Neue Zürcher Zeitung - 07.09.2019

(Ron) #1

Samsta g, 7. September 2019 WIRTSCHAFT 27


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Italiens neuer Finanzminister Roberto Gualtieri


soll die Quadratur des Kreises schaffen SEITE 30


Wework landet in der Realität


Das hochgejubelte Co working-Startup kommt vor dem Börsen gang allmählich auf den Boden zurück


ANDREA MARTEL


Wie kann eineFirma, die Büroflächen
langfristig mietet, sie schön ausstaffiert
und dann kurzfristig in kleinen Einhei-
tenund mitDienstleistungen garniert
weitervermietet, 47 Mrd. $ wert sein?
DieseFrage geisterte in vielenKöpfen
herum, seit das NewYorker StartupWe
Company, bis vorkurzem alsWework be-
kannt, vor einigenWochen mitteilte, im
September an die Börse gehen zu wollen,
und bekanntwurde,dass dieFirma auf
derBasis dieser Bewertung zuletzt pri-
vates Kapital aufgenommen hatte.
Nunkehrt langsam derRealitätssinn
zurück.Wie mehrere Medien berichten,
schraubt das Management vonWedie
Erwartungen offenbar stark herunter.
Der Coworking-Anbieterrechne nur
noch mit einer möglichen Bewertung
von 20 Mrd. $.


Entlarvendes Börsendokument


Auslöser für mehr Nüchternheit ist die
Eingabe, dieWework im Hinblick auf
den Börsengang bei der US-Börsenauf-
sicht SEC machen musste und die erst-
mals auchAussenstehenden einen Ein-
blick in die Geschäftstätigkeit erlaubt
hat.Das Dokument zeigt zwar steile
Wachstumsraten (wobei Büros zu er-
öffnen nicht wirklich eineKunst ist,
höchstens eine Geldfrage) und weiter-
hin grossesWachstumspotenzial, aber
es offenbart auch die riesigenVerluste,
mit denen die Expansion erkauft wurde.
Allein im ersten Halbjahr 20 19 wies
das Unternehmen einenFehlbetrag von
1,4 Mrd. $ aus – weil dieAusgaben mit
2,9 Mrd. $ fast doppelt so hoch ausfielen
wie die Einnahmen (1,5 Mrd. $).Auch
punkto Corporate Governance kamen
zweifelhafte Dinge zumVorschein, dar-
unter Privatkredite, welche dieFirma
an ihren Co-Gründer und Hauptaktio-
närAdam Neumann ausrichtete, oder
Immobilientransaktionen mit einem
anderen Unternehmen von Neumann.
Wer den Coworking-Markt etwas
kennt, betrachtete den ganzen Hype um
Wework schon vorher skeptisch, denn die
Firma hat dieses Geschäftsmodell weder
erfunden, noch ist sie dereinzigePlayer in
diesem Markt, in dem es kaum Eintritts-
barrieren gibt.Speziell die an der Londo-
ner Börsekotierte InternationalWork-
placeGroup (IWG)erlaubt einenrelativ
gutenVergleich.Das Unternehmen, das
unter denMarkenRegus, Spaces, HQ,
Signatureund No18verschiedenste Ar-
ten von flexiblen Bürolösungen anbie-
tet,istan 3300 Standorten präsent. 227


davon werden als Coworking bezeichnet
und laufen unter dem Namen «Spaces».
IWG wächst zwar nicht sorasant wieWe-
work, ist aber profitabel–und wirdtrotz-
dem nur mit einem Bruchteil der Bewer-
tung gehandelt (rund 3,7 Mrd. £ bzw. 4,5
Mrd.Fr.).

Der Wert einer «Community»


Nunsieht das Management derWe
Company ihrenWertnicht in erster
Linie im Geschäft mit Mietflächen und
zugehörigen Dienstleistungen, sondern
in der sogenannten Community. Die
mittlerweile mehr als 527 000 Mitglieder


  • Frauen, Männer undFirmen – kämen
    nicht nur wegen der praktischen Büro-
    arbeitsplätze zuWework,sondern auch
    wegendes Netzwerks, der Energie und
    derKultur, sagt das Startup. Dies stei-
    gere die Produktivität der Mitglieder
    und binde sie anWework.
    Mit dieser Community ist es aller-
    dings so eine Sache.DieKonkurrentin
    Spaces sagt zwar offen, dass man diesen
    Aspekt im eigenen Geschäftsmodell
    nicht gleichermassen stark fördere, aber
    dies hat auch damit zu tun, dass darin
    nicht das gleichePotenzial gesehen wird.


Laut Garry Gürtler, Geschäftsführer
vonRegus und Spaces Schweiz, ist bei
der IWG Group die Community weni-
ger ein weltweit übergreifendes Pro-
dukt, als dass sie stark an das einzelne
Center gebunden ist. Ein guter Commu-
ni ty-Manager vor Ortkönne die Loya-
lität stark erhöhen. In der Schweiz, wo
Spaces im Gegensatz zuWework be-
reits starkvertreten ist, erwartet Gürtler
denn auch eherKonkurrenz von loka-
len Anbietern.
Christoph Birkholz vom Impact Hub
Zürich hat ähnliche Zweifel beim Preis-
schild, dasWework seiner Community
gibt. Beim Impact Hub steht der Ge-
meinschaftsaspekt sogar noch stärker
imVordergrund als beiWework: So ist
der Hub nicht in erster Linie ein Cowor-
king-Space, sondern eher ein Incubator,
der auch Gemeinschaftsbüros anbietet,
um seinen Mitgliedern denAustausch
und die Zusammenarbeit mit einer pas-
senden Umgebung zu erleichtern.
«Gemeinschaft entsteht über ge-
meinsameWerte und persönliche Be-
ziehungen», ist Birkholz’ Erfahrung
im Impact Hub Zürich, den er vor fast
zehnJahren mitgegründet hat und seit-
her leitet.Daslasse sich nicht sorasch

skalieren. Die Impact Hubs,von denen
es weltweit über 100 gibt, würden des-
halb immer von lokalen Gründern auf-
gebaut.Für Birkholz ist es auch unsin-
nig, zu glauben, dass ein Unternehmen
eine Community besitzenkönne: «Eine
Community gehörtkeinem.»

Und was nun?


Und wie geht es nun weiter?Darüber
herrscht derzeit Ungewissheit. Es ist
durchaus möglich, dass der Börsengang
verschoben wird. Einigen bestehenden
Investoren, die sich der Zurückhaltung
potenzielleröffentlicher Käufer gegen-
über derFirmaWebewusst sind, wäre
es lieber, wenn das Going-public bis
zum nächstenJahrverschoben würde.
Sollte dieKotierung doch noch im Sep-
tember durchgezogen werden, fänden
wohl bereits Anfang nächsterWoche
die erstenRoadshows bei Investoren
statt.WelcherWeg auch gewählt wird:
DieWahrscheinlichkeit,dass derWert,
derWework beigemessen wird, in den
kommendenWochen weitersinkt, ist
hoch. Denn auch 20 Mrd. $ lassen sich
bei einer einigermassen nüchternen Be-
trachtung nicht wirklichrechtfertigen.

So funktioniert das Coworking-Unternehmen in New York


cri. NewYork·AnWework scheiden
sich die Geister.Die einen halten den
Anbieter gemeinsam genutzter Büros
für ein profanes Immobilienunterneh-
men,das bisher nur viel Geld verbrannt
hat. Die anderen schwärmen von dessen
innovativen Ideen und davon,dass sein
Angebot den Büroimmobilienmarkt
völlig verändern wird.
Wie immer man dazu stehen mag



  • in NewYork ist es möglich, online
    einenTermin zur Besichtigung desAn-
    gebots zu vereinbaren und diesen inner-
    halb von 90 Minuten wahrzunehmen.
    Schliesslich ist es nicht weit von Brook-
    lyn Downtown bis nachDumbo, was
    «Down Under the Manhattan Bridge
    Overpass» bedeutet, woWework in
    zwei Bürogebäuden grosse Flächen
    verwaltet. In der verkehrsschwangeren
    Gegend, die sich in den letztenJahr-
    zehnten von einem Industriequartier in
    ein Bermudadreieck vollerTechnologie-
    firmenverwandelthat, wuseltesnur so
    von jungen, dynamischen Menschen.


Wer eines derWework-Gebäude be-
tritt, spürt sofort den innovativen Zeit-
geist. Gleich hinter der Eingangstür
steht eine Box zumRezyklieren ver-
schiedener Materialien.Daneben be-
findet sich ein Sofa, auf dem sich zwei
wartendeJungspunde mit ihren Smart-
phones und Laptops hingelümmelt
haben. Noch etwas weiter stapeln sich
angeliefertePakete, die noch nicht abge-
holt wurden. Besucher werden von der
jungenRezeptionistin aufgefordert, sich
an zweiTablet-artigenTerminals einzu-
checken, sich mit demFührerschein zu
identifizieren und sich mit einem Blick
in die integrierte Kamera zu verewigen.
Die jungeDamekonfrontiert den
pünktlichen Interessenten mit derAus-
sage,er möge sich doch etwas gedul-
den, da sich dasVerkaufsteam gerade in
einem Meeting befinde. Nach der Be-
merkung «Ich habe gedacht, es mit einem
effizient organisierten Unternehmen zu
tun zu haben», verfrachtet sie den Be-
sucher aberrasch ins siebte Stockwerk

und übergibt ihn einem offensichtlich
vorbildlich geschulten jungen Mann.
In einem offenen, modernen, lufti-
gen Ambiente – einer Mischung aus sty-
lischer Kaffeebar und ungezwungenem
Grossraumbüro, in der eine ganzeReihe
junger, Kopfhörer tragender Menschen
konzentriert und geschäftig an ihren
Laptops herumwerkelt –rasselt er die
Vorteile desWework-Konzepts herun-
ter: Es funktioniert wie ein Klub.
Man zahlt als Mitglied der Büro-
gemeinschaft einen fixen Betrag im
Monat, und darin ist alles enthalten, was
man sich vorstellen kann: die Miete für
den Arbeitsplatz in einem der gut 500
Wework-Gebäude in allerWelt, preis-
lich abgestufte Privatsphäre, Strom
und schnelles Internet, technologische
Unterstützung, die nötigen Möbel,Kon-
ferenzräume, Drucker bis hin zu Geträn-
ken und Snacks – jederzeit künd- oder
durch die Herausnahme von Zwischen-
wänden erweiterbar. Das mag angenehm
undeinfach sein – und der Grund,dass

das Gebäude (gemässFirmenangaben)
zu 97% ausgelastet ist. Mit der Grösse
ist es jedoch so eine Sache, denn die Ein-
zelbüros sind bei einer Monatsmiete von
890 $ klein wie ein Hasenstall, und auch
in denTeambereichen sitzt man gedrängt.
Über das Ganze legt sich das grosse
Geheimnis – der sogenannte Netzwerk-
Effekt. ImRahmenregelmässiger sozia-
ler Events sollen sich«Weworker» mit
unterschiedlichen InteressenundFähig-
keitenkennen- und gegenseitig nut-
zen lernen. Es gebe wissenschaftliche
Studien, die eine Art «Produktivitäts-
sprung» feststellten, behauptet der junge
Mann vonWeworkkeck. Leider aber
habe er diese gerade nicht zur Hand.
So bleibt es einRätsel, ob es das Phä-
nomenals messbareGrösse tatsächlich
gibt oder ob es primär dem Zweck dient,
vor dem Börsengang eine phantastische
Bewertung zurechtfertigen. Kritiker
jedenfallsätzen: In Zukunftseien zwar
phänomenale Gewinne zu erwarten,
aber vor Abzug allerKosten.

«Wir erwarten


keine Rezession»


Fed-Chef Jerome Powell will
den Aufs chwung w eiter unterstützen

pfi.· Wie allmächtig sind die Noten-
banken noch? An der UniZürich hatten
amFreitagabend gegen 20 00 Zuhörer
die seltene Gelegenheit, den mächti-
gen Chef der US-Zentralbank,Jerome
Powell, mit NationalbankpräsidentTho-
masJordan diskutieren zu hören, befragt
vom Präsidenten des Instituts fürAus-
landforschung, MartinMeyer.
Powell betonte, dass dieWirtschafts-
aussichten in den USA im elftenJahr
desAufschwungs nach wie vor günstig
seien. Allerdingsseien die Risiken grös-
ser geworden, zu denen er explizit die
durch den Handelskonflikt ausgelöste
Unsicherheit zählte. Firmen würden sich
deswegen mit Investitionen zurückhal-
ten.Jordan sieht eine Abschwächung
derWeltwirtschaft und desWachstums
in der Schweizbei sehr geringerTeue-
rung und grössererVerunsicherung.
DochPowell erklärte explizit:«Wir er-
wartenkeineRezession.»Das Fed gehe
von einem fortgesetzten moderaten
Wachstum aus und werde alles Notwen-
dige tun, um dieses weiter zu unterstüt-
zen.Aber muss das Zinsniveau so tief
sein?Für Powell zeigt die Zinssenkung
von EndeJuli die gewünschteWirkung;
ob bald weiterenötig sein werden, wollte
er sich nicht entlocken lassen.Vehement
stellte er hingegen in Abrede, dass sich
dasFed vom getwittertenRuf von Prä-
sidentTr ump nach Zinssenkungen leiten
lasse. Das Fed habe einen klarenAuf-
trag, mische sich auch nicht in diePolitik
ein und sei demVolk verpflichtet.
Powell ist der Ansicht, dass sich das
nominale Zinsniveau, bei dem dieWirt-
schaft weder überhitzt noch stockt, um
2 bis 3 Prozentpunktereduziert habe.
Gründedafür ortet er in der Alterung
der Gesellschaft, tieferer Produktivität
undTeuerung.Es gelte, sich auf eineWelt
mit geringeremWachstum, tieferInfla-
tion und tiefer Zinsen einzustellen.Jor-
dankonzedierte, dass dies den Manö-
vrierraum für die Notenbanken schmä-
lere. Ihn mit «Helikoptergeld» zu erwei-
tern,also Notenbankgeld den Bürgern zu
schenken, davon hält er allerdings nichts.
Powell und Jordan sehen derzeit
keine Notwendigkeit dafür, dass Zen-
tralbanken eigene digitale Zahlungs-
mittel schaffen. Private finanzielle Inno-
vationen wie das geplante Zahlungs-
system und die Kryptowährung Libra
desKonsortiums umFacebook wollen
sie nicht per se verhindern. Aber für
Powell ist klar, dass Libra eine solche
Dimension hat, dass es gleich von Be-
ginn weg systemrelevant werdenkönnte
und deswegen zuerst beweisen müsse,
dass es die höchsten regulatorischen
Sicherheitsstandards erfülle.

NZZ Visuals/cke.

Einnahmen Ausgaben

QUELLE: SEC-FILING WE COMPANY

...aber die Ausgaben übersteigen die Einnahmen bei weitem
Ausgaben und Einnahmen vonWework, in Mrd. $

00 ,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0


  1. Halbjahr 2019

  2. Halbjahr 2018


Weworkwächst rasant ...
Anzahl Coworking-Standorte weltweit

0

100

200

300

400

500

2010 2012 2014 2016 2018 2019*
*Per Mitte 2019.

LUZERN |ZÜRICH|ST. GALLEN

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Christof Reichmuth
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