Süddeutsche Zeitung - 07.09.2019 - 08.09.2019

(Rick Simeone) #1

nigt – Netze, die mit schwerem Stahlge-
schirrüber den Meeresboden gezogen wer-
den und dabei vor allem festsitzende Tiere
wie etwa Korallen zerquetschen können.
Und doch ist das nur ein Teilerfolg, denn
im freien Wasser über den Felsen darf wei-
ter gefischt werden – womit die Fischer
doch wieder das Ökosystem beeinflussen.
Hinzu kommt: Nationen, die trotz des Ver-
bots im Charlie-Gibbs-MPA mit Grund-
schleppnetzen fischen, können nicht be-
straft werden. Weil dieses Gebiet laut See-
rechtsübereinkommen ja allen Nationen
offensteht. Ein echter Schutz sieht anders
aus.
Und doch tut sich langsam etwas in Sa-
chen Meeresschutz. Seit drei Jahren gehört
der Meeresschutz zu den Nachhaltigkeits-
zielen der Vereinten Nationen. Und auch
der Weltklimarat hat die besondere Bedeu-
tung der Meere entdeckt. Ende September
wird er einen aktuellen Report über den Zu-
stand der Ozeane veröffentlichen. Unter
dem Dach der Vereinten Nationen wieder-
um feilt aktuell eine Staatenkonferenz am
allerersten Entwurf eines Meeresschutzab-
kommens, das künftig die Verfassung der
Meere ergänzen soll. Im nächsten Früh-
jahr soll der Entwurf der Vollversammlung
der Vereinten Nationen dann mit letzten
Änderungen zur Abstimmung vorgelegt
werden.
„Das ist ein erster wichtiger Schritt zu ei-
nem weltweit verbindlichen Regelwerk für
MPAs in der Hohen See“, sagt Tim Pack-
eiser, Meeresschutzexperte beim WWF.
Wie dieser Schutz exakt aussehen wird,
wer die Schutzgebiete überwachen wird
und wie man Vergehen künftig ahnden
kann, ist allerdings noch offen. „Es wird da-
her noch mehrere Jahre dauern, bis alles
unter Dach und Fach ist.“ Will die Mensch-
heit die Meere besser schützen als bisher,
dann muss sie also zunächst noch ohne
Meeresschutzregeln im internationalen
Seerecht zurechtkommen.
Doch es gibt Grund zur Hoffnung. Zwar
fehlt weiterhin für die Hohe See ein Schutz
gemäß Seerechtsübereinkommen. Aber
immerhin haben viele Staaten in den ver-
gangenen Jahren in ihren Hoheitsgewäs-
sern und ihren Wirtschaftszonen neue
Schutzgebiete ausgewiesen – Korallenrif-
fe oder wichtige Laich- und Nahrungsgrün-
de von Fischen. Vor allem die Staaten im
Südpazifik sind hier vorbildlich.
Ein großes Problem aber ist, dass es bei
der Ausweisung von diesen Schutzgebie-
ten weltweit kaum eine systematische Zu-
sammenarbeit gebe: „Man kann die ver-
schiedenen Regionen in den Ozeanen nicht
isoliert voneinander betrachten, weil viele
Tierarten quer durch die Ozeane wandern.
Verschiedene Regionen sind untrennbar
miteinander verbunden“, sagt Tim Pack-
eiser vom WWF. Das klassische Beispiel sei
der Aal, der in der Sargassosee am Golf von
Mexiko laicht, um dann als Jungtier quer
über den Atlantik in die europäischen Flüs-
se zu schwimmen. „Wir brauchen deshalb
ein weltweites Netzwerk von Schutzgebie-
ten.“


Es reicht also nicht, irgendwo MPAs aus-
zuweisen. Man muss die wirklich bedeutsa-
men Gebiete auswählen und dabei vor al-
lem ein Hindernis aus dem Weg räumen:
die Nutzungskonflikte. Und so bleibt die
Frage, wie es gelingen kann, weltweit
mehr zu erreichen. Für Barbara Block, jene
US-Wissenschaftlerin von der Stanford
University, die das Shark Café mitentdeckt
hat, ist die Antwort klar. Die Öffentlichkeit
muss Druck machen und noch lauter als
bisher den Schutz der Meere einfordern.
Sie selbst geht mit gutem Beispiel voran.
Sie macht Werbung für die schützenswer-
ten Regionen – auf Konferenzen, in Fern-
sehsendungen und im Internet. „Serengeti
des Meeres“ nennt sie das Shark Café und
andere einzigartige Lebensräume in den
Ozeanen, um klar zu machen, wie wichtig
diese Gebiete sind; Gebiete die kaum einer
kennt und von deren Bedeutung kaum ei-
ner weiß, weil sie weit draußen liegen –
manchmal sogar 2000 Kilometer vor der
Küste.


An die „Ausschließliche Wirt-
schaftszone“ schließt sich die
Hohe See an. Sie steht nach dem
Seerecht der Vereinten Nationen
allen Staaten für eine Nutzung
offen. So ist es hier beispielsweise
jedem Staat erlaubt, Fischfang zu
betreiben, militärische Manöver
durchzuführen oder Seekabel zu
verlegen. Gleichwohl wird die
Nutzung von Ressourcen in der
Hohen See multinational regu-
liert. Die Fischerei wird in den
verschiedenen Meeresgebieten
durch Regionale Fischereima-
nagement-Organisationen
(RFMO) abgestimmt – in diesen
Organisationen sind vor allem
jene Küstenstaaten vertreten, die
an das entsprechende Meeresge-
biet grenzen. Die künftige Nut-
zung von mineralischen Ressour-
cen am Meeresboden im Bereich
der Hohen See, wie zum Beispiel
Manganknollen, wird wiederum
zentral von der Internationalen
Meeresbodenbehörde verwaltet.
In der Hohen See liegt zum Bei-
spiel auch das bislang nicht ge-
schützte Shark Café – ein Gebiet
im Pazifik, in dem sich zahlreiche
Haie tummeln.

Marine Protected Areas, zu
Deutsch Meeresschutzgebiete,
sollen Arten, Lebensräume oder
Ökosysteme vor Zerstörung be-
wahren. Dabei können je nach
Gebiet durchaus verschiedene
Schutzgüter im Vordergrund ste-
hen – zum Beispiel auch Kultur-
schätze. Im Küstenmeer und in
der AWZ ist der Schutz durch
nationale Gesetze geregelt. Für
die Hohe See aber gibt es nur
unbestimmte Vorgaben für den
Meeresschutz. Erlaubt sind etwa
Forschungsarbeiten und Schiffs-
verkehr. Eine Definition des Be-
griffs liefert die Internationale
Union zur Bewahrung der Natur
und natürlicher Ressourcen
(IUCN): „Ein Gebiet innerhalb
oder unterhalb des Gezeitenbe-
reichs, einschließlich seiner dar-
überliegenden Wassersäule und
der dazugehörigen Flora, Fauna
sowie historischen und kulturel-
len Werte, das gesetzlich oder
durch andere wirksame Mittel in
seiner Gesamtheit oder in Teilen
geschützt wird.“ Ein Beispiel für
ein MPA ist die Charlie-Gibbs-
Bruchzone, ein Unterwassergebir-
ge im Atlantik.

Mit dem Begriff No-Take-Zone
wird ein Meeresschutzgebiet be-
zeichnet, in dem jede menschliche
Aktivität, insbesondere aber die
Fischerei, verboten ist. Hier dür-
fen Meereslebewesen weder in
großem Stil gefischt noch gean-
gelt werden. Auch ist es verboten,
Lebewesen vom Meeresboden
abzusammeln. No-Take-Zonen
werden meist eingerichtet, um
Bestände von Meeresorganismen
oder deren Lebensräume zu schüt-
zen, die durch eine zu intensive
Fischerei stark geschrumpft sind
oder geschädigt wurden. Hier
können Jungtiere in Ruhe heran-
wachsen, sodass die Bestände
verschiedener Meerestiere künf-
tig wieder anwachsen. Auch kön-
nen sich in No-Take-Zonen die
Lebensräume am Meeresboden
erholen, die durch Fischernetze
geschädigt worden sind. In vielen
No-Take-Zonen ist auch das An-
kern verboten oder einge-
schränkt, damit keine schweren
Anker die Bodenlebensräume
schädigen. Ein Beispiel für eine
solche Zone ist die Küste von Lun-
dy Island, einer kleinen Insel vor
der Küste von Großbritannien.

Die Öffentlichkeit müsse
lauter als bisher den
Schutz der Meere einfordern

Die Hohe See


der Weltmeere


DEFGH Nr. 207, Samstag/Sonntag, 7./8. September 2019 WISSEN 37


Marine Protected


Area (MPA)


No-Take-Zone,


Ruhe im Meer


Hohe See Zonen Charlie-Gibbs MPA

Nordpol

GRÖNLAND

EUROPA

KANADA
No Take Zone

Lundy
GROSS-
BRITANNIEN
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