Der Spiegel - 07.09.2019

(Ron) #1
A.s Familie betreibt eine Shishabar in
Fulda. Als einer der Angestellten im ver-
gangenen Jahr heiratete, gab es ein großes
Fest: 800 Gäste, Bengalfackeln, ein Auto-
korso, irgendwann tanzte man in Reihen
auf der Straße. »Wenn sich einer aus der
Kette löst und voll abgeht zum Beispiel,
dann schießen wir«, sagt er, »oder bei der
Brautabholung.« Er findet, dass das »eine
schöne Tradition ist, die den Tag zu etwas
Besonderem macht. Also, solange nicht
scharf geschossen wird.«
Yaşar A. hat seine Schreckschusspistole
in einem seiner Türkeiurlaube in Ankara
gekauft, »nur zum Hochzeitsrumschie-
ßen«, sagt er. Auf mehreren Festen habe
er schon damit geknallt. »Da gab’s nie Pro-
bleme«, sagt er, »meistens war es so, dass
die Leute in Fulda mitgetanzt haben und
sich für uns freuten.« Platzpatronen seien
schließlich »harmlos« und »auch nicht
schlimmer als Chinaböller«.
Auf der Hochzeit im vergangenen Jahr
in Fulda notierte sich ein Zeuge das Kenn-
zeichen seines 5er BMW, am nächsten
Abend hielt ihn eine Polizeistreife an, die
Beamten fanden noch die Patronenhülsen
im Fußraum. Wer eine Schreckschusswaffe
mit sich führt, braucht in Deutschland
einen Kleinen Waffenschein. So steht es
im Waffengesetz. A. hat jetzt ein Verfah-
ren wegen illegalen Waffenbesitzes am
Hals. »Bescheuert, echt«, sagt er.
Der Staat scheint durchgreifen zu wol-
len. Im nordrhein-westfälischen Landtag

forderten Abgeordnete härtere Strafen, ein
CDU-Politiker bezeichnete es als gute
Idee, die Autos zu beschlagnahmen und
zu versteigern.
Keine Frage, dass die Polizei Leute stop-
pen muss, die Autobahnen blockieren, um
spektakuläre Videos für YouTube zu pro-
duzieren; oder wenn sie Passanten mit
Schusswaffen Angst einjagen. Doch wie
oft führen sich die Feiernden wirklich so
wild auf, dass es gefährlich wird?
Vor einer Anhörung des Landtags in
NRW mahnte der wissenschaftliche Leiter
des Essener Zentrums für Türkeistudien,
Haci-Halil Uslucan, zu mehr Verständnis
und Augenmaß. Es handle sich nicht um
Provokationen oder Machtdemonstratio-
nen gegen die deutsche Mehrheitsgesell-
schaft. »Diejenigen, die ihrer Freude Luft
verschaffen, tun dies nicht explizit mit der
Absicht, anderen zu schaden«, so der Tür-
keiexperte. Der Großteil der Hochzeits -
feiern verlaufe friedlich.
In Duisburg, so legen es die Zahlen
nahe, ist es besonders schlimm. Laut Be-
hörden soll es dort seit April mindestens
36 Einsätze der Polizei gegeben haben, ein
Spitzenwert. Nur bei 7 Einsätzen trafen
die Beamten aber tatsächlich noch auf die
Hochzeitsgesellschaft.
Kürzlich rückte die Duisburger Polizei
aus, weil im Zusammenhang mit einem
Korso im Stadtteil Homberg Schüsse ge-
fallen sein sollen. Vermutlich war der Knall
nur eine Fehlzündung in einem Auspuff-

rohr. Es gab keine Straftaten, keine Ord-
nungswidrigkeiten. Aus Sicherheitskreisen
heißt es, dass es bei Hochzeitskorsos in
Nordrhein-Westfalen bislang keine Verletz-
ten gegeben habe und keine scharfen
Schusswaffen sichergestellt worden seien.
Die Korsos werden wohl trotzdem auf
der Agenda bleiben, es gehe unter anderem
darum, heißt es im Aktionsplan des Minis-
teriums, »das Sicherheitsempfinden der Be-
völkerung« zu stärken. Auch Polizeihaupt-
kommissar Nagel wird weitermachen und
durch die Moscheen in Duisburg ziehen.
In der größten Moschee der Stadt,
Merkez Camii, begrüßt ihn Erol Bulat, der
Imam der Gemeinde. In seinem Büro er-
zählt er, dass er kürzlich auf einer türki-
schen Hochzeit selbst eine Straßenblocka-
de miterlebt habe. Viele Menschen hätten
sich darüber beschwert. Er, Bulat, habe
das später in seiner Predigt thematisiert,
habe seine Gläubigen daran erinnert, bei
den Feiern »auch die Rechte eures Nach-
barn zu achten«. Eine Machtdemonstra -
tion sehe er in den Korsos nicht. »Das sind
Jugendliche, die prahlen wollen und die
Konsequenzen nicht sehen.«
Solange es nicht um Straftaten gehe,
solle jeder die anderen feiern lassen, wie
sie möchten, sagt der Imam. Ihn störe
zum Beispiel Silvester sehr: »Da ist es auch
sehr, sehr laut.«
Lukas Eberle, Katrin Elger
Mail: [email protected]

DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019 45

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Szenen aus YouTube-Videos von türkischen Hochzeiten in Deutschland: Was für ein Spektakel
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