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leyna und Fatih haben sich das Ja-
wort gegeben, und das sollen so vie-
le Menschen wie möglich mitbe-
kommen. Noch bevor der Bräutigam seine
Braut abholt, schießen die ersten Hoch-
zeitsgäste mit Schreckschusspistolen in die
Luft. Im Autokorso geht es über die A 7,
in Aleynas Viertel schiebt sich der Konvoi
durch die 30er-Zone. Manche halten ihre
Pistole zum Autofenster hinaus und drü-
cken ab.
Vor Aleynas Haus spannt die Hochzeits-
gesellschaft eine türkische Flagge auf. Ein
Trommler und ein Musiker, der eine Zur-
na, eine Art Oboe, spielt, begleiten den
Bräutigam. Die junge Frau wartet im wei-
ßen Kleid mit langer Schleppe auf ihn. Auf
der Straße werden Bengalfackeln gezün-
det, roter und weißer Rauch breitet sich
aus. Fatih wirft Dollarscheine in die Men-
ge. Wieder greift ein Gast zur Waffe und
feuert, während er mit der Braut tanzt, in
den Himmel.
Was für ein Spektakel.
Aleyna und Fatih heirateten am 4. Mai
im Ostalbkreis und ließen daran jeder-
mann teilhaben: Die Highlights ihres
Tages kann man sich auf dem YouTube-
Kanal einer Firma für Hochzeitsvideos
ansehen. Streifenwagen tauchen in dem
Filmchen nicht auf, Aleyna und Fatih hat-
ten Glück.
Anatolische Hochzeiten sind in Deutsch-
land zu einem Politikum geworden, seit
sich Medienberichte über ausufernde Fei-
ern häufen. Türkische Hochzeitsgesell-
schaften sind oft in Autokorsos unterwegs,
einige blockieren absichtlich den
Verkehr, in manchen Kolonnen gibt
es Draufgänger, die mit ihren Autos
gewagte Manöver auf den Asphalt
legen.
In den vergangenen Wochen wa-
ren deshalb Polizisten in Kiel, Han-
nover, Moers oder Ludwigsburg im
Einsatz. Passanten und Verkehrs-
teilnehmer hatten sich beschwert,
weil Schüsse aus Schreckschusspis-
tolen abgefeuert worden waren, so
steht es in den Polizeiberichten. In
Köln blockierte ein Autokorso die
Zoobrücke, damit sich die Hoch-
zeitsgäste vor dem Stadtpanorama
fotografieren lassen konnten.
Auf der A 81 bei Heilbronn
bremsten 20 Wagen die nachfolgen-
den Autos ab. Das Gleiche auf der
A 45 bei Hagen: Ein Korso verursachte
einen Stau, die Fahrer verringerten die Ge-
schwindigkeit auf 30 Stundenkilometer,
sie hatten ihre Warnblinkanlagen einge-
schaltet und hupten.
Ein besonders abenteuerlicher Fall pas-
sierte im März auf der A 3 bei Ratingen:
Mehrere Autos brachten den Verkehr zum
Erliegen, weil ein Hochzeitsgast ein Kunst-
stück aufführen wollte. Er fuhr mit seinem
Ford Mustang Cabrio mitten auf der Auto -
bahn enge Kreise, sogenannte Donuts, die
Reifen qualmten. Zufällig beobachteten
Zivilbeamte die Aktion, später setzte die
Düsseldorfer Polizei die Ermittlungskom-
mission »Donut« ein und durchsuchte die
Wohnungen der Verdächtigen.
In Nordrhein-Westfalen erstellt das In-
nenministerium seit diesem Jahr ein Lage-
bild. Von April an hatte die Polizei dem-
nach 278 Einsätze, weil Hochzeiten eska-
lierten. Gezählt wurden 119 Konvois, bei
32 Feiern wurde nachweislich mit einer
Schreckschusspistole geschossen, 30-mal
wurde Pyrotechnik abgebrannt. In einem
Aktions plan des Ministeriums heißt es:
»Besitzansprüche an Straßen oder Stadt-
viertel« würden durch die Polizei »nicht
toleriert«. Hochzeitskorsos auf Autobah-
nen werde man künftig, falls nötig, aus der
Luft verfolgen: mit Hubschraubern.
Thomas Nagel, 55, ist Polizeihauptkom-
missar in Duisburg und Kontaktbeamter
für muslimische Institutionen. In der Stadt
würden 85 000 Muslime leben, die meis-
ten mit türkischen Wurzeln, erzählt er. Na-
gels Job ist es, Moscheen, türkische Ver -
eine und Sprachschulen zu besuchen, um
zu erzählen, was der Polizei wichtig ist.
Seit Kurzem ist er auch in Sachen Hoch-
zeitskorsos auf Tour.
An einem Freitagmittag im August tritt
er auf den Vorplatz der Yeni Camii, einer
Moschee im Duisburger Stadtteil Beeck.
Ein paar Männer sitzen im Kreis auf Plas-
tikstühlen und rauchen, gleich beginnt das
Freitagsgebet. Köksal Çankaya, der Vor-
sitzende des Moscheevereins, bittet Nagel
in sein Büro.
»Es geht um die Korsos«, sagt Nagel und
legt seine Polizeimütze ab. Das Ministe -
rium wünsche sich, dass er das Problem
in den Gemeinden anspreche. Çankaya
nickt mit ernstem Gesicht. Bei manchen
Hochzeiten würden »Exzesse auf den Stra-
ßen« stattfinden, sagt Nagel. Straßensper-
ren, quietschende Reifen, das Abfeuern
von Schusswaffen und Feuerwerkskör-
pern, so gehe es nicht weiter. »Das ist ge-
fährlich und kriminell«, sagt Nagel, »da
greifen wir durch.«
Er nimmt seine Aktentasche, zieht ein
Faltblatt des Innenministeriums heraus:
»Hinweise für Hochzeitsfeiern«, steht da-
rauf. Darin sind die Strafen für diejenigen
aufgeführt, die sich nicht an Verkehrs -
regeln halten. Nagel liest vor: »Beschlag-
nahmung von Fahrzeugen, Punkte in
Flensburg, Geld- und Freiheitsstrafen.«
Und dann die Bengalfackeln, sagt Nagel,
die könnten bis zu 2500 Grad heiß werden.
Er will gerade aus dem Landesimmissions-
schutzgesetz zitieren, als sich Çankaya
räuspert.
»Sie haben recht«, sagt der Vereinsvor-
sitzende. In seiner Gemeinde hätten sie
lange über die Korsos diskutiert: »Ältere
wie ich halten das für bekloppt, die Jünge-
ren sehen es etwas anders.« Çankaya be-
fürchtet, dass türkische Hochzeiten bald
verboten werden, wenn es so weitergeht.
»Wir wollen ein besseres Bild abgeben«,
sagt er und verspricht, das Faltblatt am
Eingang aufzuhängen.
Wenig später steht Nagel wieder
auf dem Vorplatz. »Is’ doch gut ge-
laufen«, sagt er. Rund 50 Moscheen
gibt es in Duisburg, fast 40 hat er
schon besucht. Doch er weiß: Die
Polizei erreicht mit solchen Stipp-
visiten nur wenige Menschen, viele
Muslime gehen überhaupt nicht in
die Moschee. Und diejenigen, die
sich gern als starke Kerle in Szene
setzen, lassen sich vermutlich nicht
von einem Faltblatt bekehren.
Die Mahnungen richten sich an
Menschen wie Yaşar A., 28, Fach-
informatiker aus Fulda. Er war
schon oft auf türkischen Hochzei-
ten zu Gast, häufig nahm er seine
Schreckschusspistole mit. Das be-
reut er inzwischen, denn er hat eine
Menge Ärger deswegen.
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Deutschland
»Bescheuert, echt«
ZusammenlebenTürkische Hochzeiten provozieren die
Sicherheitsbehörden: Manche Feiernde
blockieren Autobahnen oder ballern wild herum.
MARCUS SIMAITIS / DER SPIEGEL
Hauptkommissar Nagel: »Da greifen wir durch«