Einig sind sich die meisten Experten,
dass eine Diffamierung der AfD-Wähler
genauso wenig bringt wie der Versuch, sie
mit vernünftigen Argumenten zu errei-
chen. Es geht darum herauszufinden, wa-
rum sie ihre Stimme der AfD geben, um
dann zu versuchen, für diese Probleme Lö-
sungen zu finden.
Das Etikett der Bürgerlichkeit aber
wäre irreführend. Damit könnte die AfD
die Botschaft transportieren, Gefühle wie
Fremdenhass seien in Ordnung. Zugleich
würde sie sich als Volkspartei darstellen.
Im Kern ähnelt die Methode jener der
Nationalsozialisten.
Melanie Amann, Matthias Bartsch,
Maik Baumgärtner, Felix Bohr, Annette
Bruhns, Ullrich Fichtner, Jan Friedmann,
Sophie Garbe, Florian Gathmann, Hubert
Gude, Valerie Höhne, Martin Knobbe,
Tim Kummert, Timo Lehmann, Ann-Katrin
Müller, Ralf Neukirch, Dietmar Pieper,
Milena Pieper, Anna Reimann, Katja
Thimm, Markus Verbeet, Andreas
Wassermann, Severin Weiland, Alfred
Weinzierl, Wolf Wiedmann-Schmidt,
Steffen Winter
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PAUL SANDER / IMAGO STOCK SVEN DOERING / AGENTUR FOCUS
Video
Klingt das bürgerlich?
spiegel.de/sp372019afd
oder in der App DER SPIEGEL
schwadronierte Höcke: »Wir kämpfen ei-
nen Kampf um alles oder nix, wir kämpfen
den Kampf als Deutsche und als Europäer
um Sein oder Nichtsein.«
Am Abend zuvor hatte sich der süddeut-
sche Ableger des »Flügels« in einer Halle
im fränkischen Greding getroffen, auch
Anhänger der rechtsextremen Identitären
und von Pegida waren gekommen. Am
Ende des Events wummerte aus der Laut-
sprecheranlage die erste Strophe des
Deutschlandlieds: »Deutschland, Deutsch-
land über alles.«
Höcke benutzt inzwischen offen antise-
mitische Codes. Die EU ist für ihn eine
»Globalisierungsagentur«, die den »Un-
geist« des aus einer jüdischen Familie
stammenden amerikanisch-ungarischen In-
vestors und Philanthropen George Soros
»exekutiert«, Angela Merkel eine »Soros-
Kundin«.
Nicht nur in den östlichen, auch in west-
deutschen Landesverbänden sei der Ein-
fluss der Völkischen in der AfD gestiegen,
registrieren Verfassungsschützer.
Hält der Rechtsruck an, wird der Ver-
fassungsschutz irgendwann auch die Ge-
samtpartei zum »Verdachtsfall« erklären
müssen. Entscheidend könnte der Bun-
desparteitag Ende November werden.
Höcke hat mehrfach angekündigt, dort
den Einfluss seiner Truppen auf den
Vorstand ausweiten zu wollen. Gelingt
ihm das, würde aus der ehemaligen eu-
roskeptischen Professorenpartei end -
gültig eine völkische Antisystempartei
werden.
Die repressiven Mittelder Behörden sind
das eine, die Antworten der Gesellschaft
auf eine extremer werdende AfD das an-
dere. »Beschimpfen der Wähler nutzt
nichts«, sagt Thüringens Ministerpräsident
Bodo Ramelow. »Wir müssen den Bürgern
deutlich Verlässlichkeit zeigen und authen-
tisch sein.« Die AfD stehe nur für Em -
pörung, »und mir ist es einfach zu wenig,
immer nur Empörung über die AfD zu
zeigen«.
Der Leipziger Soziologieprofessor Hol-
ger Lengfeld sagt, die anderen Parteien
sollten sich weniger mit der Partei AfD be-
schäftigen als vielmehr mit den Motiven
ihrer Wähler. Die AfD öffentlich zu stig-
matisieren verärgere ihre Anhänger noch
mehr.
Der Berliner Historiker Per Leo sagt,
Ausgrenzung könne im einen Fall ange-
messen sein, im anderen Fall nicht. Immer
aber sei es hilfreich, den anderen verste-
hen zu wollen. Nicht um sich anzubiedern,
sondern um zum Beispiel zwei Dinge zu
begreifen: Wo sind Schwächen des ande-
ren, wo liegt womöglich das Körnchen
Wahrheit, mit dem der andere punkten
könnte?
»Flügel«-Chef Höcke, Mentor Kubitschek: Früh angelegter Plan der feindlichen Übernahme