Die Aussichten trüben sich ein
Prognosen zum Wirtschaftswachstum in Deutschland für 2019 und 2020 Geschätzte Abschläge deutscher
Exporte nach Großbritannien im
Falle eines harten Brexits
Maßnahmen der Großen Koalition
und ihre Effekte auf das BIP
in Mrd. Euro
Sonstige Transfers
Sozialbeiträge
Öffentliche Investitionen
Mütterrente
Kindergelderhöhung
Teilabschaffung Soli
Abbau kalte Progression
Staatskonsum
+3,
+1,
+0,
±
+3,
+2,
+1,
+2,
2019
±
+0,
+1,
±
+
,
+0,
+2,
+0,
2020
±
+2,
+0,
+9,
+0,
+0,
+2,
+1,
2021
Baukindergeld, Bafög, ...
Senkung ALV-Beitragssatz, ...
Breitband, Digitalpakt Schule, ...
HANDELSBLATT • Quelle: Institute
PP = Prozentpunkte
Wachstum Frühjahrsprognosen 2019 Herbstprognosen 2019
2018
+1,5 %
RWI DIW IfW Bundes-
regierung
DIW IfW RWI
+0,9 %
+1,5 %
+1,0 %
+1,8 %
+1,0 %
+1,8 %
+0,5 %
+1,5 %
+0,5 %
+1,4 %
+0,4 %
+1,0 %
+0,4 %
+0,9 %
-11,7 PP
- Q. 2020 4. Q. 20 21
0
-1
Donata Riedel, Jan Hildebrand Berlin
D
ie „Klimakanzlerin“ ist zurück. Ihre
beiden letzten Regierungsjahre will
Angela Merkel (CDU) dem klima-
freundlichen Umbau der Wirtschaft
und einer Beschleunigung der Digita-
lisierung widmen. Diese beiden Themen seien ent-
scheidend, „um Deutschlands Wohlstand zu erhal-
ten“, sagte sie am Mittwoch in der traditionellen
Generalaussprache zum Haushalt im Bundestag.
Während Merkel ihre Prioritäten neu setzte,
lenkten zeitgleich deutsche Spitzenökonomen den
Blick auf das drängendste Problem dieses Som-
mers. Die deutsche Wirtschaft ist höchstwahr-
scheinlich gerade in eine Rezession abgeglitten:
Im dritten Quartal 2019 werde sie noch etwas stär-
ker schrumpfen als im zweiten Quartal, als das
Bruttoinlandsprodukt (BIP) bereits um 0,1 Prozent
zurückgegangen war. Das stellen die Konjunktur-
forscher der Institute DIW, IfW und RWI in ihren
am Mittwoch veröffentlichten Herbstprognosen
fest. Auch das gewerkschaftsnahe IMK warnt mit
Blick auf sein neues Rezessionsbarometer, das am
Donnerstag veröffentlicht wird, vor dem
Schrumpfkurs: „Das Risiko einer Rezession ist in
den vergangenen Wochen massiv nach oben ge-
schossen“, sagte IMK-Chef Sebastian Dullien dem
Handelsblatt.
Einmütig empfahlen die Ökonomen Merkels Re-
gierung eine Abkehr von der schwarzen Null. Man
solle „den Staatshaushalt mit der Konjunktur at-
men lassen, wie es die Schuldenbremse vorsieht“,
sagte IfW-Konjunkturexperte Stefan Kooths dem
Handelsblatt. „An der schwarzen Null muss nicht
krampfhaft festgehalten werden.“ Tatsächlich sind
dem Bund in Zeiten mit normaler Konjunktur –
wenn also weder „Boom“ noch „Bust“ herrschen –
0,35 Prozent des BIP an jährlicher Neuverschul-
dung erlaubt, in Rezessionen notfalls auch mehr.
Ein klassisches Konjunkturprogramm, vergleich-
bar mit der Abwrackprämie während der Finanz-
krise, empfehlen die Volkswirte ausdrücklich
nicht, wohl aber ein stetig steigendes Investitions-
programm über mehrere Jahre für Reparatur und
Ausbau der Infrastruktur und technologische Inno-
vationen. Diese könnten gleichzeitig auch dem kli-
maneutralen Umbau der Wirtschaft dienen.
Merkel äußerte sich zur Konjunkturschwäche
nur am Rande. Sie beklagte die Unsicherheit, die
auf den Exporten laste – ausgelöst durch den Han-
delskonflikt der USA mit China. „Die deutschen
Produkte sind nicht schlechter geworden“, sagte
sie, aber die Unsicherheit drücke auf die globale
Wirtschaftsentwicklung. Sie räumte ein, dass die
konjunkturell schwierigere Lage sich auch auf den
Haushalt auswirke: Es sei möglich, dass „gegenüber
dem Finanzplan die Steuereinnahmen sinken“.
Der Forderung, neue Schulden zu machen, erteil-
te sie indirekt eine Absage. „Es ist momentan nicht
der Mangel an Geld“, an dem Investitionen scheitern
würden. „Wir haben nicht ausreichend Planungska-
pazitäten.“ Diese müssten ausgebaut und Planungs-
Wirtschaft rutscht
in die Rezession
Kanzlerin Angela Merkel kündigt den neuen Regierungsschwerpunkt
Klimaschutz an – in schwieriger werdenden Zeiten:
Die Herbstprognosen der Institute DIW, IfW und RWI sagen auch im
dritten Quartal ein Schrumpfen der deutschen Wirtschaft voraus.
Kanzlerin Merkel:
Investitionen in den
Klimaschutz, um
„Deutschlands Wohl-
stand zu erhalten.“
Michael Kappeler/dpa
Wirtschaft
& Politik
(^8) DONNERSTAG, 12. SEPTEMBER 2019, NR. 176