Handelsblatt - 12.09.2019

(lily) #1
Michael Brächer, Felix Holtermann
Zürich, Frankfurt

A

ls Facebook im Juni die
Pläne für die Internet-
währung Libra vorleg-
te, waren die Verspre-
chen groß: Libra solle
zu einer Währung für das Internet-
zeitalter werden und schon im kom-
menden Jahr an den Start gehen.
Doch inzwischen wird immer deutli-
cher, dass der Weg für Facebook stei-
nig wird.
Am Dienstag ließ die Schweizer Fi-
nanzaufsicht durchblicken, dass die
Internetwährung hohe Anforderun-
gen erfüllen muss, wenn das Projekt
in der Eidgenossenschaft genehmigt
werden soll. Nicht nur die Schweizer
Finanzaufseher verfolgen die Pläne
von Facebook aufmerksam. Auch in
Deutschland werden mehr mahnen-
de Stimmen laut. So geht die Bun-
desregierung zunehmend auf Dis-
tanz zu Libra und anderen „Stable-
coins“. Das offenbart die noch
unveröffentlichte Antwort auf eine
parlamentarische Anfrage, die dem
Handelsblatt vorliegt. Die Bundesre-
gierung befürchtet darin, dass die
Ausgeber von „Stablecoins“ durch ei-
ne große Nachfrage nach Staatsanlei-
hen Marktverzerrungen auslösen
und sogar die Effektivität der Geld-
politik beschneiden könnten.
„Stablecoins“ wie Libra sind digita-
le Münzen mit festem Wechselkurs
zu einer anderen Währung. Die An-
bieter sichern diese durch eine De-
ckung mit werthaltigen Anlagen. Im
Fall der umstrittenen Kryptowäh-
rung Tether sind das Dollar-Bareinla-
gen. Die Libra Association setzt auf
einen Korb mit unterschiedlichen
Staatsanleihen. Über die Währung
und ihre Reserven soll eine unabhän-
gige Stiftung in der Schweiz wachen,
die auch die weitere Entwicklung des
Projekts koordinieren soll. In erster
Linie wären deshalb eidgenössische
Finanzaufseher für das Vorhaben zu-
ständig.
Gleiche Regeln
In der Schweiz würde Libra unter ei-
ne ganze Reihe von Regeln fallen,
teilte die Finanzaufsicht Finma am
Mittwoch mit. Das Internetgeld wür-
de wohl als sogenanntes Zahlungssys-
tem behandelt. Damit ist eine Reihe
von Auflagen verbunden – etwa beim
Thema Geldwäsche. „Mit Blick auf
die Geldwäschereibekämpfung müss-
te die Einhaltung höchster internatio-
naler Standards im ganzen Ökosys-
tem des Projektes sichergestellt wer-
den“, so die Finma.
In bestimmten Bereichen müsste
das Projekt zusätzlichen Anforde-
rungen unterliegen, fordern die Auf-
seher. „So müssten beispielsweise
bankähnliche Risiken auch bankähn-
lichen Regulierungsanforderungen
unterliegen“, heißt es aus Bern. Die
Finma sieht die Technologie dabei
als neutral an. Sie pocht aber auf das
Prinzip „Gleiche Risiken, gleiche Re-
geln“. Auch müssten die Risiken aus
der Verwaltung der Währungsreser-
ven von der Stiftung selbst getragen
werden – und nicht von den Libra-
Nutzern.
Die mahnenden Worte der Auf-
sicht kommen nicht von ungefähr.
Denn zuletzt häuften sich die kriti-
schen Stimmen – und das auch in
Deutschland. So stoßen die Libra-Plä-
ne in Berlin auf wenig Gegenliebe.
„Generell führt bei einem vollgedeck-

ten ‚Stablecoin‘ eine zunehmende
Nachfrage nach diesem ‚Stablecoin‘
zu einer zusätzlichen Nachfrage nach
den in der Reserve gehaltenen Anla-
gen“, führt das Bundesfinanzministe-
rium in seiner Antwort auf eine par-
lamentarische Anfrage aus. Inwieweit
einzelne Anlagen, etwa Bundeswert-
papiere, betroffen wären, hänge von
der Marktdurchdringung des „Stable-
coins“ ab, die die benötigte Größe
des Reservefonds bestimme. Bei Li-
bra könnte dieser Fonds schnell riesi-
ge Dimensionen annehmen.
Philipp Sandner, Leiter des Block-
chain Center der Frankfurt School of
Finance and Management, schätzt,
dass die Marktkapitalisierung von Li-
bra quasi über Nacht einige Hundert
Milliarden Euro betragen und die

des Bitcoins in den Schatten stellen
könnte. Wächst das hinter Libra ste-
hende Konsortium wie geplant auf
100 Mitglieder, könnte es zu einem
der größten Nachfrager auf dem
Markt für kurzlaufende Staatsanlei-
hen aufsteigen.
Genau hier sieht die Bundesregie-
rung ein Risiko. „Voraussetzung für
die Fähigkeit der Zentralbank, die
kurzfristigen Zinssätze am Interban-
kenmarkt zu beeinflussen, ist ihre
Rolle als alleiniger Bereitsteller von
Zentralbankgeld“, referiert die Bun-
desregierung. Sie warnt: „Falls diese
Nachfrage durch eine entsprechende
Verlagerung auf private ‚Stablecoins‘
stark zurückginge, könnte die Fähig-
keit der Zentralbank, das kurze Ende
der Zinsstrukturkurve zu steuern,

beeinträchtigt werden.“ Heißt im
Klartext: Die Fähigkeit der EZB, über
die Leitzinsen die einjährigen Markt-
renditen von Anleihen zu beeinflus-
sen, könnte sinken. In der Folge
könnte „der Spielraum für (geldpoli-
tische) Ankaufprogramme (...) klei-
ner werden“.
Berlin fürchtet noch weitere Aus-
wirkungen: eine „Verschiebung des
Kreditgeschäfts aus dem Bankensys-
tem in das Umfeld von ‚Stablecoins‘,
Veränderungen auf den Wertpapier-
und Devisenmärkten oder bei inter-
nationalen Kapitalströmen“ sowie
beim Verhalten von Privathaushalten
und Unternehmen. Verbraucher
stünden zudem bei Projekten wie Li-
bra vor „Verlustrisiken bis hin zum
Totalverlust“.

Offen für Innovationen
Bereits im Juli hatte Bundesfinanzmi-
nister Olaf Scholz (SPD) auf dem
G7-Gipfel gewarnt, dass Währungen
in die Hände demokratisch legiti-
mierter Regierungen und Zentralban-
ken gehörten. Insofern ist die skepti-
sche Haltung Berlins keine Überra-
schung. Erstaunlich ist jedoch, dass
laut der Antwort bisher offenbar kein
Minister oder Staatssekretär zur Li-
bra Association Kontakt aufgenom-
men hat.
Die Vorsitzende des Finanzaus-
schusses, Bettina Stark-Watzinger
(FDP), die die Anfrage gestellt hat, äu-
ßert Verständnis für die Skepsis der
Bundesregierung. Libra unterscheide
sich von bestehenden Währungen
wie dem Bitcoin und müsse genau
geprüft werden. „Gleichzeitig müssen
wir aber offen für Innovationen sein,
die den Zahlungsverkehr für die Bür-
gerinnen und Bürger vereinfachen“,
sagt die Parlamentarierin.

Kryptowährungen


Hohe Hürden


für das Online-Geld


von Facebook


Die Finanzaufsicht in der Schweiz stellt an
die virtuelle Währung Libra hohe Anforderungen.
Auch in Deutschland wächst die Skepsis.

Libra-Schriftzug: Aufseher
fürchten, dass das Internetgeld
den Spielraum der Notenban-
ken beschneiden könnte.

imago images / Christian Ohde


Wir müssen
offen für
Innovationen
sein, die den
Zahlungs -
verkehr
vereinfachen.
Bettina
Stark-Watzinger (FDP)
Vorsitzende des
Finanzausschusses

Finanzen & Börsen


(^30) DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176

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