Der Wahlerfolg vom vergangenen Sonn-
tag markiert das Ende eines jahrzehnteal-
ten Tabus, das da lautet: Eine Partei, die
offensichtlich mit dem Rechtsextremismus
verknüpft ist, darf keine relevante Größe im
bundesdeutschen Parlamentarismus sein.
In Sachsen erhielt die AfD 27,5 Prozent
aller Stimmen, in Brandenburg 23,5 Pro-
zent. Von ihrem Ziel, stärkste Partei zu
werden, trennten sie nur wenige Prozent-
punkte.
Es war ein gutes Zeichen für die Demo-
kratie am vergangenen Sonntag, dass Sach-
sens Ministerpräsident Michael Kretsch-
mer (CDU) und der Brandenburger Diet-
mar Woidke (SPD) ihre Vormachtstellung
sichern konnten. Es war ein schlechtes Zei-
chen, dass eine radikalisierte AfD jede
vierte Stimme bekommen konnte.
Was als normal gilt und was nicht, das
verhandelt jede Gesellschaft immer wieder
neu. Inzwischen, nach einem Prozess von
mehreren Jahren, gilt: Radikal ist fast
schon das neue Normal. Wilhelm Heitmey-
er, der Gründungsdirektor des Bielefelder
Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und
Gewaltforschung, sprach schon vor Jahren
von »roher Bürgerlichkeit«, einem Zusam-
menspiel von glatter Fassade, rabiater Rhe-
torik und autoritären, aggressiven Einstel-
lungen. Da wird die NS-Zeit zum »Vogel-
schiss« der Geschichte, so formuliert vom
durchaus bürgerlich erscheinenden AfD-
Bundessprecher Alexander Gauland, der
aber auch sagt: »Zum Begriff Bürgerlich-
keit gehört unter anderem der Schutz von
Eigentum, von individueller Freiheit und
Lebenskultur, aber auch die Ablehnung re-
volutionärer Umbrüche.« Er meint damit
nicht seine Partei, sondern zum Beispiel
die »Ökodiktatur« der Grünen. Die AfD
sei »selbstverständlich bürgerlich«.
Es gab auch in der Vergangenheit ex-
trem rechte Parteien in deutschen Parla-
menten: die Sozialistische Reichspartei,
die NPD, die Republikaner, die DVU.
Doch niemals stand zur Diskussion, diese
Parteien als bürgerlich anzuerkennen. Nie-
mals wären Stimmen aus dem tatsächlich
bürgerlichen Lager laut geworden, die für
eine Koalition mit ihnen geworben hätten.
Nun aber gibt es diese Stimmen, noch zag-
haft, noch vereinzelt, doch man muss sie
ernst nehmen. Sie fordern die Gesellschaft
heraus, endlich Antworten zu suchen
auf die Fragen: Wie behandelt man eine
Partei, die immer größer und immer ex-
tremer wird – und doch mitten in unserer
parlamentarischen Demokratie zu Hause
ist? Und wie gewinnt man ihre Wähler zu-
rück?
Eine Fernsehmoderatorin des Mittel-
deutschen Rundfunks, die am Wahlabend
die AfD als bürgerliche Partei bezeichnet
hatte, löste eine Debatte aus. Muss man
mit einer Partei, die zumindest in Ost-
deutschland von Jahr zu Jahr mehr Zu-
stimmung erlangt, anders umgehen als bis-
lang? Muss man ihr, gerade wegen des Er-
folgs, zubilligen, dass sie irgendwann an
der Macht teilhaben darf? Müssen die an-
deren Parteien versuchen, das Verhältnis
zur AfD zu normalisieren? Oder sollte
man genau das für eine Partei ausschlie-
ßen, die sich nicht mal mehr bemüht, ihre
Verwurzelung in der neonazistischen Sze-
ne zu verbergen?
Es ist der 21. August,wenige Tage vor
der Wahl, der Marktplatz im branden -
burgischen Luckau ist gut gefüllt. Chris-
toph Berndt hat geladen, es ist sein Wahl-
kreis, hier ist er der AfD-Direktkandidat.
Das Publikum ist gemischt, ältere
Herren, wenige Frauen, ein paar Jugend-
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AfD-Anhänger in Werder an der Havel
»Das System zum Einsturz bringen«