Der Spiegel - 07.09.2019

(Ron) #1

liche. Dazwischen muskulöse Männer, die
Arme tätowiert, auf ihren T-Shirts steht:
»Division Spreewald«, »H8«, also »Heil
Hitler«, oder auch »Bei Opa war noch
Ordnung«, dazu ein Bild von Hitlers
Reichsparteitag 1934 in Nürnberg. Ein
Mann hat den Namen »Jason« tätowiert,
das s darin sieht aus wie das der SS.
Dass sie alle hier sind, liegt auch an
AfD-Politiker Berndt. Er sagt, dass »Stra-
ße und Parlament kein Gegensatz« für die
AfD sein dürften. Er hat den Verein »Zu-
kunft Heimat« gegründet, der wie ein
Scharnier zu den Rechtsextremisten funk-
tioniert. Der Verfassungsschutz des Lan-
des spricht von »organisatorischen und
personellen Überschneidungen« auch mit
der rechtsextremen »Identitären Bewe-
gung« (IB). Am Sonntag wurde Berndt ge -
wählt, mit 28,9 Prozent der Erststimmen.
Das prägnanteste Gesicht der radikalen
AfD ist Andreas Kalbitz, der Landesvor-
sitzende in Brandenburg. »Kleiner Himm-
ler« nennen sie ihn, was vielleicht auch
damit zu tun hat, dass er mehr als die Hälf-
te seines Lebens in extrem rechten Krei-
sen unterwegs war: in einer schlagenden
Verbindung, beim völkischen Witikobund
und bei der später verbotenen Heimat-
treuen Deutschen Jugend. Er schrieb für
die Junge Landsmannschaft Ostpreußen
und arbeitete an zwei Drehbüchern, die
Hitler und die 1. Gebirgs-Division verherr-
lichten.
All das war vor seiner Zeit in der AfD.
In die Partei trat er wenige Wochen nach
deren Gründung 2013 ein. Knapp zwei
Jahre später übernahm er den Vorsitz des
Vereins für Kultur- und Zeitgeschichte –
Archiv der Zeit e. V., in dessen Vorstand
er mit NPD-Mitgliedern saß. Begebenhei-
ten wie diese haben Journalisten heraus-
gefunden, Kalbitz hat sie nie aus freien
Stücken offenbart, sondern erst, als er
nicht anders konnte.
Im Wahlkampf beeindruckte Kalbitz,
der gern im BMW X5 und immer mit Leib-
wächtern anreiste, seine Fans mit deftigen
Schmähreden. Die Klimaaktivistin Greta
Thunberg sei ein »kleines, mondgesichti-
ges Mädchen«, »Fridays for Future« eine
Veranstaltung, »wo rotlichtbestrahlte Kin-
der missbraucht werden, um Demonstra-
tionen abzuhalten«.
Bis heute pflegt Kalbitz Kontakte zur
äußersten Rechten, etwa zur IB. Er stellt
Mitarbeiter von ihr oder aus ihrem Um-
feld ein und ist eng mit ihrem Übervater,
dem neurechten Publizisten Götz Kubit-
schek, verbunden. Noch am Wahlabend
dankte er dem IB-Finanzierungsverein
»Ein Prozent« für die Unterstützung im
Wahlkampf.
Seine rechtsextremen Verwicklungen
haben Kalbitz bis jetzt nicht geschadet.
Vor der Wahl war bekannt geworden, dass
er 2007 mit 13 deutschen Rechtsextremen,


darunter dem damaligen NPD-Chef und
anderen Funktionären, bei einem neonazis -
tischen Aufmarsch in Athen war. Nachts
habe die Gruppe eine Hakenkreuzflagge
auf dem Hotelbalkon gehisst, heißt es in
einem Bericht der deutschen Botschaft.
Kalbitz bestätigte, dass er beim Auf-
marsch in Athen war, sagte aber, dass er
auf dem Balkon nicht zugegen gewesen sei.
Auch habe ihm die Veranstaltungim Nach-
hinein nicht gefallen. Er sei zudem nie Mit-
glied der NPD gewesen und pflege keine
persönlichen Kontakte dorthin.
Für AfD-Chef Gauland reichte die Ein-
lassung aus, um Kalbitz den Ablass zu ge-
währen: Die AfD sei die »größte bürger -
liche Oppositionspartei«, verkündete er
nach der Wahl. Und natürlich sei Kalbitz
»genauso bürgerlich wie ich«.

Gauland heftet sichdas Gütesiegel der
bürgerlichen Volkspartei in einem Mo-
ment an, in dem das zugehörige Konzept
offenkundig obsolet wird. Aus der Kon-
stellation der Nachkriegsjahre, als Union,
SPD und FDP das in der alten Bundes -
republik lange herrschende Dreiparteien-
system ausmachten, ist im Westen im Lauf
der Jahrzehnte ein Vier- und nach der
deutsch-deutschen Vereinigung ein Fünf-
oder gar Sechsparteiensystem geworden.
Das ist eine der Grundlagen für den Erfolg
der AfD.
Volkspartei, das ist heute vor allem die
Erinnerung an eine vernünftige Gestal-
tungsidee unmittelbar nach dem Krieg.
Nach der Nazidiktatur gab sich die Bon-
ner Republik den Auftrag, Politik im kla-
ren Rahmen einer freiheitlich-demokrati-
schen Grundordnung stattfinden zu lassen.
So fühlten sich durchaus auch völkische
Wähler durch die Volkspartei CDU/CSU
repräsentiert, und die SPD war imstande,
linksradikale Köpfe an sich zu binden. Es
gab zwar immer wieder extreme Ausrei-
ßer nach weit links und weit rechts, aber
sie blieben, und das ist der Unterschied
zu heute, unbedeutend.
Das demokratische Spektrum definier-
ten die Parteien selbst – in der Theorie ist
das bis heute so.
Das Spiel erinnert an ein Gleichnis, das
Hans Magnus Enzensberger im Zusam-
menhang mit der Zuwanderung erzählte.
Es handelt von einem Eisenbahnabteil, in
dem die zuletzt Hinzukommenden immer
feindselig abgelehnt werden, bis sie selbst
Teil der Besatzung werden. Wird es auch
mit der AfD so kommen? Oder ist in der
Bundesrepublik nur die Integration neuer
Kräfte von links möglich? Ist es ausge-
schlossen, dass aus der AfD im Lauf der
Jahre eine zwar erzkonservative, aber
dennoch demokratisch gerade noch inte-
grierbare Gruppierung wird?
Als die Grünen in den Achtzigerjahren
in den ersten Parlamenten auftauchten,

22

Überall präsent
Sitze der AfD in den Landesparlamenten
zum Zeitpunkt der letzten Wahl

Baden-Württemberg
von 143 Sitzen (2016)

23

Bayern
von 205 Sitzen (2018)

22

Berlin
von 160 Sitzen (2016)

25

Brandenburg
von 88 Sitzen (2019)

23

+12

Hamburg
von 121 Sitzen (2015)

8

Mecklenburg-Vorpommern
von 71 Sitzen (2016)

18

Niedersachsen
von 137 Sitzen (2017)

9

Bremen
von 84 Sitzen (2019)

+1

5

Nordrhein-Westfalen
von 199 Sitzen (2017)

16

Rheinland-Pfalz
von 101 Sitzen (2016)

14

Saarland
von 51 Sitzen (2017)

3

Sachsen
von 119 Sitzen (2019)

38

+24

Sachsen-Anhalt
von 87 Sitzen (2016)

25

Schleswig-Holstein
von 73 Sitzen (2017)

5

Thüringen
von 91 Sitzen (2014)

11

Veränderung, wenn die AfD bereits
im vorherigen Landtag Sitze hatte

Hessen
von 137 Sitzen (2018)

19
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