Süddeutsche Zeitung - 07.09.2019 - 08.09.2019

(Rick Simeone) #1

D


as Shark Café liegt ziemlich
weit draußen, irgendwo auf
halbem Weg zwischen Hawaii
und Kalifornien. Der Pazifik
scheint hier eine einförmige
blaue Wasserwüste zu sein. Doch verbor-
gen unter Wasser geht es richtig zur Sache.
Dutzende Weißer Haie jagen umher, auf
und ab geht es, wie in der Achterbahn. Je-
des Jahr kommen die großen Fische hier in-
mitten des Pazifiks zusammen. Sie
schwimmen von ihren Jagdgründen vor
der kalifornischen Küste und vor Hawaii
schnurstracks zu ihrem Treffpunkt, den
US-amerikanische Meeresbiologen An-
fang dieses Jahrhunderts entdeckt und
„Shark Café“ genannt haben. Was genau
aber das Café im Meer für die Tiere so an-
ziehend macht, ob sich die Tiere hier paa-
ren oder ob sie jagen, weiß noch niemand.
Was man aber weiß: Das Shark Café ist
einzigartig. Es ist einer jener vielen Fle-
cken in den Ozeanen, die für Meerestiere
besonders wichtig sind. Denn der Weiße
Hai gilt heute als gefährdet. Forscher ver-
muten, dass das Shark Café für das Überle-
ben der Art bedeutend ist. Die Unesco will
es deshalb zum Weltnaturerbe erklären.
Doch das Shark Café ist, wie viele andere
wertvolle Meereslebensräume in den Ozea-
nen auch, bislang ungeschützt.
Dabei hatten im Jahr 2010 die Vertrags-
staaten der UN-Biodiversitäts-Konvention
beschlossen, bis 2020 wenigstens zehn Pro-
zent der Meere unter Schutz zu stellen –
ein Minimalziel. „Doch das wird man wohl
nicht schaffen. Aktuell sind es je nach Zähl-
weise nur zwischen fünf und acht Pro-
zent“, sagt Sebastian Unger, Meerespolitik-
Experte vom Institute for Advanced Sustai-
nability Studies in Potsdam. Und in vielen
Gebieten, die man eigentlich der Natur
überlassen wollte, kann von einem umfas-
senden Schutz dennoch keine Rede sein.
Vielfach sind Fischfang oder andere Nut-
zungen wie etwa militärische Übungen er-
laubt. Weltweit ist heute nur etwa ein Pro-
zent der Meeresfläche vollständig ge-
schützt. No-Take-Zonen heißen diese Ge-
biete, die gänzlich unberührt bleiben sol-
len. Eines der wenigen Beispiele für solche
Ruhezonen ist Lundy Island, eine kleine In-
sel an der Westküste Großbritanniens.

Weltweit betrachtet also steht es eher
schlecht um den Schutz der Ozeane, zu ver-
lockend sind die Schätze der Meere für den
Menschen. Die Ozeane liefern Millionen
Tonnen von Fisch. Am Meeresboden la-
gern Erdgas und Erdöl sowie Sand und
Kies für die Bauindustrie. Und so werden
die Meere und ihre Küsten vielerorts eher
ausgebeutet als geschützt: Salzwiesen wer-
den für Containerhäfen zubetoniert und
Mangrovenwälder für Aquakulturanlagen
abgeholzt. Und an immer mehr Küsten las-
sen Energiekonzerne Fundamente für
Windräder in den Meeresboden rammen.
Viele Pflanzen- und Tierarten verlieren da-
durch ihren Lebensraum. Baggerarbeiten
können die Jagdreviere oder Laichgebiete
von Fischen und Bodenlebewesen zerstö-
ren. Der Lärm von Offshore-Windparks
vertreibt Robben und Wale. Manche Gebie-
te gelten als Kinderstube der Fische, in de-
nen der Nachwuchs vieler Fischbestände
heranwächst. Ein zu intensiver Fischfang,
der hier die geschlechtsreifen Tiere weg-
fängt, trägt erheblich zur Überfischung
bei. Haiexperten befürchten, dass das
auch im Shark Café passieren könnte.
Allerdings verhindern nicht allein wirt-
schaftliche Interessen einen Meeresschutz
in großer Dimension. Auch politisch ist der
Schutz eine ausgesprochen verworrene Sa-
che. So gelten etwa in küstennahen Ho-
heitsgewässern, die zum Staatsgebiet der
jeweiligen Nationen gehören, andere Re-
geln als in den internationalen Gewässern
weiter draußen. Damit wird es zur Heraus-
forderung, große Gebiete im Meer zu schüt-
zen, in denen Tiere weitgehend ungestört
leben können.
Die Küstenstaaten etwa sind für den
Meeresschutz an ihrer Küste und in ihrer
200-Seemeilen-Zone zuständig, der soge-
nannten Ausschließlichen Wirtschaftszo-

ne (AWZ). Immerhin hat Deutschland 45
Prozent seiner Küstengewässer und seiner
AWZ als Schutzgebiet ausgewiesen; deut-
lich mehr als andere Länder.
Was aber die Fischerei angeht, ist die Sa-
che in Deutschland und Europa komplizier-
ter als anderswo. Die EU regelt den Fisch-
fang zentral durch die Gemeinsame Fische-
reipolitik. So wird auf EU-Ebene festge-
legt, welche Nation wo wie viel fischen darf


  • und zwar nicht nur vor der eigenen Haus-
    türe, sondern auch anderswo. Das führt zu
    bizarren Situationen: Deutschland hat an
    seiner Nordseeküste das Sylter Außenriff
    unter Schutz gestellt – einen faszinieren-
    den Lebensraum mit bunt belebten Riffen,
    Kies- und Sandbänken. Hier gehen sogar
    Schweinswale auf die Jagd. Gemäß gemein-
    samer Fischereipolitik aber darf Däne-
    mark im Sylter Außenriff fischen – in ei-
    nem breiten Korridor, der sich quer durch
    das Gebiet zieht.
    Und so bleibt der Konflikt zwischen Na-
    turschutz und wirtschaftlichen Interessen
    bestehen. Nach EU-Vorgaben muss
    Deutschland für seine Schutzgebiete in
    der Ausschließlichen Wirtschaftszone de-
    taillierte Pläne vorlegen, die dort wirt-
    schaftliche Aktivitäten klar regeln: Welche
    Bereiche eines Naturschutzgebietes soll-
    ten komplett geschützt und zu No-Take-
    Zonen erklärt werden? An welchen Stellen
    darf gebaggert werden, wo ist es verboten?
    Gibt es Abschnitte in den Schutzgebieten,
    in denen der Schiffsverkehr eingeschränkt
    werden sollte? In welchen Teilen darf ge-
    fischt werden? Alle diese Dinge werden in
    Managementplänen klar festgeschrieben.
    Doch die Verhandlungen zwischen den
    verschiedenen Bundesministerien und
    dem Bundesamt für Naturschutz (BfN),
    das für das Management der Schutzgebie-
    te zuständig ist, sind zäh. Im Bundesver-
    kehrsministerium etwa denkt man bislang
    nur sehr zögerlich über Beschränkungen
    für die Schifffahrt nach. Ein Problem sind
    unter anderem die lauten und schnellen
    Schiffe, die Techniker in die Windparks
    bringen und bislang kreuz und quer durch
    die Schutzgebiete rasen dürfen. Anderswo
    dürfen Unternehmen nach wie vor Sand
    und Kies baggern – einer der massivsten
    Eingriffe überhaupt, weil die Bagger den
    Lebensraum vieler Bodenlebewesen häu-
    fig komplett abtragen. „Weil man mit den
    Managementplänen derart im Verzug ist
    und Schutzziele zu schwammig formuliert
    sind, hat die EU Deutschland im Visier –
    auch beim stark umstrittenen Sand- und
    Kiesabbau“, sagt Kim Detloff, Meeres-
    schutzexperte beim Naturschutzbund in
    Berlin. Es drohten Bußgeldforderungen
    von mehreren 100 000 Euro pro Tag. Man-
    che Schutzgebiete werden also zum Teil
    noch immer stark genutzt. Für Kim Detloff
    bestehen diese daher bislang „leider nur
    auf dem Papier“.
    Henning von Nordheim, beim BfN zu-
    ständig für den Meeresnaturschutz, gibt
    den Naturschutzverbänden teils recht.
    „Aufgrund der zähen Verhandlungen sind
    wir tatsächlich spät dran. Deutschland hat-
    te der EU bereits im Jahr 2004 die Liste der
    schützenswerten Gebiete in der AWZ vor-
    gelegt“, sagt er. „Doch erst seit Erlass der
    Meeresschutzgebietsverordnungen im
    Jahr 2017 nehmen die Ministerien das The-
    ma so richtig ernst.“ Andererseits wehrt er
    sich dagegen, die deutschen Meeresschutz-
    gebiete als Parks abzutun, die nur auf dem
    Papier existieren. „Mit dem Naturschutzge-
    biet-Status haben wir in der AWZ Deutsch-
    lands viel erreicht. Noch in den 1990ern
    war so etwas gar nicht denkbar.“ Auch
    dank Verträglichkeitsprüfungen und der
    Schutzverordnungen ließen sich heute Ein-
    griffe in die Gebiete kontrollieren und
    auch untersagen – etwa die Erkundung
    von Rohstoffen im Meeresboden, bei der
    im Sekundentakt laute Unterwasserkano-
    nen gezündet werden. Im internationalen
    Vergleich stehe Deutschland mit seinen 45
    Prozent geschützter Meeresfläche sehr gut
    da, sagt Henning von Nordheim.
    Auch jenseits der 200-Seemeilen-Gren-
    ze läuft es beim Meeresschutz nicht immer
    rund. Dort beginnt die Hohe See. Hier lie-
    gen die internationalen Gewässer, die kei-
    nem Staat gehören und von allen Nationen
    gleichermaßen genutzt werden dürfen – et-
    wa für den Fischfang. Sie machen gut zwei
    Drittel der weltweiten Meeresfläche aus.
    In der Hohen See liegen auch das Shark
    Café oder der Costa Rica Thermal Dome,
    die Thermal-Kuppel vor Costa Rica, ein
    Meeresgebiet von der Größe Deutsch-
    lands. Starke Winde und Strömungen las-
    sen hier nährstoffreiches Wasser aus der
    Tiefe emporwallen. In der Nährstoffflut ge-
    deihen Massen von Mikroalgen, das Phyto-
    plankton, von dem sich Fischlarven und
    Kleinkrebse ernähren – und von diesen
    wiederum größere Fische. Ungezählte Tie-


re gehen hier auf Jagd, Delfine, Haie, Ro-
chen, Seevögel oder Wale. Kein Wunder,
dass auch der Thermal Dome auf der Liste
potenzieller Unesco-Naturerbe-Kandida-
ten steht.
Das Problem: Bis heute existiert kein in-
ternational gültiges Reglement, nach dem
man den Thermal Dome oder andere wert-
volle Gebiete der Hohen See gänzlich unter
Schutz stellen könnte. „Zwar gibt es das In-
ternationale Seerechtsübereinkommen,
das SRÜ, das auch als Verfassung der Mee-
re bezeichnet wird“, sagt Meerespolitik-Ex-
perte Sebastian Unger. „Aber das enthält
bislang noch keinen Passus dazu, wie sich
Meeresschutzgebiete in der Praxis realisie-
ren lassen.“ Im Klartext: Es fehlt ein inter-
nationales Gesetz, das irgendwo in der Ho-
hen See den Fischfang oder andere Nutzun-
gen einfach verbieten oder einschränken
könnte.

Und es wird noch verwirrender, weil das
Seerecht die Gebiete in den internationa-
len Gewässern rechtlich in zwei Teile teilt:
den Wasserkörper und den Meeresboden.
Für Meereslebewesen gehört beides natür-
lich zusammen – Fische zum Beispiel fres-
sen am Meeresboden, schwimmen aber an-
sonsten im freien Wasser umher. Nach
dem internationalen Seerecht aber sind
Wasser und Boden zwei verschiedene Din-
ge. Das führt dazu, dass sie heute von ver-
schiedenen Institutionen verwaltet wer-
den, die nichts miteinander zu tun haben.
Über den Meeresboden in der Hohen
See etwa wacht die Internationale Meeres-
bodenbehörde, die den Vereinten Natio-
nen untersteht. Sie hat die Aufgabe, die Bo-
denschätze, die am Meeresgrund lagern,
für die Staaten der Welt zu verwalten – und
durch international einheitliche Umwelt-
standards dafür zu sorgen, dass ein etwai-
ger künftiger Meeresbergbau den Tiefsee-
boden nicht zu stark schädigt. Die Fische-
rei in den internationalen Gewässern ist
hingegen anders geregelt: Hier sind die Re-
gionalen Fischereimanagementorganisati-
onen (Regional Fisheries Management Or-
ganisations, RFMO) zuständig – Organisa-
tionen, die den Fischfang in bestimmten
Meeresregionen verwalten. Zu ihnen gehö-
ren meist jene Küstenstaaten, die an diese
Meeresregionen grenzen. Die Mitglieds-
staaten handeln gemeinsam aus, wie viel
Fisch in dem Gebiet gefangen werden darf.
Für den Nordostatlantik beispielsweise ist
die North East Atlantic Fisheries Commissi-
on (NEAFC) als RFMO zuständig. Zu ihr ge-
hören die Europäische Union, Island, Nor-
wegen und Russland. Will man in einer
Meeresregion, die von einer RFMO verwal-
tet wird, Fischbestände schützen, dann
müssen alle Mitgliedsländer das Fangver-
bot einstimmig beschließen. Doch häufig
weigern sich einzelne Länder, den Fisch-
fang einzuschränken. Doch Fische lassen
sich nur schützen, wenn alle Mitgliedsstaa-
ten mitspielen.
Erfreulicherweise ist das tatsächlich
möglich: Ein Blick auf den Internet-Atlas
des Marine Conservation Institute aus Se-
attle zeigt, dass es weltweit eine ganze Rei-
he von Meeresschutzgebieten in der Ho-
hen See gibt – sogenannte Marine Protec-
ted Areas, MPAs. Für den Nordostatlantik
etwa haben sich die Mitgliedsstaaten der
NEAFC im Jahr 2010 zusammen mit ande-
ren internationalen Organisationen dar-
auf geeinigt, die Charlie-Gibbs-Bruchzone
als MPA unter Schutz zu stellen: Sie liegt
mehrere Hundert Seemeilen westlich von
Irland an jener Nahtstelle, an der die ameri-
kanische und die europäische Kontinental-
platte auseinanderdriften. Immer wieder
reißt hier der Meeresboden auf. Aus den
Spalten ergießt sich glühend heißes Mag-
ma ins Meer, das in Jahrmillionen ein
mächtiges Unterwassergebirge in die Hö-
he hat wachsen lassen. Die Felsen sind Hei-
mat für Hunderte seltener Tierarten: für
Kaltwasserkorallen, Schlangensterne, bi-
zarre Seegurken und natürlich Fische, die
hier auf die Jagd gehen. Um die verletzli-
che Welt der Felsenbewohner zu schützen,
hat sich die NEAFC hier auf ein Verbot der
Fischerei mit Grundschleppnetzen geei-

Küstenmeer:Jener Bereich des
Meeres, der direkt an der Küste
liegt, heißt Küstenmeer. Es wird
auch als 12-Seemeilen-Zone
(rund 22 Kilometer) bezeichnet.
Es gehört zum Hoheitsgebiet
eines jeweiligen Staates. Schiffe
aus dem Ausland dürfen es in
friedlicher Absicht durchfahren.
Alle übrigen Nutzungen und Akti-
vitäten in dieser Zone unterliegen
dem Nutzungsrecht und der Ge-
setzgebung des jeweiligen Küsten-
staates. Bei Straftaten greift die
Schifffahrtspolizei des Staates
ein. Umweltverschmutzungen
werden nach entsprechenden
nationalen Gesetzen geahndet.
Und auch über die Nutzung des
Küstenmeeres bestimmt allein
der Küstenstaat – den Bau von
Hafen- und Industrieanlagen, die
Fischerei oder die Gewinnung
von Sand und Kies, Öl und Gas,
über die militärische Nutzung
sowie die Einrichtung von Schutz-
gebieten. Allerdings muss die
nationale Gesetzgebung den inter-
national vereinbarten Regeln des
Seerechtsübereinkommens (SRÜ)
entsprechen.

Ausschließliche Wirtschaftszo-
ne (AWZ): An das Küstenmeer
schließt die AWZ an, die sich bis
zu 200 Seemeilen (rund 370 Kilo-
meter) vor der Küste erstrecken
kann. Sie wird deshalb auch
200-Seemeilen-Zone genannt.
Die AWZ gehört nicht zum Ho-
heitsgebiet eines Küstenstaates.
Der Staat hat hier aber „einge-
schränkte Hoheitsbefugnisse“. So
kann er in seiner AWZ Meeres-
schutzgebiete gemäß seiner Na-
turschutzgesetze ausweisen. Zu-
dem kann er in der AWZ Erdöl
und Erdgas oder Sand und Kies
abbauen, Windparks errichten
und Fische fangen. Andere Staa-
ten sind von diesen Nutzungen
ausgeschlossen. Allerdings dür-
fen andere Staaten mit Zustim-
mung des Küstenstaates Kabel
oder Pipelines durch die AWZ
verlegen und das Gebiet mit Schif-
fen durchfahren. Bezüglich der
Fischerei stellt die Europäische
Union eine Ausnahme dar. Die
Fischerei wird hier durch die „Ge-
meinsame Fischereipolitik“ gere-
gelt. Nach dieser dürfen Fischerei-
betriebe eines europäischen Staa-
tes durchaus auch in der AWZ
eines anderen EU-Staates fischen.

Es ist bereits gelungen,
ein paar Regionen der Meere
unter Schutz zu stellen

Ein Café für


die Haie


Der Mensch baggert am Meeresgrund und fischt die Ozeane leer.


Nun gibt es Konzepte, um das Wunderwerk der Natur unter


der Wasseroberfläche zu bewahren –


Umweltschützern aber gehen sie nicht weit genug


text: tim schröder, illustration: stefan dimitrov


Der Lärm der
Offshore-Windparks vertreibt
Robben und Wale

Küstenmeer


und AWZ


36 WISSEN HF2 Samstag/Sonntag,7./8. September 2019, Nr. 207 DEFGH

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