ROBERT CLARK / INSTITUTE FOR ARTIST MANAGEMENT
Glauben an die Reptiloiden aus dem All
beseelt – so schließen sich die Kreise des
Kokolores.
Solche Sonderlinge sind zu einer echten
Gefahr geworden. Der Verfassungsschutz
schätzt sie auf 19 000 Köpfe, großteils Ein-
zelgänger, die auf eigene Faust operieren.
Hunderte von ihnen horten Gewehre und
Pistolen. Vor knapp drei Jahren erschoss
ein Reichsbürger im bayerischen Geor -
gens gmünd einen der vier Polizisten, die
ihm seine Waffensammlung abnehmen
wollten.
Es war einer der ersten Morde in jünge-
rer Zeit, die einem Verschwörungsglauben
entsprangen.
Die unheimliche Macht des Internets
Der Hauptsitz der Paranoia ist das Netz.
Das interessierte Publikum findet dort
eine Fülle mehr oder weniger verstiegener
Gerüchte und Wahnbilder zur Selbst -
bedienung vor. Die Akteure wiederum
bringen dort ihre Ideen so leicht unter
die Leute wie nie zuvor – und sie lernen
dabei schnell, wie das am besten funk -
tioniert.
In jüngster Zeit kommt vermehrt ein be-
sonders perfides Mittel zum Einsatz. Man
könnte es das verschwörungstheoretische
Störfeuer nennen. Zu beobachten ist es
immer nach Ereignissen, die das Publikum
aufwühlen. Sofort sind dann im Netz Bes-
serwisser mit boshaften Einwürfen zur
Stelle. Der Mord an dem Kasseler Regie-
rungspräsidenten Walter Lübcke (CDU)?
Vermutlich ein vertuschter Selbstmord.
Die Seerettungsaktion der Kapitänin Ra-
ckete? Wohl nur eine Inszenierung fürs
Fernsehen, eingefädelt von höchsten Krei-
sen. Der Suizid des Finanzberaters Jeffrey
Epstein in seiner New Yorker Gefängnis-
zelle? Das waren ja wohl die Clintons.
Meist dauert es nur Stunden, bis die Ver-
schwörungsmunkler ihre Kampagne be-
ginnen. Sie unterstellen niederträchtige
Machenschaften, halten sich aber mit In-
dizien oder gar Belegen nicht lange auf.
Es genügt ihnen, Schuldige auszurufen und
Zweifel zu säen – am besten, solange alle
Welt noch rätselt, was da gerade passiert
ist. Hauptsache, es geht schnell und wird
geklickt.
Früher fielen die Vordenker des Para-
noiden vor allem durch enormen Fleiß auf.
Die einen schrieben Traktate mit zahlrei-
chen Fußnoten, andere montierten abend-
füllende Dokumentarfilme. Allein der An-
schlag auf das World Trade Center rief
Abertausende Freizeitermittler auf den
Plan. Akribisch versuchten sie nachzuwei-
sen, die US-Regierung selbst habe die Zwil-
lingstürme sprengen lassen – als Vorwand
für den Irakkrieg.
Aus dieser Tradition des Überzeugungs-
eifers kommt auch der Kauz, der aus dem
Zittern von Angela Merkel folgerte, die
Nationalhymne sei eine akustische Waffe
gegen Echsenwesen. Dass unsere »Eliten«
insgeheim außerirdischen Reptilien die-
nen, ist fast schon ein Klassiker der Szene.
Der Brite David Icke, ein ehemaliger Fuß-
balltorwart, hat sich diese Verschwörung
ausgedacht.
Die Echsen, lehrt Icke, können jederlei
Gestalt annehmen; sie nähren sich von der
negativen Energie unserer Ängste. Den
Weltenlauf lenken diese Invasoren aus
dem All im Verein mit einer Vielzahl ir -
discher Komplizen. Neben »Rothschild-
Zionisten« ist auch der sagenhafte Geheim-
orden der Illuminaten mit von der Partie,
der nach alter Sitte bei kaum einem Kom-
plott fehlen darf.
Über die Jahre hat Icke ein verschach-
teltes Gedankengebäude der Spinnerei er-
richtet. Nicht einmal der Architekt selbst
dürfte noch im Einzelnen überschauen,
wer da alles mit wem konspiriert. Im Rück-
blick aber wird diese Kultur der detailreich
ausgeklügelten Fiktionen vielleicht einmal
fast gemütlich erscheinen, wie ein Bieder-
meier der Paranoia.
Den neuen Verschwörungstheoretikern
geht es um Effizienz, Tempo und Schlag-
zahl, um das Einhämmern simpler Bot-
100
* Theorie:Der Anschlag am 11. September 2001 war inszeniert. Die US-Regierung hat
das World Trade Center gesprengt, weil sie einen Vorwand für den Irakkrieg brauchte.
Präsident Bush ließ
die Türme sprengen!*