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Ebner, 28, forscht am Institute for Strategic
Dialogue in London zu Islamismus und
Rassismus. In ihrem Buch »Radikalisie-
rungsmaschinen« beschreibt sie, wie inten-
siv und geschickt Extremisten moderne
Technologien für ihre Ziele einsetzen*. Die
Österreicherin infiltrierte dafür Foren und
Gruppen – online wie offline.
SPIEGEL:Frau Ebner, Sie haben under -
cover unter Rechtsextremen recherchiert.
Mit blonder Perücke sind Sie etwa zu Ver-
anstaltungen der Identitären Bewegung
gegangen. Was haben Sie dabei gelernt?
Ebner: Am eindrücklichsten war ein
heimliches Strategietreffen der Identitären
in London, in einer gemieteten Airbnb-
Wohnung. Die Teilnehmer, allesamt junge
Leute, erhielten eine Einführung in die
Kommunikationsstrategie der Gruppe. Sie
lernten, wie sie provokante Aktionen vor-
bereiten, Onlinekampagnen starten und
damit möglichst große Reichweiten er -
zielen.
SPIEGEL:Bei dem Treffen war ein Chef-
ideologe der Identitären dabei, der Öster-
reicher Martin Sellner, der nicht auftritt
wie ein klassischer Rechtsextremer, eher
wie ein hipper Influencer. Ist er gefährlich?
Ebner:Auf jeden Fall. Sellner ist einer
der gefährlichsten Rechtsextremisten in
Europa. Er ist charismatisch, hat aus seiner
Vergangenheit als Neonazi gelernt und
sich komplett neu inszeniert. Die Sprache
der Bewegung klingt harmlos, die Ideolo-
gie dahinter ist es nicht. Sie kann zu Ge-
waltexzessen anstacheln, wie die Attentate
in Neuseeland und den USA gezeigt ha-
ben. Die Täter bezogen sich alle auf ein
Kernelement der identitären Propaganda,
den angeblich von der Politik geplanten
»großen Austausch« der einheimischen Be-
völkerung durch Migranten.
SPIEGEL:Sie haben sich sogar auf ein ver-
meintlich romantisches Zusammentreffen
mit Rechten eingelassen ...
Ebner:... weil das sogenannte Alt-Dating,
die »alternative Partnersuche« also, gera-
de ein großer Trend ist, im rechten Milieu
suchen viele nach Gleichgesinnten als Part-
ner. Ich wollte wissen, wie sich das abspielt
und wer dort mit welchen Erwartungen
unterwegs ist. Die Identitären um Sellner
* Julia Ebner: »Radikalisierungsmaschinen. Wie Extre-
misten die neuen Technologien nutzen und uns mani-
pulieren«. Suhrkamp; 334 Seiten; 18 Euro.
haben dafür eine eigene App entwickelt,
»Patriot Peer«, um die Mitglieder der
angeblichen schweigenden Mehrheit zu -
einander zu bringen. Ich habe ein ähn -
liches Angebot namens »Wasp Love«
benutzt, mich dort als junge französische
Stewardess ausgegeben, und schnell haben
mich rund 30 Männer kontaktiert. Einen
habe ich auf einen Tee in Cambridge ge-
troffen. Er bezeichnete sich als »weißen
Nationalisten«, es war unheimlich, aber
zum Glück nicht bedrohlich.
»Trolle helfen der AfD«
SicherheitDie Extremismusexpertin Julia Ebner über ihre
Recherchen bei Rechtsradikalen, ihre Begegnungen mit der Identitären
Bewegung und ihren Wunsch nach stärkerer Überwachung
GENE GLOVER / DER SPIEGEL
Wissenschaftlerin Ebner: Date mit »weißem Nationalisten«
SPIEGEL:Online haben Sie eine rechts -
extreme Trollarmee infiltriert, die Recon-
quista Germanica. Wie lief das ab?
Ebner:Ich habe mich dort zweimal einge-
schleust. Beim ersten Mal war das relativ
leicht, man musste nur ein paar Fragen be-
antworten. Später dann musste ich ein re-
gelrechtes Bewerbungsgespräch führen,
ein Anführer der Reconquista Germanica
hat mich über die Spieleplattform Discord
in einem Audiochat interviewt. Ich habe
dabei einen bayerischen Dialekt imitiert,
weil ich befürchtete, dass ich ansonsten
wegen meines Wiener Akzents auffliege.
SPIEGEL:Was hat Sie an dieser Truppe
interessiert?
Ebner:Ich habe gemerkt, dass sich in rech-
ten Foren immer mehr Gespräche um das
Thema Wahlbeeinflussung drehen. Sie
wollten die Taktiken der amerikanischen
Alt-Right-Bewegung vor der Trump-Wahl
imitieren und die sozialen Medien mit