SEITE 26·SAMSTAG, 7. SEPTEMBER 2019·NR. 208 Unternehmen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
E
r ist gerade mal 38 Jahre alt,
kommt aus Frankreich und leitet
bald die volkswirtschaftliche Ab-
teilung von Europas größtem Ver-
sicherer: Ludovic Subran folgt als Chef-
ökonom der Allianz Anfang Oktober auf
Michael Heise, der nach siebzehn Jahren
bei dem Versicherer in den Ruhestand
tritt. Der neue Mann dürfte für einige Än-
derungen sorgen: Er bezeichnet sich als
Ökonom, der „den Neo-Keynesianern na-
hesteht“, wenn er auch gleichzeitig die
„groben Linien des Ordoliberalismus“ tei-
le. Als Vorbild nennt er unter anderem
den in den sechziger Jahren verstorbenen
ungarisch-österreichischen Wirtschafts-
wissenschaftler Karl Polanyi, der dem frei-
en Markt skeptisch gegenüberstand und
ihm soziale und institutionelle Grenzen
setzen wollte.
Seine rund dreißig Mitarbeiter sind
Ökonomen der Allianz, Allianz Invest-
ment Management und des Kreditversi-
cherers Euler Hermes mit Sitz in Mün-
chen, Paris, Baltimore und Hongkong.
„Es gibt bei uns eine große Bandbreite
von Ansichten und ideologischen Veran-
kerungen. Das ist unsere Stärke“, sagt
Subran im Gespräch mit der F.A.Z. Er er-
wartet nach dem Stabwechsel auch „viel
Kontinuität“, schließlich haben Heise
und er fast drei Jahre zusammengearbei-
tet. Subran teilt beispielsweise die Forde-
rung seines Vorgängers, der Europäi-
schen Zentralbank ein mittelfristiges In-
flationsziel von 1 bis 3 Prozent zu setzen
(statt knapp unter 2 Prozent), damit die
Währungshüter mehr Flexibilität haben.
Der ungezwungen auftretende Franzo-
se hat keine typisch französische Ökono-
men-Karriere hinter sich. Er war zwar
wie viele seiner Kollegen im französi-
schen Finanzministerium tätig, doch
auch bei den Vereinten Nationen, wo er
sich um das World Food Programm küm-
merte, sowie bei der Weltbank, für die er
unter anderem lateinamerikanische Län-
der beriet. Zur Allianz-Gruppe stieß er zu-
erst im Jahr 2012, als er Chefvolkswirt
der Tochtergesellschaft Euler Hermes
wurde. Seit drei Jahren ist er stellvertre-
tender Chefökonom der Allianz.
Subran kommt von der Ausbildung her
aus der Wirtschaftsmathematik. Seine
Ratschläge versucht er immer zu „entpoli-
tisieren“, wie er sagt. Dennoch bezieht er
als Ökonom zwangsläufig Stellung. Die
deutsche Haltung zur schwarzen Null hat
er kürzlich im französischen Radio als
„sehr rigide“ bezeichnet. „Man muss in
Deutschland erst einer Rezession sehr na-
hekommen, bis die Idee eines Program-
mes zur Belebung der Wirtschaft auf-
kommt. Das Land ist mit einem kurzfristi-
gen Schock wegen der Krise der Automo-
bilindustrie und den internationalen Han-
delsspannungen konfrontiert; gleichzei-
tig besteht langfristiger Investitionsbe-
darf etwa in die öffentliche Infrastruktur,
den Energiemix und die Digitalisierung.
Ich bin überrascht, dass die Debatte nicht
früher stattfand“, sagt er. Der regelgebun-
dene Ansatz Deutschlands habe seine Vor-
teile – vor allem die Berechenbarkeit
durch die ökonomischen Akteure –, doch
die mangelnde Flexibilität sei in der sich
rasch wandelnden Welt von heute eine
Schattenseite.
Der Blick auf die Weltwirtschaft macht
ihm Sorgen. Neben den Belastungen
durch den Brexit sieht er Sturmwolken be-
sonders in den Vereinigten Staaten. „Das
größte Risiko steckt heute in den Unter-
nehmensanleihen. Ein Zahlungsausfall
könnte die nächste Finanzkrise auslösen.
Die Verschuldung der Unternehmen ist
heute eine größere Gefahr als die Ver-
schuldung der öffentlichen Haushalte
oder erst recht der privaten Haushalte.“
Seit zehn Jahren würde der Verschuldungs-
grad der Unternehmen in den Vereinigten
Staaten schon steigen, vor allem unter den
Versorgungsunternehmen, den Anbietern
von Energieinfrastruktur und teilweise im
Einzelhandel. Einen Kreditausfall bei ei-
nem Unternehmen, das etwa mit der Note
BBB gerade noch oberhalb der Schrottan-
leihen als Investmentgrade gehandelt wer-
de, könnten große Häuser wie die Allianz
verkraften, doch nicht kleinere genossen-
schaftliche Fonds oder Pensionsfonds in
den Vereinigten Staaten – und schon gar
nicht unregulierte Finanzunternehmen,
die sogenannten Schattenbanken.
„Wenn es ein wenig Panik gibt, dann
können diese destabilisiert werden“, sagt
Subran. Dabei weist er darauf hin, dass
bei drei Ländern das Verschuldungsni-
veau der Unternehmen gemessen am Ge-
winn vor Steuern, Zinsen und Abschrei-
bungen (Ebitda) fast bei 100 Prozent oder
darüber lägen: Vereinigte Staaten, Frank-
reich und China. Die Niedrigzinsen ha-
ben die Unternehmen für einen beispiello-
sen Schuldenrausch genutzt. Allerdings
fügt Subran auch hinzu, dass sie beispiels-
weise in Frankreich hohe Barmittel hor-
ten, die als Puffer wirkten. In China und
den Vereinigten Staaten gebe es indes
schon viele „Zombie-Unternehmen“, die
eigentlich tot seien, doch nur durch die
Niedrigzinsen weiterlebten. „6 von 10
Kreditausfällen unter den Unternehmen
passieren heute in China“, sagt er.
Im kommenden Jahr, so Subrans Vor-
hersage, komme in den Vereinigten Staa-
ten ein politisches Risiko hinzu: „Die In-
fragestellung des Freihandels durch
Trump zwingt den Kongress zur Bewilli-
gung neuer Schulden. Zudem hängt die
Fed immer stärker von den Märkten ab.
Wenn Trump nur auf den S&P 500 blickt,
könnte ihm ein Fauxpas unterlaufen, der
zu einer Rezession führt, weil der Kon-
sum der Haushalte einbricht.“
Europa sei demgegenüber noch einiger-
maßen robust, „denn die heimische Nach-
frage rettet uns“. Doch gleichzeitig hätten
die Unternehmen ihre Lager ausgebaut.
Wenn sich die Konjunktur erhole, schlage
sich das zunächst in Lagerabbau und
nicht in Investitionen, Mehrbeschäfti-
gung oder Lohnsteigerungen nieder. Euro-
pa habe dennoch Handlungsspielräume.
Dass die Europäische Zentralbank (EZB)
in einer geldpolitischen Sackgasse stecke,
glaubt er nicht. „Sie könnte beispielswei-
se noch den Verteilungsschlüssel beim
Kauf von Staatsanleihen verändern“ –
und damit Länder in finanziellen Schwie-
rigkeiten bevorzugen. Ansonsten sei die
Ankunft von Christine Lagarde „eine
großartige Nachricht“. Sie werde in Zei-
ten von Währungskriegen „ein viel stärke-
res Gesicht des Euros“ sein als Draghi.
„Sie wird sicher auch wieder die Frage der
Eurobonds auf den Tisch bringen“, allei-
ne schon weil es durch den deutschen
Schuldenabbau für die Finanzinvestoren
bald nicht mehr genügend der gefragten
Staatsanleihen aus Deutschland gebe.
„Die Vergemeinschaftung von Risiken ge-
hören zu den Vorschlägen, die vorliegen“,
merkt Subran an. CHRISTIAN SCHUBERT
Ein Neo-Keynesianer für die Allianz
K
napp zweieinhalb Jahre nach den
Urteilen gegen Stephan Schäfer und
Jonas Köller, den Gründern der Immobi-
liengruppeS&K,kann die Frankfurter
Strafjustiz die Akte in einem der größten
Wirtschaftsstrafverfahren der vergange-
nen Jahre endgültig schließen. Am Frei-
tag gab der Bundesgerichtshof in Karlsru-
he bekannt, dass er die letzten noch offe-
nen Revisionen von Köller und einem an-
deren Mittäter verworfen hat. Damit
sind die Urteile rechtskräftig: Wie schon
Schäfer, der auf eine Revision verzichtet
hatte, warten auf Kölle achteinhalb Jah-
re Haft wegen Untreue. Ein ebenfalls ver-
urteilter ehemaliger S&K-Mitarbeiter
muss für sechs Jahre ins Gefängnis. Je-
doch wird die Zeit der Untersuchungs-
haft in allen Fällen angerechnet. Der
Großschadensfall S&K hatte die Justiz
an ihre Kapazitätsgrenzen gebracht. Ge-
gen die ursprünglich sechs Angeklagten
wurde in mehr als 110 Verhandlungsta-
gen über 19 Monate hin verhandelt; erst
der fallengelassene Vorwurf des schwe-
ren bandenmäßigen Betrugs brachte den
Durchbruch des Verfahrens.
Mit einem komplizierten Geflecht an
Unternehmen hatten S&K 11 000 Anle-
ger um bis zu 90 Millionen Euro geprellt,
ursprünglich gingen die Ermittler von ei-
ner Viertel Milliarde Euro aus. mj.
D
er amerikanische Hedgefonds-Ma-
nager Raj Rajaratnam ist nach acht
Jahren aus dem Gefängnis entlassen wor-
den. Den Rest seiner Haftstrafe könne er
in seiner Wohnung in Manhattan verbü-
ßen, berichtet die Nachrichtenagentur
Bloomberg, tagsüber dürfe er außerhalb
arbeiten. Rajaratnam, der Gründer des
Hedgefonds Galleon, war 2011 in einem
der größten Verfahren wegen Insiderhan-
dels in Amerika zu elf Jahren Gefängnis
und einer Geldstrafe von mehr als 90 Mil-
lionen Dollar verurteilt worden. Das war
die höchste Geldstrafe, die jemals wegen
Insiderhandels verhängt wurde.
Rajaratnams Vermögen war vor sei-
ner Verhaftung auf mehr als eine Milliar-
de Dollar geschätzt worden. Der Hedge-
fondsmanager hatte nach Ansicht des
Gerichts ein Informantennetz genutzt,
um im großen Stil mit illegalen Aktien-
geschäften Geld zu verdienen. Tippge-
ber wie der später ebenfalls zu einer Ge-
fängnisstrafe verurteilte Goldman-
Sachs-Aufsichtsrat Rajat Gupta hatten
ihm mehrfach Interna aus börsennotier-
ten Unternehmen verraten. Mit diesem
Wissen hatte Rajaratnam mehrere Mil-
lionen eingestrichen. Sein Hedgefonds
Galleon gehörte einst zu den zehn größ-
ten Hedgefonds der Welt und verwaltete
zeitweise ein Vermögen von mehr als
7 Milliarden Dollar.
Die Haftzeit des gebürtigen Sri Lanka-
ners endet nach bisherigen Angaben im
Juli 2021. Er verbüßte seine Strafe laut
Bloomberg bislang im Bundeskranken-
haus Devens, einem Gefängnis außer-
halb von Boston. Rajaratnam muss laut
dem Bericht keine elektronische Fußfes-
sel tragen, mit der sein Standort be-
stimmt werden könnte. Der heute 62 Jah-
re alte Manager profitiert demnach von
einem Gesetz aus dem Jahr 2018, das Lo-
ckerungen für ältere oder kranke Ge-
fängnisinsassen vorsieht. tine.
A
ls Howard Schultz, der langjährige
Vorstandsvorsitzende der Kaffee-
hausketteStarbucks, Anfang dieses Jah-
res ankündigte, er könnte sich eine Kan-
didatur bei den nächsten amerikani-
schen Präsidentschaftswahlen vorstel-
len, war das ein Paukenschlag. Vor allem
deshalb, weil er sagte, er wolle dies nicht
für die Demokratische Partei tun, in der
er immer seine politische Heimat gese-
hen hat. Vielmehr erwäge er eine Kandi-
datur als Parteiunabhängiger. Das alar-
mierte Politiker der Demokraten, weil
sie fürchteten, Schultz könnte bei der
Wahl im kommenden Jahr Stimmen vom
eigenen Kandidaten der Partei abziehen
- und damit dem Republikaner Donald
Trump zur Wiederwahl verhelfen. Der
frühere Starbucks-Chef wiederum argu-
mentierte, Amerika brauche einen Kan-
didaten der Vernunft in der politischen
Mitte, und das gegenwärtige Zwei-Partei-
en-System sei „kaputt“.
Nun hat Schultz aber das Vorhaben
aufgegeben. Am Freitag kündigte er an,
er wolle 2020 nicht kandidieren. Und in
seiner Begründung gab er zu, was ihm in
all der Zeit entgegengehalten wurde: „Es
gibt heute nicht viele Menschen, die ei-
nen unabhängigen Kandidaten unterstüt-
zen würden, weil sie Angst haben, dies
würde zur Wiederwahl eines einzigartig
gefährlichen amerikanischen Präsiden-
ten führen.“ Es gebe die Sorge, dass vier
weitere Jahre mit Trump eine größere Be-
drohung für die amerikanische Demokra-
tie seien als vier weitere Jahre mit einem
dysfunktionalen politischen System.
Schultz sagte, er sehe das auch so, wand-
te aber auch ein, dass die Nominierung
eines politisch weit links stehenden De-
mokratischen Kandidaten Trump zusätz-
liche Stimmen bescheren könnte. Falls
die Demokraten aber eine moderatere
Person auswählten, könnte seine Kandi-
datur zu einem Problem werden, und die-
ses Risiko wolle er nicht eingehen. Zu-
mal er wegen der Wahlregeln womöglich
nicht aus dem Rennen aussteigen könne,
bevor der Kandidat feststeht. Als weitere
Begründung nannte Schultz, dass ihn
eine Rückenverletzung und damit ver-
bundene Operationen in den vergange-
nen Monaten davon abgehalten hätten,
für seine Kampagne durchs Land zu rei-
sen und mit Wählern zu sprechen. lid.
Ludovic Subran Foto Euler Hermes
Urteile im S&K-Prozess bestätigt
Rajaratnam aus Gefängnis entlassen
Howard Schultz tritt nicht
gegen Donald Trump an
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Howard Schultz Foto Reuters
Ludovic Subran wird
bald Chefökonom des
Versicherers. Der junge
Franzose warnt vor
Zombie-Unternehmen
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die deutsche Vorliebe
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