Der Spiegel - 07.09.2019

(Ron) #1
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KARSTEN THIELKER / DER SPIEGEL

Der Augenzeuge

»Das ist absurd«


In einem Innenhof in Berlin-Kreuzberg steht ein
Turm aus bunten Brettern. Er sieht aus wie ein
Klettergerüst, ist aber für Kinder tabu. Anwohner
David Schleiermacher, 53, ärgert sich darüber.

»Eine amerikanische Künstlerin hat Anfang der Nullerjah-
re die Paul-Lincke-Höfe gestaltet. Vorher waren das hier
Gewerbehöfe, die wurden dann zu Wohnhäusern umgebaut.
Die Künstlerin, Martha Schwartz, hat die Höfe nach Grimms
Märchen gestaltet. Wir sind erst 2005 hierhergezogen, da
gab es die Märchenhöfe schon. Und in einem steht eben
der bunte Turm aus roten, blauen und gelben Brettern. Die
waren eigentlich immer schon morsch. Früher dachte ich,
das wäre der Grund, warum dort ein Verbotsschild ist. Aber
jetzt wurde das Kunstwerk für viel Geld erneuert. Und
schon wieder steht ein Schild davor: ›Spielen und Klettern
verboten‹. Das ist doch absurd!
Ich mochte diese Kunst nie. Man kann ja darüber streiten.
Aber es sollte doch selbstverständlich sein, dass Kinder hier
spielen dürfen. Auch in den Hausversammlungen wird da -
rüber diskutiert. Die einen finden, man muss die Werke un -
bedingt erhalten. Die anderen wollen die Höfe umgestalten.
Ich finde, wir müssen sie vor allem endlich für die Ge mein -
schaft nutzbar machen. Hier sollten Bänke, Tische und Fahr-
räder stehen – und es sollte eben Spielfläche für die vielen
Kinder geben, die hier wohnen. Einen Deko-Spielplatz finde
ich in der Großstadt fehl am Platz. Denn wie viel Platz hat
ein Kind in der Stadt? Es gibt Zahlen, dass jeder Einwohner
Berlins 0,6 Quadratmeter Spielfläche zur Verfügung hat und
jedes Auto 10 Quadratmeter Parkfläche. Da ist es aberwitzig,
wenn es nicht mal eine Hausgemeinschaft im aufgeklärten,
bunten Kreuzberg schafft, dieses Verhältnis umzudrehen.
Die Märchenkunst in unseren Innenhöfen wirkt auf mich
eher, als ob sich die Erwachsenen eine Kinderwelt konstru-
iert hätten, ein bisschen Disneyland – aber Spielen ist ver -
boten. Es heißt, das Verbotsschild stehe da aus juristischen
Gründen, es könne niemand haften. Ganz schön spießig.
An dere Spielplätze lösen dieses Problem doch auch. Meine
Kinder sind nun erwachsen, aber ich kenne die Spielplätze
in der Nähe. Da gibt es viel gefährlichere Ecken.«
Aufgezeichnet von Milena Pieper

Gewagte Manöver
Die gebürtige Heidelber-
gerin Lea Schairer, 30,
mischt die Skateboardszene
auf, die lange überwiegend
von Jungs mit Schlabber -
hose und Basecap dominiert
wurde. Gerade gewann sie
in Düsseldorf zum zweiten
Mal die deutsche Meister-
schaft; mit gewagten Manö-
vern wie dem »Nose-Whee-
lie« oder dem »Sugarcane«
überzeugte sie die Jury und
sammelte Punkte für die
Weltrang liste. Schairer kam
über ihre Brüder zum Skate-
boarden, steht seit ihrer
Kindheit auf dem Brett und
hat schon einige Blessuren
wie Bänderrisse hinter sich.
Nun trainiert sie für die
Olympischen Spiele 2020 in
Tokio. Dort wird Skate -
boarden erstmals als Diszi -
plin vertreten sein. Eine
Teilnahme, so Schairer, wäre
»natürlich toll«, aber der
Weg dahin sei weit. Deutsch-
land ist kein allzu skate-


boardfreundliches Land. Als
Schairer in München lebte,
musste sie feststellen, dass
die Rollbretter vielerorts ver-
boten waren. Dennoch ver-
sucht sie es seit Mai in ihrem
Sport als Profi. »Reich wer-
de ich damit nicht«, sagt sie
nüchtern. Die Preisgelder
sind eher mager. Um sich ein
Luxusskateboard von Cha-
nel zum Preis von 7700 Dol-
lar leisten zu können, müsste
sie neunmal deutsche Meis-
terin werden. SCW

Junior dreht auf


In den Boulevardmedien
ist er als Lebensgefährte von
Hollywoodstar Sienna Miller
seit einiger Zeit präsent, nun
übernimmt Lucas Zwirner,
28, Sohn des aus Köln
stammenden Großgaleristen
David Zwirner, nach und
nach das Kunstimperium sei-
nes Vaters. Am 16. Septem-
ber beginnt die zweite Staf-
fel der von ihm
moderierten Pod-
cast-Reihe »Dia -
logues: The David
Zwirner Podcast«.
In jeder Folge
bringt Zwirner jr.
zwei Kulturschaf-
fende zusammen,
die sich über Krea-
tivität austau-
schen. Mindestens
einer der Gäste ist
natürlich einer von Papas
Klienten. In der ersten Folge
der neuen Staffel begegnen
sich der amerikanische
Künstler Jordan Wolfson
und der US-Dramatiker Jere-

my O. Harris, dessen Stück
»Slave Play« jetzt am Broad-
way startet. Mit der ersten
Podcast-Staffel erzielte Zwir-
ner über 250 000 Down -
loads. »Das ist mehr als die
Gesamtzahl der Besucher
einer unserer Galeriefilialen
im ganzen Jahr«, sagt er.
»Mit dem Podcast haben wir
eine größere Reichweite
als mit jeder Ausstellung.«
Lucas Zwirner leitet auch
den galerieeige-
nen Verlag, in
dem Kataloge zu
Ausstellungen
und kunsttheore-
tische Klassiker
erscheinen.
Im Juni ernann-
te ihn sein Vater
darüber hinaus
zum »Head of
Content« des
weltweiten Zwir-
ner-Kunsthandels und über-
trug ihm die Verantwortung
über sämtliche publizisti-
schen Inhalte. Die Galerie
Zwirner möchte offenbar ein
Medienhaus werden. RED

CONSTANTIN MIRBACH

SHUTTERSTOCK
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