Die Welt Kompakt - 19.09.2019

(C. Jardin) #1

12 WIRTSCHAFT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,19.SEPTEMBER


I

st Deutschland eine wohl-
habende Nation? Oder die
USA? Europa? Um die Frage
zu beantworten, kann man
Geld zählen und Vermögensge-
genstände. Man kann dem die
Verschuldung gegenüberstellen
und aus all den Daten dann ei-
nen Durchschnittswert errech-
nen, der zeigt: Zweifellos sind
Deutschland, Europa und die
USA wohlhabend. Vielleicht so-
gar reich.

VON FRANK STOCKER

Doch man kann auch einen
Schritt weiter gehen, indem
man sich die Vermögensvertei-
lung ansieht. Und einen Schritt
weiter, indem man die Entwick-
lung dieser Vermögensvertei-
lung über die vergangenen zwei
Jahrzehnte betrachtet. Genau
dies hat die Allianz nun für 53
Länder getan. Die Ergebnisse
sind teilweise erwartbar, ent-
sprechen dem, was viele denken
und glauben: In einigen Län-
dern wurden die Reichen im-
mer reicher. Teilweise sind die
Ergebnisse aber recht überra-
schend, auch für Deutschland.
Auf der ersten Ebene der Be-
trachtung, dem durchschnittli-
chen Nettovermögen, liegen
die USA klar an der Spitze mit
184.000 Euro pro Kopf. Knapp
dahinter folgt die Schweiz mit
174.000 Euro. Deutschland er-
scheint erst auf Rang 18 mit
knapp 53.000 Euro, ungefähr
auf dem gleichen Niveau wie


Italien und Österreich. Die Zah-
len beziehen sich auf 2018, die
Allianz-Ökonomen haben dafür
die reinen Geldvermögen der
privaten Haushalte betrachtet,
also Barbestände, Bankeinla-
gen, Versicherungsguthaben
sowie Wertpapiere wie Aktien,
Anleihen oder Fonds – das Ver-
mögen in Immobilien wurde
nicht einbezogen, da es hierfür
keine international vergleich-
baren Daten gibt. Davon wur-
den dann die Schulden abgezo-
gen, um so das Netto-Geldver-
mögen zu erhalten.
2018 ist dieses fast in allen
Ländern zurückgegangen. „Das
war im Wesentlichen eine Folge
des Rückgangs bei den Aktien-
kursen“, sagt Michael Heise,
Chefvolkswirt der Allianz.
Weltweit betrug der Vermö-
gensrückgang 1,9 Prozent. Eine
der ganz wenigen Ausnahmen
bildete Deutschland, denn hier
stieg das Netto-Geldvermögen
um 1,1 Prozent. Der Grund da-
für ist einfach: „Die Deutschen
legen viel weniger als andere in
Aktien an“, so Heise.
Das wirkte sich im vergange-
nen Jahr positiv aus, langfristig
sind die Folgen verheerend. So
legen die Deutschen zwar jedes
Jahr fast genau so viel auf die
hohe Kante wie die Einwohner
aller anderen Euro-Länder zu-
sammen. Doch sie werden
trotzdem immer weiter abge-
hängt. Denn die anderen profi-
tieren von den Vermögenszu-
wächsen ihrer Aktienanlagen.

Konkret gehen bei den Deut-
schen nur zehn Prozent des
Vermögenswachstums seit der
Finanzkrise auf die Wertsteige-
rungen solcher Anlagen zurück.
Im restlichen Euro-Raum sind
es jedoch knapp 50 Prozent, in
Nordamerika sogar über 60
Prozent. „Wir arbeiten fürs
Geld, statt das Geld für uns ar-
beiten zu lassen“, sagt Heise.
Die Folgen werden sich vo-
raussichtlich auch im laufenden
Jahr wieder zeigen, denn seit
Jahresbeginn sind die Aktien-
kurse wieder kräftig gestiegen.
Heise erwartet daher 2019 auch
wieder ein weltweites Vermö-
gensplus von knapp sieben Pro-
zent, sollte es nicht noch zu ei-
nem Börseneinbruch kommen.
Die Deutschen würden davon
aber dann wieder nur unterpro-
portional profitieren.
Das ist traurig genug. Es hat
aber noch eine weitere Folge.
Diese zeigt sich bei der Be-
trachtung der Vermögensver-
teilung. Um diese zu ermitteln,
haben die Allianz-Ökonomen
die durchschnittlichen Vermö-
gen der jeweiligen Länder mit
dem Median der Vermögen ver-
glichen. Der Median ist der
Punkt, an dem exakt eine Hälfte
der Bevölkerung mehr besitzt
und die andere Hälfte weniger.
Weicht der Durchschnittswert
stark vom Median ab, dann be-
deutet dies, dass es offenbar
wenige große Vermögen gibt,
die den Durchschnitt nach oben
ziehen – und das ist ein Hinweis
auf eine starke Ungleichheit.
Und hier zeigt sich, wie un-
gleich die Vermögen vor allem
in den USA verteilt sind. Denn
während dort das durchschnitt-
liche Vermögen 184.000 Euro
pro Kopf beträgt, was auf eine
wohlhabende Gesellschaft hin-
deutet, liegt der Median nur bei
27.000 Euro, sprich: Die Hälfte
der US-Bürger besitzt weniger
als 27.000 Euro.
Die USA stürzen dadurch von
ihrem Spitzenplatz beim
Durchschnittsvermögen um
zwölf Plätze ab und landen in
der Länderliste des Median-
Vermögens nur noch auf Rang


  1. Dafür erklimmt nun die
    Schweiz den ersten Platz. Dort
    besitzt die Hälfte der Bevölke-
    rung immerhin mehr als 84.
    Euro. Auch Japan, die Nieder-
    lande und Belgien verbessern
    sich um mehrere Plätze, und
    den größten Sprung nach vorne
    macht Italien. Denn dort ist das
    Durchschnittsvermögen zwar
    relativ niedrig, es ist aber auch
    relativ gleichmäßig verteilt.
    Absteiger sind dagegen ne-
    ben den USA beispielsweise
    Großbritannien und Schweden,


aber auch Deutschland. Hier
liegt der Median nur bei 16.
Euro – die Hälfte der Deut-
schen hat also nicht einmal
17.000 Euro auf der hohen Kan-
te, weniger als ein Drittel des
durchschnittlichen Nettover-
mögens von 53.000 Euro.
Dies ist einerseits eine Lang-
zeitfolge der deutschen Tei-
lung. Im Osten konnten die
Menschen nicht über mehrere
Generationen Vermögen auf-
bauen, sodass die Ersparnisse
dort nach wie vor niedriger
sind. Zum anderen investieren
hierzulande aber eben auch fast
nur Wohlhabende in Aktien.
Bleibt die entscheidende Fra-
ge: Wird es nun immer schlim-
mer mit der Vermögensun-
gleichheit oder vielleicht sogar
besser? Um das zu beantwor-
ten, haben die Allianz-Ökono-
men die Entwicklung von
Durchschnittsvermögen und
Median-Vermögen seit dem
Jahr 2000 betrachtet. Das Er-
gebnis: Es kommt darauf an.
So sind die Unterschiede in
den USA tatsächlich rasant ge-
wachsen. Ähnliches gilt auch
für die Schweiz und vor allem
für einige Schwellenländer wie
Indien, Russland oder China,
dessen Führung sich nach wie
vor kommunistisch nennt.
Auf der anderen Seite gibt es
aber auch eine Reihe von Län-
dern, in denen die Vermögens-
ungleichheit in den vergange-
nen 20 Jahren deutlich zurück-
gegangen ist, beispielsweise in
Belgien oder Japan, aber auch

in einigen Schwellenländern
wie Thailand oder Brasilien. Es
gibt also kein Naturgesetz, dass
die Reichen immer reicher wer-
den und sich die Vermögens-
schere immer weiter ausweitet.
All das ist durchaus steuerbar.
Und Deutschland? Das liegt in
der Mitte der Skala, mit einer
ganz leichten Abnahme der Ver-
mögensungleichheit seit dem
Jahr 2000. „Allerdings hat in der
ersten Hälfte dieser Periode die
Ungleichheit eher zugenommen,
während sie in den letzten Jah-
ren wieder zurückgegangen ist“,
erklärt Michael Heise die Ent-
wicklung. Er sieht einen Hoff-
nungsschimmer. Denn seine Da-
ten zeigen auch, dass die Deut-
schen in den vergangenen Jahren
dazugelernt zu haben scheinen.
Sie legen offenbar verstärkt in
WWWertpapieren an. „2018 hat die-ertpapieren an. „2018 hat die-
sen Trend bestätigt“, sagt Heise.
Mehr noch: Während die Men-
schen in anderen Euro-Ländern
ihren Wertpapierbestand oft so-
gar verringert haben, haben die
Deutschen ihn ausgebaut.
„Die Vermögensstruktur ver-
bessert sich dadurch“, sagt Hei-
se. Denn der Anteil des unver-
zinsten Geldes auf dem Spar-
buch wird geringer, gut rentie-
rende Aktien werden wichtiger.
Mittelfristig könnte dies das
Vermögen der Deutschen er-
heblich vergrößern – sowohl im
Durchschnitt als auch im Medi-
an. Und am Ende wären die
Deutschen dann vielleicht tat-
sächlich irgendwann eine wohl-
habende Nation.

So wohlhabend sind die


Deutschen wirklich


Das Vermögen der Bundesbürger wuchs im vergangenen Jahr


erneut. Das liegt auch an der traditionellen Scheu vor der Börse


Beitrag von Wertpapieren zum Wachstum
des Gesamtvermögens

Quelle: Allianz

in Prozent







Deutschland Japan übriger
Euroraum

Nordamerika

Nettogeldvermögen (Median)

*gegenüber dem Durchschnitt. Quelle: Allianz

pro Kopf ����, in Euro Auf-/Abstieg (Anzahl der Ränge)*
Schweiz
Japan
Niederlande
Belgien
Taiwan
Singapur
Neuseeland
Australien
Kanada
Italien

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Israel
Schweden
USA
Frankreich
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Großbritann.
Österreich
Südkorea
Spanien
Deutschland

Durchschnittliches Nettogeldvermögen

Quelle: Allianz

pro Kopf ����, in Euro Veränderung gegenüber Vorjahr
 USA
 Schweiz
 Singapur
 Taiwan
 Niederlande
 Japan
 Schweden
 Belgien
 Neuseeland
 Dänemark

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�� Kanada
 Großbritann.
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 Australien
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�� Österreich
�� Italien
��Deutschland
�� Irland
�� Südkorea

21. – 29. SEPT.


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