DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019 47
A
ls Student, sagt David Baker, sei er häufig an Flughäfen
kontrolliert worden. Hier entlang, bitte. Führen Sie
Drogen mit sich? Damals trug er seine Haare lang und
offen, vielleicht lag es daran. Baker studierte Zoologie, er
promovierte »Über die Induktion der Kontaktsensibilität bei
Meerschweinchen«, anschließend ließ er sich den Doktortitel
in den Reisepass eintragen.
Dr. David Baker. Das half.
»Die Kontrollen hörten auf«, sagt Baker am Telefon aus
London. »Damals zumindest.«
Heute ist David Baker Neuro -
immunologe, Professor der Queen
Mary University, der Fachwelt be-
kannt durch seine Forschung zum
Einsatz von Cannabis bei Multipler
Sklerose.
Seit einigen Jahren hat Baker wie-
der Probleme mit dem Grenzschutz.
Er ist inzwischen 57 Jahre alt und
bindet seine Haare zum Pferde-
schwanz. Wobei die Haare diesmal
nicht das Problem sind.
2008 bekam Baker seinen bio -
metrischen Reisepass ausgehändigt:
British Citizen, geboren am 3. März
1962 in Harrogate, männlich. Ein
kirschrotes Dokument, versehen mit
dem Hinweis: »Der Innenminister
Ihrer Britannischen Majestät fordert
im Namen Ihrer Majestät alle auf,
die es betrifft, dem Inhaber dieses
Passes ungehinderten Durchlass zu
gewähren ...«
Baker ist viel unterwegs. Er reist
zu Kongressen und Vorträgen, bis
vor Kurzem besaß er ein Ferienhaus
in Slowenien. Ein biometrischer
Pass kann bei der Einreise viel Zeit
sparen. Name, Geburtsdatum, Ge-
burtsort und Foto sind auf dem Chip gespeichert, man hält
den Pass an das Lesegerät am eGate, ein Blick in die Kamera,
das war’s: Nach wenigen Sekunden öffnet sich die Tür.
Bei Baker öffnete sich die Tür nicht. Jedes Mal, wenn er
nach Großbritannien zurückkehrte und seinen Pass auf den
Scanner schob, erschien auf dem Bildschirm die Aufforde-
rung, er möge den Grenzschutz aufsuchen.
Die Beamten starrten dann auf ihren Bildschirm. Sie scroll-
ten hoch und runter, manchmal schüttelten sie den Kopf.
»Am Anfang habe ich das hingenommen«, sagt Baker.
»Dann begann ich zu fragen, ob es ein Problem gebe.«
Die Beamten hätten ihn beruhigt, sagt er. Beim nächsten
Mal werde es am eGate sicherlich klappen. Als es bei vielen
nächsten Malen nicht klappte, fragte Baker, ob er vielleicht
einen neuen Pass beantragen solle. Nicht nötig, hieß es. Das
bringe nichts. Es gehe ja gar nicht um ihn.
Um wen es geht, erfuhr Baker nicht. Die Behörden, das im-
merhin brachte er heraus, fahndeten nach einem David Baker,
mit dem man »dringend ins Gespräch kommen möchte«.
Baker besorgte sich einen Auszug aus dem britischen Vor-
strafenregister, über sich selbst. Keine Einträge.
Als er auch an den eGates anderer Länder nicht mehr
durchkam – in Deutschland, Griechenland, Portugal, Aus -
tralien –, begann er zu recherchieren. Mindestens vier David
Bakers, fand er heraus, waren polizeilich erfasst, alle vier
wegen Drogenkriminalität oder Gewaltdelikten.
Ein David Baker wurde im Oktober 2017 in Frankreich
verhaftet, als er 28 Kilogramm Kokain, sechs Kilogramm He-
roin und acht Pistolen in einen Transporter lud. Er sitzt im
Gefängnis wie auch seine Komplizen, darunter ein korrupter
Grenzschutzbeamter Ihrer Majestät.
Ein anderer David Baker war zu einer 24-jährigen Haft-
strafe verurteilt worden, er starb im Gefängnis.
Ein weiterer David Baker, der wegen Drogen eine Haft-
strafe verbüßt, heißt in Wahrheit Darren Owen. Am 6. De-
zember 2014 rammte er in Südwales einen Streifenwagen
und versteckte sich danach im Unterholz. Er soll einen ge-
fälschten Pass auf den Namen David
Baker bei sich getragen haben.
Nach den Erkenntnissen von Dr.
David Baker befindet sich allerdings
zurzeit kein Krimineller namens
David Baker auf freiem Fuß. Weil
selbst Google jedoch nicht alles
findet, bat er das britische Innen -
ministerium um weitere Aufklärung.
Die informativste Antwort, die er
bekam, enthielt den Satz: »Es gibt
mehrere technische und sicherheits-
relevante Gründe, warum ein Pass
an einem ePassport-Gate abgewie-
sen werden kann.«
Die Gründe wurden nicht näher
erläutert. Also ließ Baker ein schwar-
zes T-Shirt mit den Sätzen bedru-
cken: »Ich bin nicht jener David Ba-
ker. Diese Information passt auf ein
bescheuertes T-Shirt, warum nicht
auf einen biometrischen Chip?«
Er zog das T-Shirt bei einer Slo-
wenienreise an. Die Tür am eGate
blieb zu.
Baker ließ weitere T-Shirts bedru-
cken. Eines mit dem »Ihre Majestät
fordert Durchlass«-Hinweis. Eines
mit dem Spruch: »Willkommen in
Großbritannien. Biometrisches Steinzeitalter.« Auf einem
weiteren sieht man sein Gesicht, flankiert von zwei krimi-
nellen David Bakers, darunter steht: »Drogendealer, tot im
Knast. Frustrierter Reisender. Drogendealer im Knast.«
Im »Guardian« erschien ein Artikel über Bakers Pro -
bleme, seitdem melden sich Menschen zu Wort, die Ähn -
liches erleben: ein Daniel Baker, ein David Wilson, ein Peter
Dawson – Menschen mit Allerweltsnamen, die darunter
leiden müssen, dass irgendein Namensvetter sich nicht be-
nehmen kann.
Er habe bereits über eine Namensänderung nachgedacht,
sagt Baker, die Idee aber verworfen. Immerhin hat er sich
seinen Forscherruf als Dr. David Baker erarbeitet.
Vor Kurzem landete er, aus Krakau kommend, in London.
»Interessantes T-Shirt, Sir«, sagte der Grenzschützer. »Nun
protestieren wir ein bisschen, nicht wahr?« Timofey Neshitov
eFrust
Warum ein britischer Medizinprofessor seit
Jahren mit Kriminellen verwechselt wird
Eine Meldung und ihre Geschichte
Baker
Von der Website Theguardian.com