Die Welt am Sonntag Kompakt - 08.09.2019

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20 DEUTSCHLAND & DIE WELT WELT AM SONNTAG NR.36 8.SEPTEMBER


tttwas ist in ihrem Gesicht, daswas ist in ihrem Gesicht, das
da nicht reingehört. Etwas mit
Schatten. Jana, die erste Freun-
din. Sie hatte mich angerufen.
Sie hatte wissen wollen, wie es
gehe, und am Ende gefragt, ob wir uns se-
hen könnten. Es gebe da was.
Jetzt sitzen wir uns gegenüber. Es ist
Sommer. Die Berliner Cafés sind voll, aber
eine Ecke findet sich immer. Jana
Schmidt*, denke ich und lache. Das wil-
deste Mädchen, das mir je begegnet ist.
Die mit der Stupsnase, mit den blauen Au-
gen und der frechen Klappe, die jeden
Lehrer zur Verzweiflung bringen konnte.
Die Stupsnase ist geblieben, aber ihre Sät-
ze fliegen nicht mehr. Sie stolpern, mitun-
ter bleiben sie in ihr hängen, als seien sie
einfach vergessen worden. Jana schaut
aaaus dem Fenster. us dem Fenster. Ich erzähle von Anfang
an, ja?, fragt sie.
Mit 14 Jahren musste ich wie du in ein
Internat, sagt sie. Oberhalb von Ost-Ber-
lin. Als ich 16 Jahre geworden war, wurde
ich eines Tages ins Nebenzimmer des Di-
rektors bestellt. In ihm zwei Männer, ein
älterer und ein jüngerer. Man werde mich
brauchen, erklärten die. Unser Land habe
viele Feinde. Man müsse wachsam sein. Es
war 1977, und der Jüngere, so Mitte drei-
ßig, sagte, er sei der „Robert“. Er werde
sich ab nun um mich kümmern und er-
klärte mir, wo wir uns ab nächster Woche
treffen würden: 200 Meter raus aus dem
Internatsgelände, dann rechts auf die
Hauptstraße, noch mal 400 Meter, und da
werde er stehen, der cremefarbene Lada,
und er drinsitzen.
WWWarum ich das gemacht habe?, fragt Ja-arum ich das gemacht habe?, fragt Ja-
na. Ihr Kopf läuft durch eine Pause. Dann
sagt sie: Jedenfalls habe ich mich in das
AAAuto gesetzt. Irgendwie hatte ich mich jauto gesetzt. Irgendwie hatte ich mich ja
aaauch auf den Nachmittag gefreut. Maluch auf den Nachmittag gefreut. Mal
raus aus dem Internat, weg von allem. Ich
erinnere mich an das dezent herbe Par-
fffüm von „Robert“ und an seine Fragen:üm von „Robert“ und an seine Fragen:
Wie es denn in der Schule laufe, was denn
so los sei im Internat, bei den Freunden.
AAAuf dem Rücksitz lag, was der Mann „Prä-uf dem Rücksitz lag, was der Mann „Prä-
sente“ nannte: Kaffee, zwei Schachteln
„Duett“, Pralinen, eine Flasche klebrig sü-
ßen Weißweins, auf dessen Etikett „Mur-
fffatlar“ stand. Das Auto fuhr in die Land-atlar“ stand. Das Auto fuhr in die Land-
schaft hinein, entlang an Feldern, durch
kleinere Orte. Die Fahrt dauerte zwanzig
Minuten, dann kam eine Schneise. „Ro-
bert“ fuhr in sie hinein. Auf einer Lich-
tung stiegen wir aus. Er öffnete das Tor zu
einer Datscha, über deren Eingang „Wald-
fffrieden“ stand. Die war gut ausgestattet.rieden“ stand. Die war gut ausgestattet.
Robert kochte in der Küche Kaffee.
Sie setzten sich im Garten an einen
Tisch. Er legte einen Bogen Papier vor sie
und wollte, dass Jana Namen und Situatio-
nen festhielt, so präzise wie möglich. Was
ist los im Internat, wer hört Westradio,
was wird geredet? Der Garten war wild,
später habe sie an schwül gedacht, sagt Ja-
na. Er schob seine Hände unter ihrer Bluse,
was sie nur einen Moment lang irritierte.
„Die Atmosphäre der Gespräche wurde mit
Kaffee und Gebäck umrahmt“, würde „Ro-
bert“ später in seinem Bericht schreiben.
Ich weiß noch, erzählt Jana, wie mir
durch den Kopf ging, dass ja niemand wis-
sen konnte, wo ich jetzt bin. Das beunru-
higte mich. Genauso wie seine Fragen
nach meinen Mitschülern, speziell nach
Steffen*. Ich habe ihm dennoch alles er-
zählt, was mir einfiel. Ich mochte ihn, er
gefiel mir, und außerdem hatte er mir ein-
gebläut, dass meine Beobachtungen wich-

tig seien, für die Sache, das Land, den
Frieden, das Organ. Aber ich wusste ja et-
liches nicht, sagt Jana.
Nichts von dem Brief ihres Onkels Pe-
ter Schmidt*, DDR-Diplomat und Ge-
heimdienstzuträger, vom 1. September
1 975 aus einer Botschaft im Fernen Osten,
in dem stand, er hoffe, dass die Nichte
„sich gut und rasch ins Kollektiv einge-
fffügt“ habe. Der Brief, ursprünglich an dieügt“ habe. Der Brief, ursprünglich an die
Internatsleitung adressiert, landete ohne
Umschweife bei der Staatssicherheit. Sie
wwwusste auch nichts von der Unterredungusste auch nichts von der Unterredung
ihrer Großmutter am 26. November 1976
mit den sie betreuenden Pädagogen und
Erziehern der Internatsschule. Detailge-
treu wurde erörtert, dass die Großmutter
VVVormund der Schülerin Jana Schmidt sei,ormund der Schülerin Jana Schmidt sei,
da ihre Tochter früh verstorben war und
der Vater als unbekannt gelte. Am 1. Sep-
tember 1967 war sie eingeschult worden,
in eine Schule in Dresden. Eine Sechsjäh-
rige mit Stupsnase und hellem Lachen.
Die Großmutter erzählte bei dem Treffen
mit den Schulpädagogen, dass bei der En-
kelin ein „Mangel an Kämpfergeist und
Stetigkeit“ zu verzeichnen sei, sie
„Schwierigkeiten und Anstrengungen aus
dem Weg“ gehe und „nicht immer ganz
ehrlich und leicht beeinflussbar“ sei.
Gleichwohl halte die Großmutter, selbst
Pädagogin, „das Mädchen für sehr hilfsbe-
reit und kontaktfreudig“.
AAAlles Worte, die auf Papieren stehen, dielles Worte, die auf Papieren stehen, die
Jana nun vor mir ausbreitet. Sie hat alles
dabei. Als bräuchte sie einen Beweis. Ich
wwwürde ihr gern sagen, dass sie mir garürde ihr gern sagen, dass sie mir gar
nichts zu erklären, zu belegen, zu bewei-
sen habe. Im kurze Zeit später durch den
Oberleutnant namens „Robert“ angefer-
tigten Anforderungsbild für einen infor-
mellen Mitarbeiter der Stasi unter 18 Jah-

Jahre


FREIHEITFREIHEITFREIHEIT


„Ich wusste


nicht, wie


Nein sagen


geht“


Eine Sechzehnjährige wird von der Stasi


als Spitzel angeworben – und sich von


diesem Missbrauch nie mehr erholen.


Ines Geipelüber das zerstörte Leben einer


Dresdner Kindheitsfreundin


E

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