Süddeutsche Zeitung - 18.09.2019

(Tina Sui) #1
interview: julian hans

Z

um Büro des Münchner Polizeipräsi-
denten führen fünf Türen, aber wir
betreten es durch eine sechste. Die
ist normalerweise gar nicht da, verdeckt
hinter der Holzvertäfelung. Aber im Gebäu-
de in der Ettstraße wird gerade gebaut:
Eine neue Brandschutzmauer wird einge-
zogen, die reicht vom Keller bis unters
Dach und geht mitten durch das Vorzim-
mer des Chefs. Bis alles fertig ist, musste
seine Sekretärin umziehen. Und sie haben
dem Chef ein Schild ausgedruckt und an
die Interimstüre geklebt: „Ausgang“ steht
in großen Buchstaben drauf. „Das ist eine
Maßnahme gegen die Macht der Gewohn-
heit“, erklärt Hubertus Andrä. Sie soll ver-
hindern, dass Kollegen immer gegen die
alte Ausgangstüre rennen, „einschließlich
ich selbst“, gibt der 63-Jährige zu.


SZ: Herr Andrä, kommen Sie morgens
gern in dieses Büro?
Hubertus Andrä: Noch immer. Und immer
wieder, ja. Das hat natürlich auch etwas
mit der Aufgabe zu tun.


Hinter diesem Schreibtisch hat auch
schon der SS-Führer Heinrich Himmler
gesessen.
Ob es wirklich dieser Schreibtisch war, kön-
nen wir nicht mit Sicherheit sagen. Das Ge-
bäude und auch viele Möbel wurden im
Krieg stark beschädigt. Möglicherweise


wurde der Schreibtisch später nachge-
baut, oder er war in Sicherheit gebracht
worden. Aber es stimmt: Himmler war
vom 9. März 1933 an fünf Wochen lang Poli-
zeipräsident von München und hat wohl in
diesem Zimmer residiert. Das ist für mich
persönlich etwas, woran ich immer wieder
denke.

Was bedeutet das für Sie?
Wir haben heute eine ganz andere Polizei,
eine demokratische, die nicht politisch ge-
lenkt ist. Mich stimmt trotzdem nachdenk-
lich, wie schnell so eine Organisation um-
funktioniert werden kann. Es war ja nicht
so, dass die Polizei von Anfang an auf der
Seite der Nazis war. Es waren Polizeibeam-
te, die den Marsch auf die Feldherrnhalle
gestoppt haben. Während des Hitlerput-
sches wurden vier Münchner Polizeibeam-
te getötet. Erst als Himmler hier das Kom-
mando übernommen hat und Personal aus-
getauscht wurde, ist das gekippt und die
Münchner Polizei hat ihre Werte verraten;
sie hat die Schwachen nicht mehr ge-
schützt und war an Massenverhaftungen
beteiligt und an Transporten nach Dachau.
Man muss aber auch wissen: Die erste
Wachmannschaft im Konzentrationslager
Dachau waren Polizisten, die sich massiv
darüber beschwert haben, wie dort mit den
Menschen umgegangen wird. Danach wur-
den sie durch Leute von SA und SS ersetzt.

Mit einem deutlichen „Klack“ springt der
Zeiger der Wanduhr um. Unter den Füßen
knarzt das Parkett. Dieser Raum, diese Mö-
bel, diese getäfelten Wände sind mit Ge-
schichte getränkt. Hier entwickelte der Poli-
zeipräsident Manfred Schreiber aus der Er-
fahrung der Schwabinger Jugendkrawalle
in den Sechzigerjahren die „Münchner
Linie“: rebellisches Verhalten Jugendlicher
als massenpsychologisches Phänomen zu
verstehen und ihnen gelassen zu begegnen
statt mit Polizeigewalt. Während des ersten
Banküberfalls mit Geiselnahme in der Bun-

desrepublik traf sich hier 1971 der Füh-
rungsstab. Ein Jahr später beim Olympia-
Attentat wieder. Und beim Amoklauf im
Olympia-Einkaufszentrum vor drei Jahren
saßen hier der Oberbürgermeister, der In-
nenminister und der Ministerpräsident
mit Andrä um den Tisch.

Man hat fast den Eindruck, Sie arbeiten in
einem Museum.
Im täglichen Dienst ist es zunächst einmal
mein Büro, und ich denke nicht jeden Tag
an die Historie. Dieses Zimmer war schon
immer das Büro des Polizeipräsidenten.
Früher war es zugleich Teil seiner Woh-
nung. Die Angehörigen haben mit im Präsi-
dium gewohnt. So war der Präsident rund

um die Uhr greifbar. Handys gab es ja noch
keine und nur wenige Telefone.

Was ist das Geheimnis der vielen Türen,
die zu diesem Raum führen?
Also die Tür hinter meinem Schreibtisch
hat wohl in längst vergangenen Zeiten, als
die Familie des Präsidenten mit im Präsidi-
um gewohnt hat, zu den privaten Räumen
geführt. Dahinter führt jetzt eine kleine
Treppe in einen Besprechungsraum. Hin-
ter der Tür links vom Besprechungstisch
gibt es die Möglichkeit, mich kurz frisch zu
machen. Hinter der Tür rechts vom Tisch
verbirgt sich eine kleine Garderobe für
mich. Da hängt meine Uniform, meine Pri-
vatkleidung, da habe ich meine Ausrüs-

tungsgegenstände und die Schutzweste.
Die Tür ganz am anderen Ende neben dem
Eingang ist verschlossen, da steht im Vor-
zimmer ein Regal davor. Und dann gibt es
noch die Türen mit den Glasfenstern: Hin-
ter dem einen verbergen sich Geschirr, Glä-
ser, Tassen und so weiter. Die andere wird
als Aktenschrank benutzt.

Können Sie Ihr Büro denn überhaupt ein
bisschen persönlich gestalten?
Die Gemälde hier waren alle schon drin.
Die sieht man schon auf Fotografien von


  1. Diese Wände sind nicht geweißelt,
    die sind mit Stoff bespannt. Deswegen dür-
    fen wir hier nicht einfach Bilder aufhän-
    gen. Bevor man da einen Nagel reinschlägt,
    muss der Samt speziell behandelt werden,
    sonst würde es Laufmaschen geben.


Während des einstündigen Gesprächs klin-
gelt keines der drei Telefone im Raum. Ab
und zu gibt eines der Handys Laut, wenn ei-
ne Nachricht eintrifft. Andrä hat zwei
Smartphones: ein gewöhnliches und ein „Po-
lice-Handy“, über das die Polizei verschlüs-
selt kommunizieren kann. Neben seinem
Computer noch zwei Tablets – und zwei
Füllfederhalter, einer mit blauer Tinte,
einer mit grüner. Damit macht der Chef
seine Anmerkungen. Betankt werden die
Füller noch mit Tinte aus dem Fass. Neben
dem Stehpult steht ein Wassersprudler; im
Hochsommer soll der Polizeichef nicht aus-
trocknen.

Haben Sie nie daran gedacht, sich ein mo-
dernes Büro einzurichten mit großen
Flachbildschirmen, die Lagepläne und Bil-
der von Einsätzen anzeigen?
Das war nie ein Thema. Dafür gibt es den
Führungsstab, der ist mit der ganzen Tech-
nik ausgestattet, die man braucht. Aber
hier war immer das Büro des Polizeipräsi-
denten und ich möchte es auch in diesem
Zustand erhalten als Teil unserer Erinne-
rung und Mahnung.

MÜNCHNER
CHEFZIMMER

Verbrecherjagd im Museum


DasBüro des Münchner Polizeipräsidenten Hubertus Andrä hat sich seit Jahrzehnten nicht verändert, selbst die Gemälde an den Wänden sieht man schon auf frühen Fotografien.
Am selben Schreibtisch soll SS-Führer Heinrich Himmler gesessen haben. Trotzdem wird der Raum in diesem Zustand erhalten – „als Teil unserer Erinnerung und Mahnung“

Hubertus Andrä ist Polizist durch und
durch.Geboren vor 63 Jahren als Sohn ei-
nes Polizeibeamten in Garmisch-Partenkir-
chen begann er mit 19 Jahren seine Lauf-
bahn im Dienstgrad eines Polizeiwacht-
meisters der Bayerischen Bereitschafts-
polizei. Nach dem Einsturz der Eislaufhalle
in Bad Reichenhall im Januar 2006 leitete
er den Großeinsatz. Später holte ihn Joa-
chim Herrmann ins Innenministerium.
Dort hatte Andrä zunächst die Oberauf-
sicht über Polizeieinsätze, später leitete er
die Abteilung für Cybersicherheit. Seit
2013 ist er Münchens Polizeipräsident.

Ein Besuch bei
Hubertus Andrä,
Münchner Polizeipräsident
SZ-Serie · Folge 11

Dieser Raum, diese Möbel, diese getäfelten Wände sind mit Geschichte getränkt.

Handy und Füllfederhalter,
Bildschirm und Bibel,
Hightech und Holztäfelung:
Im Büro des
Polizeipräsidenten treffen
Geschichte und Gegenwart
aufeinander. Für Andenken
an besondere Begegnungen
hat Hubertus Andrä einen
kleinen Winkel reserviert.
Oft haben Gäste aus dem
Ausland nur wenig Zeit,
denen zeigt er dann die
Stadt im Bildband.
Hinterher dürfen sie sich
im ledergebundenen
Gästebuch verewigen.
FOTOS: ALESSANDRA SCHELLNEGGER

Vita


Franz Herzog von Bayern, 86,wird dieses
Jahr mit dem Eugen-Biser-Preis geehrt.
Das Oberhaupt des Hauses Wittelsbach,
der früheren Herrscherfamilie des König-
reichs Bayern, sei mit dem 2014 gestorbe-
nen katholischen Religionsphilosophen
Biser über Jahre verbunden gewesen und
habe dessen wissenschaftliches Werk ge-
fördert, teilte die Eugen-Biser-Stiftung in
München mit. Bis zu seinem 80. Lebens-
jahr war Franz Herzog von Bayern zudem
Schirmherr der Stiftung. Der mit 5000 Eu-
ro dotierte Preis wird am 11. November in
der Allerheiligen-Hofkirche in München
vergeben. Mit der Auszeichnung werden
nach Angaben der Stiftung „herausragen-
de Persönlichkeiten des öffentlichen und
akademischen Lebens“ geehrt, die sich um
jene Werte nachhaltig verdient gemacht ha-
ben, für die Biser in seiner Theologie ein-
trat wie Freiheit des Individuums und Re-
spekt der Menschenwürde. Zu den bisheri-
gen Preisträgern zählen die Präsidentin
der Israelitischen Kultusgemeinde Mün-
chen und Oberbayern, Charlotte Kno-
bloch, und der frühere Vorsitzende der
Deutschen Bischofskonferenz, der Main-
zer Karl Kardinal Lehmann. dpa

München– Eines muss man Illustratorin
Sabine Straub lassen: Bastian Schweinstei-
ger als Husky Basti, Viktoria Rebensburg
als Reh Vicky sind prima getroffen, aber
den Waschbären Calli hat sie besonders
wunderbar hinbekommen. Herrlich, wie
sie den von einem gewissen Reiner Cal-
mund inspirierten Faulpelz in der blau-
weiß gestreiften Obelix-Hose inszeniert:
immer an einem Baum gelehnt, Limo trin-
kend, Kekse, Schokolade oder anderen Süß-
kram in sich reinfutternd. Dass er sich
beim Training zum Waldfest-Hindernis-
lauf erst mal schwertut, ist klar. Aber zum
Glück hat er richtig gute Freunde mit rich-
tig guten Ideen ...
Wer annimmt, dass die Versuchsanord-
nung von Felix Neureuthers drittem Bilder-
buch stark Richtung Happy End weist, liegt
richtig. „Ixi, Mimi und das Zaubermüsli“
heißt das Werk, erstmals steht nicht Ixi,
Deutschlands beliebtester Ex-Skifahrer,
im Mittelpunkt, sondern Gattin Miriam,
die Mimi. „Unser Neffe Oskar konnte das ,r‘
nicht aussprechen, so ist aus Miriam Mimi
geworden“, erklärt die ehemalige Biathle-


tin, die nebenbei ihr Karriereende verkün-
det: wegen erneuter Schwangerschaft.
Tochter Magdalena bekommt Gesell-
schaft. „Wir wissen schon, was es wird,
behalten es aber für uns“, sagt Mama Neu-
reuther.
Ansonsten geben Neureuthers einiges
von sich preis, in beinahe kitschigem Ambi-
ente: auf der Dachterrasse des Sporthauses
Schuster, Blick auf den Alten Peter, weiß-
blauer Bayern-Himmel – und als die Foto-
grafen so richtig in Fahrt sind, legt nebenan
auch noch das Glockenspiel los. Drinnen
findet Geschäftsführer Flori Schuster war-
me Worte für das Traumpaar: „Es ist im-
mer eine Freude, die beiden im Haus zu ha-
ben.“ Zu Felix Neureuther sagt er: „Ich hab’
schon deine Mutter gekannt, bevor du auf
der Welt warst – die war auch schon so
nett.“ Mit Blick auf Miriam Neureuther fügt
der Chef des Sporthauses an: „Und anschei-
nend kann man das auch dazuheiraten.“
Zurück zum Buch: Um gesunde Ernäh-
rung geht es diesmal, deshalb ist auch Mi-
mi Neureuther Chefin im Ring, hat sie doch
Ernährungsberatung, Ernährungsmedizin

und Heilpflanzenkunde studiert. Ex-Profi
Felix Neureuther gesteht dagegen: „Ich bin
ja eher so der Typ Leberkäs. Mit Kochen
hab’ ich nicht viel am Hut.“ Nicht nur im
Buch, auch im richtigen Leben habe er sich
vor dem Training schon mal eine Leberkäs-
semmel oder gar einen Döner reingestopft.
Da schüttelt es seine Frau heute noch: „Ich
hab’ mich immer gefragt: Wie will der denn
jetzt trainieren?“
Aber selbst ein Felix Neureuther wird ja
älter, womöglich reifer und empfänglicher
für die gesunden Seiten des Lebens. Zum
Beispiel Zaubermüsli: Haferflocken (Bal-
last- und Mineralstoffe) mit Kokosmilch,
Äpfeln, Bananen (Kalzium und Kalium für
den Knochenbau), Nüssen (Nervennah-
rung), Mandeln, Leinsamen, Honig (gegen
Allergien und Heuschnupfen), Zimt, ge-
trockneten Früchten und geriebenen Karot-
ten (Vitamine A, B1, B2, C und E) – ein Mix,
der jeden Morgen im frisch bezogenen Ei-
genheim der Neureuthers in Partenkirchen
auf den Tisch kommt und der selbst aus
kugelrunden Waschbären Winner-Typen
macht. thomas becker

Endlich Zeit für einen Apfel: Felix und Miriam Neureuther haben auf der Dach-
terrassedesSporthauses Schuster ihr Kinderbuch präsentiert. FOTO: STEPHAN RUMPF

Haferflocken für den Typ Leberkäs LEUTE DES TAGES


Felix Neureuther hat als Spitzensportler schon mal gesundes Essen vernachlässigt – jetzt schreibt er mit seiner Frau Kinderbücher und gibt dabei Ernährungstipps



R6 – (^) LEUTE Mittwoch,18. September 2019, Nr. 216 DEFGH

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