Das Land Brandenburg weigert sich, den
Nachfahren des letzten deutschen Kaisers
eine Entschädigung über 1,2 Millionen
Euro zu zahlen. Sie haben vor vier Jahren
für die Landesregierung ein Gutachten
über die Verstrickung der Hohenzollern in
die NS-Diktatur erstellt. Über die gleiche
Thematik haben Sie damals auch einen
Beitrag in der Wochenzeitung „Die Zeit“
publiziert. Wie waren die Reaktionen?
Nach meinem Beitrag haben die Hohen-
zollern Strafanzeige gegen mich gestellt,
mit dem Vorwurf der Verletzung von Pri-
vatgeheimnissen.
Haben Sie das Vorgehen des Hauses Ho-
henzollern als Einschüchterungsversuch
wahrgenommen?
In meiner Wahrnehmung erzeugte das
durchaus Druck. Es wurde tatsächlich er-
mittelt, mit dem Ergebnis allerdings, dass
das Verfahren später vollständig einge-
stellt wurde. Die Rolle der Hohenzollern
im Dritten Reich, die keine rühmliche
war, gehört zu den Kernfragen der deut-
schenGeschichte. Wenn daskeine öffent-
liche Angelegenheit ist, dann wüsste ich
nicht, was Geschichte noch sein soll.
In dem Gutachten kommen Sie zu dem Er-
gebnis, dass die Hohenzollern dem NS-Re-
gime in erheblichem Maße Vorschub geleis-
tet haben. Warum ist es bislang immer
noch nicht veröffentlicht?
Eine gute Frage, auf die ich auch keine
Antwort habe. Es ist Bestandteil des Ver-
fahrens am Verwaltungsgericht Potsdam
zwischen dem Land Brandenburg und
dem Haus Hohenzollern.
Darüber hinaus erhebt das Haus Hohen-
zollern Eigentumsansprüche auf Tausende
Kunstschätze in Museen Berlins und Bran-
denburgs. Was lösen die Forderungen bei
Ihnen aus?
Verwunderung. Allein schon darüber,
dass diese Forderungen überhaupt ge-
stellt werden, aber auch das Ausmaß.
Im Entwurf der Hohenzollern für einen
Vergleich wird auch ein unentgeltliches
Dauerwohnrecht im Schloss Cecilienhof,
dem Schloss Lindstedt oder der Villa Lieg-
nitz gefordert.
Kennen Siejemanden, demdas zu vermit-
teln wäre? Das Schloss Cecilienhof hat
176 Zimmer. Ich sehe auch einen gewis-
sen Kontrast zu Idealen des preußischen
Adels, die starkauf ZurückhaltungimMa-
teriellen bauen. „Mehr sein als scheinen“
war eine Devise und im ganzen preußi-
schen Adel wurde auf sogenannte ‚Koof-
michs‘, auf unternehmerisches Gewinn-
streben mit Verachtung geblickt.
Das Schloss Cecilienhof ist eine Gedenk-
stätte, hier wurde 1945 das Potsdamer Ab-
kommen unterzeichnet, die europäische
Nachkriegsordnung besiegelt. Geht es den
Hohenzollern um Geschichtspolitik?
Ich denke, zuerst scheint es um mate-
rielle Werte, um Kunstschätze, um Geld
zu gehen. Der jetzige Chef des Hauses,
Georg Friedrich Prinz von Preußen, der
Betriebswirtschaftslehre studiert hat, be-
zeichnet sich ja selbst als Unternehmer:
Zugleich halte ich aber die Annahme,
dass es nicht auch um Geschichtspolitik
geht, für absurd.
Woran machen Sie das fest?
Ein Ort wie Schloss Cecilienhof hat, egal
was man damit vorhat, objektiv Symbol-
kraft. Und ich erinnere an die wie ein
Staatsakt zelebrierte Umbettung der
Preußenkönige, die Rückführung der
Särge Friedrich II. und seines Vaters im
Jahr 1991 nach Potsdam. Die Hohenzol-
lern haben seit der Wiedervereinigung
Geschichtspolitik betrieben. Das ist we-
der erstaunlich noch verboten. Was mich
erstaunt, ist die Janusköpfigkeit.
Was meinen Sie damit?
Auf der einen Seite ist der Wunsch, auch
900 Jahre deutscher Geschichte zu reprä-
sentieren. Auf der anderen Seite wird da-
rauf verwiesen, dass es sich um ganz nor-
male zivilrechtliche Ansprüche handelt.
Doch es geht im verwaltungsgerichtli-
chen Verfahren um Entschädigungszah-
lungen eben auch um die Frage, ob Mit-
glieder der ehemaligen deutschen Herr-
scherfamilie dem NS-System erheblich
Vorschub geleistet haben. Für mich ist
die Vorstellung absurd, dass das nicht
von öffentlichem Interesse sein könnte.
Übrigensist es auchnicht allein einedeut-
sche Angelegenheit. Das ist von interna-
tionalem Interesse.
Worauf stützen Sie Ihre Erkenntnis, dass
die Hohenzollern der NS-Diktatur erheb-
lich Vorschub geleistet haben?
Da kommt Einiges zusammen. Prinz Au-
gust Wilhelm von Preußen, der vierte
Sohn des letzten Kaisers, tritt schon
1930 in die SA und die NSDAP ein und
ist für die NS-Propaganda von allergröß-
ter Bedeutung. Viel gravierender ist aber
das Agieren des Kronprinzen Wilhelm,
der nach dem Tod Wilhelms II. 1941 im
holländischen Exil Chef des Hauses Ho-
henzollern wird. Schon im Jahr 1926
empfängt erGöring, Röhm und Hitler auf
Schloss Cecilienhof. Hitlerund der Kron-
prinz versuchen, 1932 ein Bündnis zu
schmieden. Kronprinz Wilhelm soll bei
der Reichspräsidenten-Wahl als Sammel-
kandidat der gesamten Rechten antreten,
womit ein Wahlsieg gesichert erschien.
HitlerwäredannReichskanzler des Kron-
prinzen geworden. Doch Wilhelm II. ver-
bietet den Bund: Du wirst nicht Präsi-
dent, weil Du dann einen Eid auf diese
Republik leisten müsstest. Kurz darauf
publiziert der Kronprinz einen Wahlauf-
ruf für Hitler bei der Reichspräsidenten-
wahl 1932. Insgesamt ist das eine für ei-
nen potenziellen Thronfolger sehr weit-
gehende Unterstützung des Nationalso-
zialismus.
Welche Rolle spielte der Tag von Potsdam
am 21. März 1933?
Die Hohenzollern, insbesondere der
Kronprinz, leisten einen zentralen Bei-
trag für diese Inszenierung, die für die
Machtergreifung wichtig war: Hitler ist
seit zwei Monaten Kanzler, braucht aber
eine Zwei-Drittel-Mehrheit, um den
Reichstag auflösen zukönnen. Es geht da-
rum: Wie bekommt er die konservativen
Stimmen? Hier ordnet sich der Tag von
Potsdam ein. In der Garnisonkirche wird
gemeinsam mit Hitler ein pseudomonar-
chistischer, pseudotraditionalistischer
Mummenschanz zelebriert. Beim Tag
von Potsdam kann man en détail studie-
ren, dass die Familie der Hohenzollern
sich selbst, ihre 900-jährige Geschichte
und den Glanz Preußens der werdenden
NS-Diktatur aktiv zur Verfügung gestellt
hat.
Warum eigentlich, aus Bösartigkeit?
Nein, 1933 ist das eine Fehlkalkulation,
eine Selbstüberschätzung gewesen, ge-
koppelt mit einerUnterschätzung derNa-
tionalsozialisten, ihres vollkommen
neuen Regimes der Brutalität. Wie der
Kronprinz damals dachte, ist in Briefen
an Freunde im Ausland belegt, darunter
etwa die amerikanische Opernsängerin
Geraldine Farrar, ein Popstar ihrer Zeit.
Er schreibt ihr, dass der Führer ein genia-
ler Mann sei, die Arbeiterbewegung zer-
schlagen habe, jetzt noch etwas aufräu-
men müsse. Das Wort, das da fällt, zu ei-
ner Zeit, als die ersten Zigtausenden von
Deutschen in Konzentrationslager ge-
sperrt werden, ist: Aufräumarbeiten.
Was hätten die Hohenzollern tun können?
Stellen Sie sich einen Kronprinzen vor
oder einen Exilkaiser, der sich öffentlich
gegen die Nationalsozialisten so aus-
spricht: Das ist eine Bande von Schlägern
und antisemitischen Verbrechern, diese
Männer zerstören die Traditionen und
Ideale Preußens. Von den wichtigsten
Mitgliedern der Familie ist vor 1945
keine einzige öffentliche Erklärung gegen
den Nationalsozialismus bekannt.
Hat zumindest Prinz Luis Ferdinand, der
Kontakte zum Widerstand des 20. Juli 1944
hatte, die Ehre der Familie gerettet?
Es gibt bisher wenig Forschung über ihn.
Abernach dem,was ichinArchivengese-
hen habe, auch im Berlin Dokument Cen-
ter, stand er dem Nationalsozialismus
fern. Ich würde ihn auf keinen Fall als Na-
tionalsozialisten bezeichnen.
Georg Friedrich Prinz von Preußen hat öf-
fentlich erklärt, dass er für eine kritische
Auseinandersetzung mit der Geschichte
seiner Familie steht.
Wenn es so wäre, dann könnte er anders
handeln, zumal es keine Kollektivhaftung
gibt, er persönlich nichts dafür kann, was
seineVorfahrengetan oder nicht getanha-
ben.
Was könnten die Hohenzollern denn tun?
Sie könnten eineunabhängigeHistoriker-
kommission einsetzen, wie etwa im Fall
einiger Großkonzerne, des Auswärtigen
Amtes oder des Finanzministeriums.
Auch einige Adelsfamilien beginnen vor-
sichtigmit renommierten Historikern zu-
sammenzuarbeiten.
Können Sie nachvollziehen, dass die
NS-Verstrickungen in der aktuellen Hohen-
zollern-Ausstellung im Schloss Charlotten-
burg keinerlei Rolle spielen?
Das verwundert mich. Als Historiker des
- Jahrhunderts denke ich, dass es auch
ein Kapitel darüber geben sollte. Im
Schloss Cecilienhof, wo der Kronprinz
lebte,ist esübrigens ähnlich. Die Darstel-
lung dort ist sehr unkritisch. Vielleicht
liegtes auchdaran,dass die Touristen, ob
aus Japan, Amerika oder China vor allem
Preußens Gloria sehen wollen.
Könnte es Rücksicht auf die Hohenzollern
als Leihgeber der Schlösserstiftung sein?
Möglich.
Sie lehren Geschichte in Großbritannien,
sind zu den Hohenzollern-Forderungen
auch von internationalen Medien befragt
worden. Wie ist die Wahrnehmung außer-
halb Deutschlands?
Da werde ich gefragt, ob das ein Witz ist.
Britische Kollegen ordnen das in Rich-
tung der berühmten Komiker von Monty
Python ein, können nicht glauben, dass
das Ernst ist. Ich habe in Frankreich stu-
diert und zu Frankreich enge Verbindun-
gen: Französische Kollegen witzeln, wie
es wohl wäre, wenn die Bourbonen
Wohnrecht im Pariser Louvre fordern
würden. Vollkommen unvorstellbar.
In den seit einigen Jahren laufenden Ver-
gleichsverhandlungen mit der öffentlichen
Hand um Kunstschätze pochen die Hohen-
zollern auf den Vertrag über die Vermö-
genseinigung zwischen dem preußischen
Staat und dem früheren Königshaus aus
dem Jahr 1926.
Juristen werden und müssen diese Ent-
scheidungen treffen. Für mich stellen
sich andere Fragen: Können wir die Brü-
chedes20.Jahrhunderts einfach ausblen-
den und nahtlos in einem großen Bogen
zurückgehen?Warum versucht eine wohl-
habende Familie wie die Hohenzollern in
dieser Form überhaupt Ansprüche zu er-
heben, Enteignungen rückgängig zu ma-
chen? Das hat auch mit Moral zu tun. Mil-
lionen von deutschen Vertriebenen ha-
ben1945 ihrHab undGut verloren,muss-
ten fliehen. Das alles geht weit über das
juristische Gewerbe hinaus, berührt poli-
tische, ethische, soziale und historische
Tiefenfragen. Man kann Zweifel haben,
dass diese Dimension dem Haus Hohen-
zollern bewusst ist. Ganz zu schweigen
davon, dass den Reichtum früherer Kö-
nige meist andere geschaffen haben, und
zwar über Jahrhunderte.
Den Gutachten-Auftrag bekamen Sie vom
Linke-geführten Finanzministerium in
Brandenburg. Stehen Sie den Linken nahe?
In keiner Weise. Ich habe mich seit 25
Jahren mit der Geschichte des deutschen
Adels beschäftigt. Als mich das Ministe-
rium aus Potsdam um die Expertise bat,
bin ich im Zuge meiner Recherchen
selbst überrascht gewesen, wie stark die
Verbindungen derHohenzollernzum Na-
tionalsozialismus waren, stärker als ich
vorher dachte. Ich bin kein Mitglied der
Linken, ichwähle diese Partei auch nicht,
als geborener West-Berliner bin ich zu-
dem gegen jede DDR-Nostalgie impräg-
niert. Ich versuche, als Historiker die
Rolle der Hohenzollern objektiv zu be-
werten.
Wie finden Sie es, dass die Linken in Bran-
denburg kurz vor der Landtagswahl jetzt
eine Volksinitiative „Keine Geschenke den
Hohenzollern“ gestartet haben?
Die Linken versuchen, es als Wahlkampf-
thema zu verwenden. Das überrascht
mich nicht. Das Thema ist, wie kann es
auch anders sein, politisch aufgeladen,
von beiden Seiten.
Der frühere Berliner SPD-Senatskanzlei-
chef André Schmitz, der sich zwischen öf-
fentlicher Hand und Hohenzollern als Me-
diator versuchte, warnt vor Stimmungsma-
che gegen den Adel. Hat er Recht?
Ich denke, man soll gegen keine gesell-
schaftliche Gruppe Stimmung machen,
auch nicht gegen die Familie der Hohen-
zollern. Das würde ich auch nicht tun.
Es gibt Publizisten, die von Clankriminali-
tät und Räuberbande sprechen.
Ich verwende solche Begriffe nicht. Der
Steilpass, den die Hohenzollern gespielt
haben, eignet sich allerdings dafür, den
Ball hart anzunehmen. Und im Diskurs
einerDemokratie gehörtauchmetaphori-
sche Übertreibung dazu.
Im Verfahren am Potsdamer Verwaltungs-
gericht könnte ihr Gutachten entscheidend
werden, ob den Hohenzollern eine Entschä-
digung von 1,2 Millionen Euro für enteig-
nete Immobilien gezahlt werden muss. Kön-
nen Verwaltungsrichter ein historisches Ur-
teil darüber fällen, welche Rolle die Hohen-
zollern in der NS-Diktatur spielten?
Man möchte in diesem Prozess nicht
Richter sein. Zunächst fiel mir das Zitat
von Karl Marx ein, nach dem sich große
Ereignisse einmal als Tragödie, einmal
als Farce ereignen. Aber inzwischen sehe
ich es anders: Es ist eine wichtige Chance
für die historische Aufklärung alter und
großer Fragen.
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„Die Hohenzollern haben Hitler aktiv unterstützt“
Der Historiker Stephan Malinowski über die Ansprüche der Adelsfamilie und ihre Rolle bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten
Stephan Malinowski,Jahrgang 1966, ist Historiker und lehrt Geschichte an der Universität von Edinburgh. Seine Dissertation „Vom König
zum Führer. Deutscher Adel und Nationalsozialismus“ ist als Fischer-Taschenbuch erhältlich und wurde 2004 mit dem Hans-Rosen-
thal-Preis ausgezeichnet. Das Gespräch mit ihm führte Thorsten Metzner. Foto: Manfred Thomas
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