Die Welt Kompakt - 19.09.2019

(C. Jardin) #1
KULTUR DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,19.SEPTEMBER2019 SEITE 20

N

ein,es ist kein schö-
nes Bild. Drei ältere
Männer sitzen auf
der Terrasse eines
Frankfurter Fußgängerzonen-
italieners, auf den weißen
Tischdecken die Überreste ei-
nes Business-Lunchs, leere
WWWassergläser und Espressotas-assergläser und Espressotas-
sen. Sie lächeln angestrengt
und fotografisch unterbelich-
tet in die Kamera eines Mobil-
telefons, das sie offenbar ei-
nem Vierten – vielleicht einem
Kellner – in die Hand gedrückt
haben, um die gesellige Runde
zu dokumentieren. Man kann
sich den Film, zu dem dieses
Foto als Filmstill gehört, gar
nicht ausdenken – selbst dann

nicht, wenn man sich tief in
den ikonologischen Kosmos
des deutschen Fernsehfilms im
Allgemeinen und der hessi-
schen Filmförderung im Spe-
ziellen hineinversetzt, und das
ist im Folgenden unvermeid-
lich.

VON ANDREAS ROSENFELDER

Der Mann in der Mitte, er
trägt ein weit aufgeknöpftes
Hemd und eine rundliche Bril-
le, ist nämlich der Chef der
hessischen Filmförderung. Bis
vor Kurzem kannte außerhalb
von deren Kreisen – also jenen,
die auf Filmförderung hoffen,
über sie mitentscheiden oder
in ihren Genuss kommen – kei-
ner seinen Namen. Nun kennt
ihn in der kleinen, aber erreg-
baren Schnittmenge von Poli-
tik, Kultur und Medien so gut

wie jeder. Das liegt an den an-
deren beiden Männern auf
dem Bild, die deutlich berühm-
ter sind als Hans Joachim Men-
dig, seines Zeichens Diplom-
Betriebswirt und Honorarpro-
fffessor an der Hochschuleessor an der Hochschule
Darmstadt. Rechts von ihm
sitzt Moritz Hunzinger, ein
PR-Berater, der sich als Na-
mensgeber der „Hunzinger-Af-
fffäre“ einen Platz in den Anna-äre“ einen Platz in den Anna-
len der Berliner Republik gesi-
chert hat, links von ihm sitzt
mit teutonisch hochgekrem-
pelten Hemdsärmeln Jörg
Meuthen, fernsehbekannter
Bundessprecher der AfD und
Europa-Abgeordneter seiner
Partei.

Öffentlich wurde dieses
nicht hundertprozentig appe-
titliche Essensbild, wie so viele
andere Essensbilder, durch ei-
nen Instagram-Post – und zwar
auf dem offiziellen Account
von Meuthen, der es dort am
2 4. Juli 2019 mit dem Kommen-
tar hochlud: „Sehr angeregter
und konstruktiver politischer
Gedankenaustausch heute in
Frankfurt mit Prof. Dr. Moritz
Hunzinger und Prof. Dr. Hans
Joachim Mendig.“ Diesen Post
samt Kommentar entdeckte
mit einiger Verzögerung das
Frankfurter Stadtmagazin
„Journal“, das unter der Über-
schrift „Ein Flirt mit der AfD“
ausführlich darüber berichtete,
und dieser Bericht wiederum
war Anlass für eine auf der Sei-
te artechock.de veröffentlichte
„Erklärung von über 300 Film-
schaffenden“, in welcher Hans

Joachim Mendig ohne große
Umschweife zum Rücktritt
aufgefordert wird.
WWWas sind die Gründe deras sind die Gründe der
„Filmschaffenden“, die sich
halbwegs prominent unter die-
sem schrecklichen Oberbegriff
versammeln? Zunächst gibt es
ein physiognomisches Argu-
ment: „Das Foto zeigt die Män-
ner gemeinsam in die Kamera
lächeln“, heißt es in einem
Sprachstil, der so schmerzt,
dass sogar Oberstudienrat
BBBjörn Höcke „Ausdruck!“ anjörn Höcke „Ausdruck!“ an
den Rand geschrieben hätte.
AAAber wir befinden uns im Film-ber wir befinden uns im Film-
betrieb, und so geht es steif
weiter: „Der Geschäftsführer
der Hessen Film bekleidet eine

Position mit hohen Anforde-
rungen an Überparteilichkeit,
Offenheit für vielfältige künst-
lerische Positionen, demokra-
tische Kultur und Transpa-
renz. Er hat mit seinem Ver-
halten den Ruf der Hessen
Film, der durch seine autoritä-
re Amtsführung bereits vorher
belastet war, weiter schwer be-
schädigt.“
Wir wollen an dieser Stelle
nicht ausschließen, dass Men-
dig, der auf dem Souvenirbild
eher verunsichert aus der Wä-
sche schaut als triumphierend
lächelt, womöglich eine schwa-
che Besetzung als Chef einer
Filmförderanstalt ist (siehe da-
zu die Recherche unten auf der
Seite, wobei für diese Persona-
lie nun wirklich die AfD am we-
nigsten kann, denn Mendigs
Berufung 2017 verantwortete
die schwarz-grüne Landesre-

gierung). Wir können auch
nicht ausschließen, dass er mit
Positionen der AfD sympathi-
siert. Aber dass er sich als Chef
einer öffentlich finanzierten
Einrichtung mit einem PR-
Mann, an dem in Frankfurt kei-
ner vorbeikommt, und mit ei-
nem Vertreter einer im Euro-
pa-Parlament, im Bundestag
und im hessischen Landtag
vertretenen Partei trifft, dass
er ferner nicht aktiv verhin-
dert, dass einer der Anwesen-
den einen Schnappschuss des
in aller Öffentlichkeit stattfin-
denden Zusammentreffens ma-
chen lässt, und dass er dann auf
diesem Bild nicht demonstrativ
versteinert in die Kameras
schaut, sondern zu lächeln ver-
sucht, wie es die Gesetze der
Höflichkeit oder zumindest die
Reflexe der Menschlichkeit
verlangen – all das ist, wenn es
überhaupt etwas aussagt, eher
ein Beleg für „Überparteilich-
keit, Offenheit für vielfältige
künstlerische Positionen, de-
mokratische Kultur und Trans-
parenz“ als dagegen.
Inzwischen ist eine Armada
von Statements gegen Hans
Joachim Mendig unterwegs:
Der Hauptvorwurf lautet, er
hätte sich zumindest von Meu-
thens Kommentar distanzieren
müssen. Nur, in welcher Form?
Mit einem Dementi, der „Ge-
dankenaustausch“ sei weder
„anregend“ noch „konstruktiv“
gewesen? Ist es im Kontext von
AAAfD-Politikern ein Verstoß, diefD-Politikern ein Verstoß, die
von Jürgen Habermas (übri-
gens in Frankfurt) postulierten
Grundregeln kommunikativen
Handelns zu respektieren?
Man wird das Gefühl nicht
los, dass die Stellungnehmer
sich einfach einen anderen
Entscheider an dieser Schlüs-
selposition der hessischen
Filmförderung wünschen,
möglicherweise einen, der Tei-
le des Jahresetats von 10Mil-
lionen Euro in die eigenen Bud-
gets umleitet. Der Produzent
Michael Simon de Normier
(„Der Vorleser“), der im Ge-
spräch mit dem „Journal“ er-
klärte, dass für das Treffen zwi-
schen Mendig und Meuthen
„keine ‚Unschuldsvermutung‘
gelten kann“, behauptet, durch
den Vormarsch der AfD herr-
sche in der Filmförderung be-
reits ein „Retro-Trend“, kriti-
sche Projekte würden gestoppt
und nur noch „Heimatfilme“
gefördert.
Das klingt dramatisch, aber
man mag es, wenn man am
AAAbend irgendein drittes Fern-bend irgendein drittes Fern-
sehprogramm einschaltet,
nicht so richtig glauben. Viel-
leicht müsste sich ein ambitio-
nierter junger Autorenfilmer
daran machen, das Treffen zwi-
schen Meuthen, Mendig und
Hunzinger als neudeutschen
Heimatfilm zu adaptieren – in
der Tradition von Helmut
Dietls „Rossini oder die mörde-
rische Frage, wer mit wem
schlief“, und zur Not auch oh-
ne Fördermittel.

Instagram-Post von AfD-Sprecher Jörg Meuthen (l.) mit Hans Joachim Mendig, Geschäftsführer der
hessischen Filmförderung (M), und PR-Berater Moritz Hunzinger

Mit Rechten essen


Der Chef der hessischen Filmförderung hat sich mit


einem AfD-Politiker und einem PR-Berater zum Lunch


getroffen. Ist die Aufregung angebracht?


INSTAGRAM.COM/ JOERG.MEUTHEN

WIEN

Albertina zeigt
Dürer-Schau

Die Albertina in Wien startet
mit einer großen Ausstellung
zu Albrecht Dürer (1471–1528)
in den Herbst. Ab Freitag
zeigt das renommierte Mu-
seum rund 200 Werke des
Nürnbergers und erlaubt
dabei einen tiefen Blick in
das Atelier des Renaissance-
Künstlers. „Die Frische des
ersten Blicks, die hatte er,
und die hat er sich auch er-
halten“, sagte Albertina-
Direktor Klaus Albrecht
Schröder.

POP

Taylor Swift
kommt nach Berlin

US-Superstar Taylor Swift,
29, besucht im Rahmen der
kommenden Tour auch
Deutschland. Sie werde am


  1. Juni 2020 in der Berliner
    Waldbühne auftreten, gab die
    Musikerin am Dienstag be-
    kannt. „Ich möchte an Orte
    gehen, an denen ich noch nie
    war und Festivals spielen“,
    erklärte Swift.


KOMPAKT


I


n einem Tunnel bei Schal-
kau in Thüringen ist es zu
einem historisch einmali-
gen Vorfall gekommen. 500
Reisende mussten aus einem
liegen gebliebenen ICE in den
nachfolgenden Zug umstei-
gen. Das klingt nach Bahnrou-
tine, aber es steckt mehr da-
hinter. Wie oft hat man als
Reisender Durchsagen gehört,
die mit den Worten begannen:
„Wegen eines vorausfahren-
den Zuges verspätet sich lei-
der ...“ Und jedes Mal hat man
sich gefragt, warum man nicht
in diesem sagenhaften voraus-
fahrenden Zug sitzt, und über-
legt, wie man wohl ein Ticket
dafür buchen könnte. Wie oft
hat man sich vergeblich ausge-
malt, nur einmal im Leben in
einem vorausfahrenden Zug
zu sitzen und überall als Ers-
ter anzukommen. Nun aber ist
es der Bahn im Schalkauer
Tunnel „Baumleite“ gelungen,
den vorausfahrenden Zug
nicht nur einzuholen, sondern
auch die privilegierten Vo-
rausfahrer zu zwingen, in den
ewig benachteiligten nachfol-
genden ICE umzusteigen.
Wissenschaftler sind sich
noch nicht ganz einig, ob da-
mit die Relativitätstheorie
endgültig bestätigt oder wi-
derlegt wurde.

Zippert


zappt

Free download pdf