D. Heide, A. Kröner, C. Volkery
Peking, Frankfurt, LondonZ
wei Jahre nach der gescheiterten Fusion
mit der Deutschen Börse beginnt ein neu-
es Pokerspiel um die Londoner Börse.
Diesmal will die Hongkonger Börse die
London Stock Exchange (LSE) kaufen.
Die Asiaten bieten rund 30 Milliarden Pfund – das
könnte nun einen Übernahmekampf auslösen, denn
die Londoner planen selbst eine Großübernahme.
Charles Li, Vorstandschef der Hongkonger Börse
(HKEX), sparte nicht mit Superlativen, als er sein
Angebot via Blogeintrag begründete. Die Vereini-
gung der beiden Börsen werde die globalen Kapi-
talmärkte „auf Jahrzehnte hinaus neu definieren“,
schwärmte er. Das Vorhaben sei zudem ein „be-
deutender Meilenstein“ für Hongkong selbst. Mit
der Beschleunigung des chinesischen Wirtschafts-
wachstums habe auch die Bedeutung Hongkongs
als wichtiges Bindeglied zwischen Ost und West zu-
genommen, sagte Li. „Die heutige Ankündigung ist
der nächste große Schritt auf dem Weg, China und
Asien mit der Welt zu verbinden.“Tatsächlich entstünde ein neuer Gigant. Die
Hongkonger Börse macht mit 2100 Mitarbeitern ei-
nen Umsatz von 1,6 Milliarden Pfund, die Londo-
ner Börse erwirtschaftete zuletzt mit 4400 Mitar-
beitern 2,1 Milliarden Pfund.
Insgesamt bieten die Hongkonger 83,61 Pfund
pro LSE-Aktie – das ist eine Prämie von 23 Prozent
gegenüber dem Schlusskurs vom Dienstagabend.
Ein Viertel des Kaufpreises soll in bar, der Rest in
HKEX-Aktien gezahlt werden. Die Anleger halten
die Offerte offenbar für attraktiv. Der LSE-Aktien-
kurs zog am Mittwoch zeitweise um mehr als 15
Prozent an.Timing wirft Fragen auf
Das Angebot hat jedoch einen großen Haken: Die
LSE soll den Kauf des Datenanbieters Refinitiv ab-
sagen. Der 27-Milliarden-Pfund-Deal war erst vor
wenigen Wochen verkündet worden und muss
noch von den Aktionären und den Kartellbehörden
genehmigt werden. Angesichts der gerade be-
schlossenen Übernahme von Refinitiv wäre es
überraschend, wenn das LSE-Management nun
den HKEX-Deal bevorzugen würde, sagte UBS-Ana-lyst Michael Werner. Die jüngsten Proteste in Hong-
kong ließen den Deal zusätzlich riskant erscheinen.
Tatsächlich wirft das Timing der Hongkonger
Börse die Frage auf: Warum gerade jetzt? Zum ei-
nen wollte sie offenbar noch rechtzeitig zuschla-
gen, bevor der Refinitiv-Deal abgeschlossen ist. Da-
nach wäre die LSE zu teuer geworden. Zum ande-
ren scheinen auch die Massenproteste in
Hongkong eine Rolle zu spielen. Seit Wochen ge-
hen Hunderttausende Menschen gegen die chinesi-
sche Regierung auf die Straße. Sie befürchten, dass
die Stadt ihre Sonderrechte verliert. Der Kauf der
Londoner Börse wirkt in diesem Umfeld wie eine
Versicherungspolice gegen die heimische Krise, ei-
ne Diversifizierung der wirtschaftlichen Risiken.
In London gilt es aber als unwahrscheinlich,
dass die Hongkonger den Zuschlag erhalten. Das
Angebot dürfte auf erheblichen Widerstand sto-
ßen, sowohl von der LSE selbst als auch von der
britischen Regierung. Die erste Reaktion der LSE
fiel knapp aus. Das Board werde das Angebot prü-
fen, teilte die Firma mit. Zugleich halte man an
dem Refinitiv-Deal fest und werde ihn im Novem-
ber den Aktionären zur Abstimmung vorlegen.Hongkonger Coup
Die Börse der asiatischen Metropole prescht mit einem Überraschungsangebot
für den Londoner Konkurrenten LSE vor. Willkommen ist die Offerte nicht, zu groß
sind die politischen Risiken. Außerdem planen die Briten selbst einen Deal.Ehrgeizige Pläne:
Charles Li (Foto oben),
Chef der Hongkonger
Börse HKEX, will den
Londoner Börsenbe-
treiber LSE (großes
Foto) übernehmen.
Finanzen
& Börsen
(^28) DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176