Die Welt am Sonntag Kompakt - 08.09.2019

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22 DEUTSCHLAND & DIE WELT WELT AM SONNTAG NR.36 8.SEPTEMBER2019


vorher zu Bekannten. Dann fuhr ich ins
Amt. Es war Montag und kein Abteilungs-
leiter anwesend, nur seine Stellvertrete-
rin. Warten Sie hier, sagte sie bestimmt
und verschwand sofort. Als sie zurück-
kam, fragte sie mich: Bleiben Sie dabei? –
Ja. – Dann kommen Sie mit! Eine Tür ging
aaauf. Ich wurde in Handschellen und Kne-uf. Ich wurde in Handschellen und Kne-
belkette abgeführt.
Die nächsten Sätze spricht Jana eher
wie zu sich: Ein präparierter grauer Bar-
kas, ein Gefängniswagen, innen sechs en-
ge fensterlose Kabinen. Ein Stück Auto-
bahn. Aussteigen! Ein Innenhof. Ein Fahr-
stuhl in den 5. Stock. Eine lange Verneh-
mung, dann die Ausnüchterungszelle. Am
Morgen: Mitkommen! Wieder eine Fahrt,
wieder ein Innenhof, ein schmaler Raum.
Dort wurde mir ein graublaues Bündel
aaausgehändigt: meine Häftlingskleidung,usgehändigt: meine Häftlingskleidung,
samt dunkelgrauer Decke und Knastbett-
wäsche. Alles Persönliche hatte ich abzu-
geben. Nur ein Foto meines Sohnes durfte
ich behalten. Eine Eisentreppe führte hi-
nauf zu den Gängen. Aufschluss. Ich war
drin, mit 27 Jahren.

1 7 DOSEN NESCAFÉ FÜR DIE HAFT
Erst U-Haft in der berüchtigten „Keibel-
ritze“ am Alexanderplatz, dann U-Haft in
Pankow, zurück in die Keibelstraße. Nach
dem Prozess, bei dem ich für meinen Brief
ans Amt zehn Monate Haft wegen „Beein-
trächtigung staatlicher Tätigkeit im
schweren Fall“ erhielt, kam ich über Ros-
tock in das Stasi-Zuchthaus „Roter Och-
se“ in Halle. Ein Schlafsaal mit 16 Betten.
„Politische“ und „Kriminelle“ arbeiteten
im 3-Schicht-System zusammen, in einer
Fabrik, die dem Gefängnis angegliedert
war. In den Haftunterlagen, die mir Jana
zeigt, steht: „Die Strafgefangene H. hat ei-
ne negativ verfestigte politische Grund-
haltung und hält hartnäckig am Übersied-
lungsersuchen fest.“
Jana erinnert sich: Am 21. September
1 988 hieß es abends: Mitkommen! Da
wwwusste ich, meine Zeit in der DDR warusste ich, meine Zeit in der DDR war
vorbei. Mit dem Zug nach Karl-Marx-
Stadt. Im Gefängnis dort wurde alles No-
tarielle für die „Entlassung aus der DDR-
Staatsbürgerschaft“ erledigt. Für sechs
Monate Arbeit bekam ich 17 Dosen Nes-
café. Mein Sohn, der im September 1988
eingeschult worden war, durfte im De-
zember 1988 aus der DDR ausreisen.
Die Jahre nach 1989. Ich wollte unbe-
dingt studieren, erklärt sie. Archäologie.
Ich schaffte es nicht. Ich machte eine Aus-
bildung als Logopädin und 2006 den Ab-
schluss. Als ich mir jedoch dabei zusah,
wie ich Patientenberichte schrieb, brach
ich zusammen. Es folgten zähe Jahre mit
Therapien, Jahre in Kliniken, zeitweilig
wwwurde ich frühpensioniert. Das Ding miturde ich frühpensioniert. Das Ding mit
der Schuld – ich kriege das nicht weg. Es
bleibt in mir.
Heute ist Jana 58. Arbeiten kann sie
nicht mehr. Als wir uns verabschieden, er-
zählt Jana von ihrem Onkel Peter, dem
Ex-Diplomaten. Er ist des Öfteren bei Re-
vival-Treffen der SED-Prominenz dabei.
Dort sitzt er mit Ex-Staats- und Partei-
chef Egon Krenz und debattiert unerbitt-
lich über eine gerechtere Gesellschaft.
*Die Namen wurden anonymisiert. Die
Lebensgeschichte jedoch ist über Archive re-
cherchiert.


TInes Geipel,geboren 1960 in Dresden,
ist Schriftstellerin und Professorin an
der Hochschule für Schauspielkunst
Ernst Busch in Berlin. Zuletzt erschien
ihr Buch „Umkämpfte Zone. Mein Bru-
der, der Osten und der Hass“

FORTSETZUNG VON SEITE 21

Carbonat-Mineralien Basalt-Gestein

erhitzte
Luft

Müllverbren-
nungsanlage

Wasser

CO�-Gasblasen
werden mit
Wasser in
Basalt-Gestein
geschwemmt

➊ ➋


➊ ➋


Luft
ohne CO�
entweicht

Luft
ohne CO�
entweicht

CO�-Filter

CO�
Luft ohne CO�

CO�-Wäsche

Im Kampf gegen den Klimawandel ringt die Welt darum, weniger


schädliches Kohlendioxid auszustoßen. Doch zu viel davon ist


bereits in der Atmosphäre. Wagemutige setzen auf Reinigung


Kann man den


Himmel waschen?

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