Der Tagesspiegel - 07.09.2019

(John Hannent) #1
Fleischkonsum unterstützt meistens eine
verachtende Industrie. Kein Mensch will in
soeinem Schlachtbetriebarbeiten undimSe-
kundentakt Kühe totbolzen oder Schweine
auseinandersägen. Die industrielle Haltung
von Tieren ist schlecht für die Tiere und fürs
Klima, also für alle. Ich lebe vegetarisch,
schon seit 16 Jahren. Vegan schaffe ich nicht,
trotzdem esse ich nicht jeden Tag ein Ei oder
ein Pfund Käse. Ich versuche, möglichst
nachhaltig zu konsumieren, aber ey, ich bin
auch nur ein Mensch. Mir fällt es nicht
schwer, komplett auf Fleisch zu verzichten.
Wer das nicht kann – ja, dann ist dasso. Dann
ist es aber vielleicht möglich, nicht jeden Tag
Wurst und Buletten zu essen und vielleicht
kein Fleisch für 99 Cent das Kilo zu kaufen
sondern eben weniger, aber dafür besseres
Fleisch? Einfach mal überlegen, was man da
so in sich reinstopft. Man tankt ja auch kein
Diesel mit einem E-Auto. Und genauso we-
nig ist es eine gute Idee, sich mit Essen zu
ernähren, das den eigenen und den „Motor“
des Planeten über kurz oder lang zerhackt.
Katharina Henschel

Natürlich darf man. Aber vielleicht sollte
man es nicht mehr in der gewohnten Menge
und den gewohnten Quellen, wenn einem
die Zukunft am Herzen liegt.
Thomas Weber

Hinter„Fleisch essen“ und „Milch trinken“
stecktsehr vielmehr als Tiere töten füreinen
schnöden Gaumenkitzel aus Gewohnheit.
Umweltverschmutzung, Ressourcenver-
schwendung, Klimaveränderung, multiresis-
tente Keime. Und das betrifft uns alle.
Doris Koinig

„Zu viel Leid“, da sorge ich mich erst
einmal um Menschen und ich denke an Ar-
beitsbedingungen. Hier gibt es aber Umset-
zungsschwierigkeiten, die rumänischen Mit-
arbeiter beklagen nach wie vor Schmutz und
Enge ihrer Unterkünfte, für ein einzelnes
Bett muss 300 Euro gezahlt werden. Das ist
unmenschlich in meinen Augen und daran
muss etwas geändert werden, es kann nicht
sein, dass Arbeitnehmer so lange unter so
schlechten Bedingungen leben müssen, bis
sich mein privater Fleischverzicht irgend-
wann bis zur Arbeitgeberseite „durchgehun-
gert“ hätte.
Gabriele Flüchter

Weniger Fleisch zu konsumieren, muss
(und kann nur) der Anfang sein; wir müssen
tatsächlich besser in der nahen als in der fer-
nen Zukunft dahin kommen, den Fleischkon-

sumeinzustellen. Das sageich als„Mischfres-
ser“, dem die Abkehr von tierischen Produk-
ten durchaus schwerfällt. D. Popp

Ja, darfich.Wasaber nichto.k. ist, ist jede
Form von industrieller Landwirtschaft mit
demZiel, den maximalenErtragzu erzielen.
Götz Winter

Auf der Welt gibt es nun mal Raubtiere.
Unddie heißen so,weilsie andere Tiere fres-

sen und nicht Grünzeug. Ich erinnere an den
lieben Eisbären und natürlich den Wolf. Es
ist absolut weltfremd, dem Menschen, der
sich nun mal auch von anderen Tieren er-
nährt, genau dieses abzusprechen. Wie
kommt man Ihrem Ziel näher? Natürlich
nicht durch Dogmatismus. Sie merken doch,
dass die Menschen als Reaktion zur AfD ren-
nen. Das hängt alles miteinander zusammen.
Es muss ganz einfach nur das, was „unglaub-
lich viel Energie, Wasser und Fläche ver-
braucht“, angemessen bepreist werden. Wir
brauchen als Gesellschaft eine Haltung zur
ökologischen Tierhaltung. Die kostet Geld
und dann essen alle weniger. Damit sich die
armen Mitbürger auch noch Fleisch leisten
können, müssen die ganz einfach nur ordent-
lich bezahlt werden. Also echtes Tierwohl
und Mindestlohn! Stefan Müller

Der Begriff Bio verleitet gerne zu fal-
schen Schlussfolgerungen! Zum Beispiel ist
die Anbindehaltung von Rindern über die
Wintermonate auch bei ökologischer Hal-
tung erlaubt. Im Hühnerstall werden Zwi-
schenwände eingezogen, um die Anzahl
der gehaltenen Hühner zu erhöhen und ih-
nen die vorgeschriebenen Quadratmeter zu
gewährleisten! Der Kunde glaubt an die
heile Welt der Bio-Produkte, für die er
gerne Höchstpreise bezahlt! Die Realität
sieht anders aus und unterscheidet sich in
ihren Folgen kaum von der Massentierhal-
tung! Bernd Behnke

Nicht die Fleischberge im Sonderangebot
müssen aufhören, es muss überhaupt sofort
aufhören, Lebewesen als Nahrung anzuse-
hen und sie zu verzehren. Wir leben sehr gut
auch ohne Tiere auf dem Teller. Es ist purer
Egoismus und nur noch ein Festhalten an al-
ten, festgefahrenen Strukturen. Fleisch zer-
stört auf sämtlichen Ebenen!
Carmen Bucher

Das Zauberwort heißt Ausgewogenheit.
Und dann vielleicht auch selbst kochen, was
heutzutage ja völlig out ist. Leider geht der
Bezugzu den Nahrungsmitteln, derenEntste-
hung und auch Zubereitung, verloren.
Hans Fache

Soetwas darf einfachnicht sein: zum einen
die Fleischmafia und der Menschenhandel.
Beides floriert Hand in Hand. Ein Skandal ist
auch, wie die EU-Bürger leben müssen und
untergebracht sind, die in Schlachthöfen ar-
beiten. Neben der Würde des Tieres geht
auch die Menschenwürde flöten!
Angelika Rimbach

AnsichtsKATER


I


ch weiß nicht, wie oft ich schon gewählt habe, aber eines
weiß ich ganz sicher: Keine Wahl, zu der ich als Bürgerin
dieses Landes aufgerufen war, habe ich verpasst. Kommunal-
wahl, Landtagswahl, Bundestagswahl – sogar die Europawahlen
habe ich nicht ausgelassen. Dass ich das als meine bürgerliche
Pflicht empfinde, liegt sicher auch daran, dass mir das Wahl-
recht in Deutschland nicht in die Wiege gelegt wurde. Erst mit
der deutschen Staatsbürgerschaft habe ich es bekommen.
Nach jeder Wahl habe ich zuerst die Hochrechnungen ver-
folgt und mir anschließend die Interviews mit den Vertretern
der Parteien angeschaut. Am letzten Wochenende war das zum
ersten Mal anders. Nach den Wahlen in Sachsen und Branden-
burg musste ich den Fernseher schon nach kurzer Zeit ausschal-
ten. Obwohl ich nicht gewählt hatte, war ich irgendwie doch be-
teiligt. Denn mit allem, was die AfD sagt, meint sie mich – die
Migrantin. Sehen Sie mir also bitte nach, dass mir die Befind-
lichkeiten der AfD-Wähler, ob sie aus Protest, aus Überzeu-
gung, weil sie sich abgehängt oder vom Westen im Stich gelas-
sen fühlen oder schlecht geschlafen haben, ziemlich egal sind.
Damit Sie verstehen, was ich meine, möchte ich Ihnen kurz
meine Augen und Ohren leihen: „Wir werden sie dann auch,
Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“ „Es muss
Schluss damit sein, dass Fremde unsere
Frauen, unsere jungen Mädchen als billig
verfügbare Schlampen missbrauchen.“ „Hit-
ler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss
in über tausend Jahren erfolgreicher deut-
scher Geschichte.“ „Dem kleinen Halbne-
ger scheint einfach zu wenig Beachtung ge-
schenkt worden zu sein.“ „Die Leute finden
ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen
einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“
Das sind Sätze von führenden AfD-Politi-
kern, sie wurden in der Öffentlichkeit ge-
sagt. Wenn nicht persönlich, wie sonst
sollte man als Migrant in diesem Land diese rassistischen Ent-
gleisungen nehmen? Und ja, jeder, der die AfD mit diesem Wis-
sen gewählt hat, nimmt ihren Rassismus in Kauf und macht sich
mit seinem Kreuz mit diesem Gedankengut gemein.
Viele Freunde haben seit dem letzten Wochenende Fluchtge-
danken. Eine jüdische Freundin schrieb: „Und ich denk nur Kof-
fer. Ich denk die ganze Zeit nur Koffer.“ Es ist ein beklemmen-
des Gefühl, dass man sich in seiner Heimat nicht mehr wohl-
fühlt. Und während ich das schreibe, denke ich an die anony-
men E-Mails, die ich wie immer bekommen werde: „Geh doch
zurück in dein Ziegendorf.“ „Verpiss dich endlich.“ In welcher
Schieflage der Diskurs mit den AfD-Wählern ist, zeigt, wie nor-
mal wir es mittlerweile empfinden, überhaupt solche Zuschrif-
ten zu bekommen. Jedem sollte klar sein, dass rassistische An-
griffe durch die AfD Angriffe auf die ganze Gesellschaft sind.
Schonnachdem Bekanntwerden der NSU-Morde wurde
schmerzhaftklar,dass man als Minderheit ineinem Blumenla-
den,in einer Änderungsschneiderei,in einemLebensmittella-
den,in einem Dönerimbiss, ineinem Internetcaféeinfachso er-
mordet werden kann. „Siestehen nicht mehr allein“,sagte An-
gelaMerkelaufder Trauerfeier undmeinte uns.Und wie sehr
würde mansich jetztwünschen,dass Politiker demokratischer
Parteien nachSachsenund Brandenburgzu den Migranten sa-
gen: „Wir lassen Sienichtim Stich. Wir werden alles tun, damit
Siesicher indiesem Landleben können.“Auch wenn manselbst
nichtbetroffen ist, muss dasSignal andie AfDundihre Wähler
sein:Ihrhabt nicht nurMigranten,Juden, Flüchtlinge,Schwule
oderandere Minderheitengegeneuch, sondernuns alle.


W


enn Umweltministerin
Svenja Schulze auf Ver-
anstaltungen ist, stellt
sie den Anwesenden gerne eine
Frage: Was die wichtigste Maß-
nahme sei, um in Deutschland et-
was für den Klimaschutz zu tun,
will die SPD-Politikerin dann wis-
sen. Regelmäßig bekommt sie eine
Antwort zu hören: Man solle Plas-
tiktüten verbieten.
Vielleicht ist die Idee der Um-
weltministerin, jetzt ein entspre-
chendes Gesetz auf den Weg zu
bringen, beieiner dieser Begegnun-
gen entstanden. Mit dem Klima-
wandel hat der Plastikmüll zwar
nichts zu tun, das weiß Schulze
selbst am besten. Aber es stimmt,
dassWegwerfplastik zu einemriesi-
gen Problemfür dieUmweltgewor-
den ist. Über Flüsse und den Wind
werden Abfälle ins Meer getragen,
der Kunststoff baut sich kaum ab,
sondernwirdimmer weiterzerklei-
nert. Für Fische und andere Mee-
restiere ist er eine Gefahr.
Die Zeit für ein Verbot sei reif,
sagt Schulze. Die Vereinbarung
mitdemHandel, freiwillig aufPlas-
tiktüten zu verzichten, reiche nicht
mehr aus. Den Kunden empfiehlt
sie, auf Mehrwegtaschen aus recy-
celtem Kunststoff umzusteigen.
Das Problem ist nur, dass sich
nicht alle daran halten. Nach wie
vor greifen Verbraucher anstelle
der Plastiktüte zu Alternativen, die
eben nicht umweltverträglicher
sind. Umweltverbände bemängeln
die schlechte Ökobilanz von Pa-
piertüten. Und selbst ein Baum-
wollbeutel lohnt sich nur dann,
wenn er wirklich oft wiederver-
wendet wird.
Hinzu kommt: Plastiktüten ma-
chen nur einen kleinen Anteil des
gesamten Plastikmülls aus – laut
Schätzungen sind es etwa ein Pro-
zent. Auch anderswo entstehen
große Mengen an Verpackungs-
müll: angefangen bei den Cof-
fee-to-go-Bechern über das Ein-
weggeschirr beim Essenslieferan-
ten bis zum verpackten Gemüse in
vielen Supermarktauslagen.
Wenn die Umweltministerin den
PlastikmüllinDeutschland reduzie-
renwill, reicht es nicht,sich ein De-
tail rauszupicken. So populär es
auch sein mag, Plastiktüten aus
dem Handel zu verbannen: Viel
mehr als ein Symbol ist ein solches
Verbot erst einmal nicht.
Schulze hofft auf den Lerneffekt,
das Aha-Erlebnis, dass es auch
ohne Plastik gehen kann. Es mag
sein, dass durch ein Tütenverbot
diese Erkenntnis wächst. Oder
dass allein die Debatte über den
Schaden, den Plastikmüll anrich-
tet, das Verhalten von Konsumen-
ten verändert. Allerdings sollte die
Politik nicht vor allem beim Ver-
braucher ansetzen. Mindestens ge-
nauso wichtig ist es, Unternehmen
zum Umsteuern zu bewegen. Oder
Forschung undEntwicklung im Be-
reich der Kreislaufwirtschaft und
der recycelbaren Kunststoffe vo-
ranzubringen. Sollte das jetzt vor-
gelegte Gesetz der Auftakt für eine
solche Plastikvermeidungsoffen-
sive sein, dann wäre etwas gewon-
nen. Cordula Eubel

Von Hatice Akyün

CDDEBATTE


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Ein Angriff


auf uns alle


Zehn Debatten in zehn Wochen.
Der Tagesspiegel, die Berliner Zeitung
und die Bundeszentrale
für politische Bildung feiern
30 Jahre Meinungsfreiheit.

Diese Woche ging es
um die Frage:
Darf man noch Fleisch essen?

Am Montag beantwortete Schriftstelle-
rin Hilal Sezgin die Frage mit Nein,
auch vegetarisch ist ihr nicht tierfrei ge-
nug. Gastronom Boris Radczun schrieb
dagegen am Dienstag, dass für ihn
Fleischessen zum Leben dazugehöre.
Biobauer Jochen Fritz forderte nicht
nur mehr Respekt für die Tiere, son-
dern auch für Bäuerinnen und Bauer.
Veganer Felix Domke plädierte für die
Verantwortlichkeit jedes Einzelnen, die
Ernährungsberaterin Manuela Marin
mahnte zu maßvollem Fleischkonsum.
Auch die Leserinnen und Leser haben
mitdiskutiert. Hier eine Auswahl der
Meinungen.

Ihre Argumente und Ideen an
[email protected]

Alle Texte unter
causa.tagesspiegel.de

Jeder


AfD-Wähler


nimmt den


Rassismus


der Partei


in Kauf


Tütenverbot


als


Symbolpolitik


Das Plastikproblem


ist weitaus größer


8 DER TAGESSPIEGEL MEINUNG NR. 23 938 / SONNABEND, 7. SEPTEMBER 2019


STUTTMANN D


Hat die Wurst ein Ende?


Darf man noch Fleisch essen? Die Meinungen der Leserinnen und Leser zur Debatte:


Vom 11. – 15. September 2019 findet die Berlin Art Week bereits zum achten Mal als einer der Höhepunkte des zeitgenös-
sischen Kunstjahres in der Hauptstadt statt. Neben zwei Kunstmessen laden über 55 weitere Partner, darunter die großen
Berliner Museen und Ausstellungshäuser, Privatsammlungen und Projekträume zu einem dichten Programm mit stadtweiten
Ausstellungseröffnungen, urbanen Interventionen, Preisverleihungen und zahlreichen Sonderführungen ein und machen Berlin
einmal mehr zum internationalen Treffpunkt der zeitgenössischen Kunst. Im Jahr des 30. Mauerfalljubiläums setzen sich
Ausstellungen im Gropius Bau, C/O Berlin, n.b.k. und das Projekt Statista im Haus der Statistik am Alexanderplatz program-
matisch mit den lokalen und internationalen Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte auseinander.

Weitere Höhepunkte sind die Einzelausstellung von Bettina Pousttchi in der Berlinischen Galerie, das Veranstaltungsprogramm
„Körper lesen!“ im Haus der Kulturen der Welt sowie die Gegenüberstellung „Picasso x Scheibitz“ im Museum Berggruen.

Mehr Infos zu allen Ausstellungen unter: berlinartweek.de

Berlin Art Week 2019


Höhepunkt des Kunstjahres


Im Uhrzeigersinn (1) Patrick Tourneboeuf © Patrick Tourneboeuf/Collection Regard (2) Wolfgang Tillmans, friends outside Planet, 1992 © Wolf-
gang Tillmans. Courtesy Galerie Buchholz Berlin/Köln (3) Thomas Scheibitz, Kristall, 2014 © Thomas Scheibitz/VG Bild-Kunst, Bonn, 2019,
Foto: Gunter Lepkowski (4) Bettina Pousttchi, A3, 2019. Courtesy Buchmann Galerie, Foto: Michael Schultze
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