Focus - 06.09.2019

(singke) #1
SPORT

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Jan Philip Welchering für FOCUS-Magazin

FOCUS 37/2019 123


Leidet darunter auch die
Kreativität auf dem Spielfeld?
Ich denke, ja. Die werden ins
System eingepasst, können 14 Ki-
lometer pro Spiel laufen, aber mit
dem Ball passiert nichts Spekta-
kuläres mehr. Ich gehe nur noch
ganz selten ins Stadion. Ich mag
diesen taktischen Fußball nicht,
bei dem der Torwart manchmal
mehr Ballberührungen hat als
jeder andere Spieler. Dieser Fuß-
ball ist nicht mehr mein Fußball.
Sie waren von 1996 bis 1999
beim FC Bayern München an-
gestellt. Nun will Uli Hoeneß
dort seine Ämter als Präsident
und Aufsichtsratsvorsitzender
niederlegen. Geht mit ihm der
letzte echte Macher der Liga?
Ich hoffe, er mischt hier und da
noch mit. Die Liga ist ärmer ohne
ihn. Er war damals wohl in seiner
Ehre gekränkt, weil ich meinen
Vertrag in München nicht ver-
längern wollte. Aber wir haben
uns immer super verstanden. Er
ist mindestens so geradeheraus
wie ich selbst.
Uli Hoeneß hat Ihnen damals
Detektive an die Fersen geheftet,
weil Ihr Lebenswandel nicht dem
eines Fußballprofis entsprach. Auf
der Geschäftsstelle meldeten sich
auch immer wieder Anrufer, die
Sie in Nachtclubs und an anderen
zwielichtigen Orten mit Wodka
und Marlboro gesehen hatten.
Schon zu Zeiten von Uli Hoe-
neß und Paul Breitner waren
Detektive und Nachtclubbesu-
che üblich. Ich war in bestimm-
ten Etablissements genauso un-
terwegs wie viele meiner Kol-
legen auch. Ich habe mich dort
aber nicht mit Frauen beschäftigt,
sondern mit isotonischen Geträn-
ken, sprich Weizenbier, und eben
auch Wodka Lemon und Zigaret-
ten. Bei mir ist nur immer alles
gleich herausgekommen. Wenn
Hoeneß mich gefragt hat, was wieder los
war, war ich eben ehrlich. Ich habe dazu
gestanden, was ich gemacht habe.
Haben Sie mal die Geldstrafen
zusammengerechnet, die Sie im Laufe
Ihrer Karriere aufgebrummt bekamen?
(Lacht) Dafür könnte ich mir heute
locker zwei Luxusklasseautos kaufen.
Ich nehme an, Sie bereuen keinen Cent.


kurz vor Mitternacht ein, und gegen 3 Uhr
pöbelte mich ein Gast hemmungslos an.
Sven hat ihm eine Ohrfeige gegeben. Kurz
darauf rief mich der Typ an und wollte
Geld gegen sein Schweigen über den Vor-
fall. Ich habe gezahlt, aber der Typ hat es
trotzdem der Presse gesteckt. Da ich selbst
null Komma null gemacht hatte, habe ich
damals die Geldstrafe von 50 000 Mark
beim FC Bayern nicht akzeptiert. Wäre
ich da eingeknickt, hätte ich nicht mehr
in den Spiegel schauen können. Die Bay-
ern haben mich dann suspendiert. Damit
musste ich rechnen.
Den sportlich schwärzesten Abend hatten
Sie nur ein paar Monate zuvor. Am 26. Mai
1999 mussten Sie als ausgewechselter
Torschütze mitansehen, wie Manchester
United ein 1 : 0 in nur 102 Sekunden der
Nachspielzeit noch zum Sieg drehte. Sie
hatten damals die eigens angefertigte
Siegerkappe schon auf dem Kopf ...
Der Brauer, dessen Weißbier-Marke auf
der Kappe stand, hat mir später sogar Ex-
trageld dafür gezahlt (lacht). Es hört sich
hart an, aber ich kann auch solche Nieder-
lagen sehr gut wegstecken. Am Ende ist es
doch nur Fußball, und es werden 100 000 Fi-
nals überall auf der Welt verloren. Da gibt
es wirklich Schlimmeres. Das Leben geht
weiter, und die nächste Chance zum Sieg
kommt bestimmt.
Müssen Sie sich mit dieser entspannten
Haltung nicht vorwerfen lassen, damals
alles zu locker genommen zu haben? Auch
vor dem verlorenen Finale von Barcelona sah
man Sie bis 3 Uhr morgens an der Hotelbar.
Ich habe mir ja nicht 15 Schnäpse rein-
gepfiffen, und das Spiel war anderntags
auch erst um Viertel vor neun. Viel früher
hätte ich ohnehin nicht schlafen können.

Ich habe das gern in Kauf genommen,
um als Fußballprofi ein halbwegs normales
Leben führen zu können. Mir war schon
klar, dass mich die Leute in München
sehen, wenn ich am Samstagabend nach
dem Spiel in einer In-Disco ein Bier hebe.
Ich bin aber trotzdem raus und habe dazu
gestanden. Ich würde auch verrückt wer-
den, wenn ich den ganzen Tag daheim
rumhocken müsste.
Fabrizio Hayer, Ihr ältester Fußball-
kollege aus Kaiserslauterner Tagen,
hat gesagt: „Mario und ich hätten
es vielleicht sogar noch weiter ge-
bracht, wenn wir in der Lage wären,
uns auch mal auf die Zunge zu beißen,
statt die Schnauze aufzureißen.“
Das ist hypothetisch und mir egal. Der
Ball muss ins Tor und fertig.
Warum war Ihnen Ihre freigeistige
Haltung immer wichtiger als die
mannschaftliche Disziplin?
In jeder Truppe braucht man einen
Ausreißer, und der war ich. Solche Sachen
wurden früher aber innerhalb der Mann-
schaft geregelt. Ich gebe aber zu, dass wir
manchmal viel Redebedarf hatten.
Glauben Sie, dass „solche Sachen“ auch
heute noch teamintern geregelt werden?
Nein, dafür fehlt auch die Hierarchie.
Wenn die jungen Leute heute zwei Bun-
desligaspiele gemacht haben, führen
die sich auf wie Rekordhalter. Wir waren
richtige Typen damals, Lothar Matthäus,
Mehmet Scholl, Stefan Effenberg, Didi
Hamann, Oliver Kahn, Sven Scheuer. Wer
bei Bayern gespielt hat, war automatisch
ein Alphamännchen und hielt sich für den
Größten. Das waren Riesen-Egos, und
natürlich gab es Reibereien. Aber wir
haben das eben unter uns geregelt.

„Die jungen Leute werden einkaserniert.


Für Individualität ist kein Platz“
Mario Basler über Nachwuchsleistungszentren

Reiberei und Sven Scheuer sind auch die
Zutaten der sogenannten „Pizza-Affäre“
vom 12. Oktober 1999, nach der Sie sich
kurze Zeit später beim 1. FC Kaiserslautern
wiederfanden. Das war wohl Ihr schwär-
zester Abend beim FC Bayern München.
Sven und ich waren zu einem 50. Ge-
burtstag eines Bayern-Fans nach Regens-
burg in eine Pizzeria geladen. Wir trafen

Andere brauchen 15 Stunden Schlaf, ich
maximal fünf. Das habe ich vom Vater.
Sie erwähnen Ihren Vater jetzt das zweite
Mal. Er ist 2006 gestorben. Sie waren
mit ihm zuletzt so verkracht, dass zwei
Jahre lang bis zu seinem Tod Funkstille
herrschte. Vermissen Sie ihn heute?
Ja, sehr. Ich hatte damals eine größere
Meinungsverschiedenheit mit meiner
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