hinweis auf
technischen DefektNach dem SUV-Unfall mit vier
Toten in Berlin hat die Staats-
anwaltschaft technische Pro-
bleme des schweren Sport-
geländewagens ausgeschlossen.
„Es gibt keine Hinweise auf
einen technischen Defekt“,
sagte der Sprecher der Staats-
anwaltschaft, Martin Steltner.
Der Anwalt des 42 Jahre alten
Unfallfahrers habe in einem
Schreiben an die Staatsanwalt-
schaft auf eine „akute gesund-
heitliche Notlage“ hingewiesen,
sagte der Sprecher. Ob es sich
um Krämpfe oder einen epilep-
tischen Anfall gehandelt haben
könnte, sagte Steltner nicht.KOMPAKT
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