Die Welt - 09.09.2019

(C. Jardin) #1

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DIE WELT MONTAG,9.SEPTEMBER2019 POLITIK 7


gel verortete Özdemir vor gut einem
Jahr vorübergehend sogar der beliebtes-
te deutsche Politiker, noch vor Kanzle-
rin Angela Merkel (CDU). Doch eine
starke Position nahm er da parteiintern
schon nicht mehr ein.
An der Parteispitze waren ihm und
seiner damaligen Ko-Vorsitzenden Si-
mone Peters im Januar 2018 Robert Ha-
beck und Annalena Baerbock gefolgt.
Für Özdemir blieb nur der im Bundes-
tagsgefüge wichtige, aber in der Außen-
wirksamkeit begrenzt wahrgenommene
Vorsitz des Ausschusses für Verkehr
und digitale Infrastruktur. Obwohl er in
fulminanten Parlamentsreden die AfD
ebenso attackierte wie den türkischen
Ministerpräsidenten Recep Tayyip Er-
dogan, drohte ihm das Vergessenwer-
den auf dem Elefantenfriedhof steil ge-
starteter und dann ins Hintertreffen ge-
ratener Oppositionspolitiker.
Derzeit würden ihm ja alle möglichen
Positionen anempfohlen, scherzte Öz-

Derzeit würden ihm ja alle möglichen
Positionen anempfohlen, scherzte Öz-

Derzeit würden ihm ja alle möglichen

demir dieser Tage mit Parteifreunden.
Er solle doch den Vorsitz bei „seinem“
VfB Stuttgart anstreben, dessen Präsi-
dent Wolfgang Dietrich neulich seinen
Rücktritt erklärt hatte. Das wäre, so
hätten sie argumentiert, doch ideal für
die Grünen im Ländle – der VfB-Fan Öz-
demir gewissermaßen als grünes Pen-
dant zum CDU-Landtagsabgeordneten
Gerhard Mayer-Vorfelder, der den der-
zeitigen Zweitligisten ein Vierteljahr-
hundert lang bis ins Millennium führte
und danach Präsident des DFB wurde.
Noch häufiger wird Özdemir als
Nachfolger seines Parteifreundes Win-
fried Kretschmann gehandelt, des ba-
den-württembergischen Ministerpräsi-
denten. Kretschmann, seit 2011 erster
grüner Regierungschef eines Bundes-
landes, wird wohl Mitte der Woche an-

W


er bei Cem Özdemir
vergangene Woche
genau hinhörte, der
wusste, dass der grü-
ne Bundestagsabge-
ordnete die Tür noch einen Spaltbreit
offen sah. Wenn er am 24. September
für den Vorsitz der Bundestagsfraktion
und damit gegen Katrin Göring-Eckardt
oder Anton Hofreiter kandidieren wol-
le, müsse er dann nicht unverzüglich
seinen Hut in den Ring werfen?

VON ANSGAR GRAW

Nun ja, wiegelte der 53-jährige
Schwabe ab, theoretisch könne man bis
zum Beginn der besagten Fraktionssit-
zung seinen Finger heben. Am Samstag
war der Machtkampf dann doch etwas
früher und offiziell eröffnet.
Özdemir hat die noch nicht ganz ge-
schlossene Tür zur Bewerbung um die
Fraktionsspitze mit überraschender
Entschlossenheit aufgetreten. Im Dop-
pelpack an der Seite der 52-jährigen
Bremer Bundestagsabgeordneten Kirs-
ten Kappert-Gonther fordert Özdemir
bei den Wahlen in knapp drei Wochen
Göring-Eckardt und Hofreiter heraus.
Im Bewerbungsbrief an die Partei
zeigten sich „Eure Kirsten und Euer
Cem“ davon überzeugt, „dass ein fairer
Wettbewerb der Fraktion guttut – nach
außen wie nach innen“. Das mag sein.
„KGE“, wie die dem eher bürgerlichen
Flügel zugerechnete Thüringer Protes-
tantin in der Partei gekürzelt wird, und
der als linker Pragmatiker geltende ba-
juwarische „Hofreiter Toni“ werden
zwar von den Abgeordneten akzeptiert.
Doch Begeisterung über eine Wieder-
wahl war in der Fraktion nicht zu spü-
ren, als sie sich vergangene Woche zur
Klausur in Weimar traf.
Während in der Partei durch das Spit-
zenduo Robert Habeck und Annalena
Baerbock durchaus Aufbruch zu spüren
und aus Wahlergebnissen abzulesen ist,
vermittelt die kleinste Bundestagsfrak-
tion eher nur den Eindruck von Routi-
ne. Özdemir, der 1965 auf der Schwäbi-
schen Alb geborene Sohn von Türken,
die damals als Gastarbeiter galten, will
nun Dynamik in die Reihen der Abge-
ordneten bringen. Bis zur Bundestags-
wahl gehe es darum, „mit neuem
Schwung der Gegenpol einer schwa-
chen Regierung zu sein“, schreiben die
beiden Herausforderer.
Der gelernte Erzieher Özdemir war
bei der vergangenen Bundestagswahl
2017 noch Vorsitzender und Spitzen-
kandidat seiner Partei, zusammen mit
Göring-Eckardt, die er jetzt ablösen
will. Für den Fall einer Jamaikakoalition
wurde er als möglicher Außenminister
gehandelt. Laut Meinungsumfragen war
der in seiner Partei im bürgerlichen Flü-

kündigen, ob er 2021 nochmals antreten
wolle. Allgemein wird mit einer positi-
ven Entscheidung des konservativen
Katholiken mit maoistischen Jugend-
verirrungen gerechnet. In seiner mut-
maßlich letzten Legislaturperiode
könnte der 71-jährige Kretschmann ver-
suchen, Özdemir als seinen Nachfolge-

könnte der 71-jährige Kretschmann ver-
suchen, Özdemir als seinen Nachfolge-

könnte der 71-jährige Kretschmann ver-

kandidaten aufzubauen. Wenn Özdemir
in dieser Zeit einen interessanteren
Posten als den des Verkehrsausschuss-
vorsitzenden im Bundestag bekleidet,
kann das nur in beider Interesse liegen


  • und in dem der Partei außerdem.
    Dazu muss Özdemir allerdings zwei
    profilierte Grüne zur Seite schieben:
    Hofreiter, den promovierten Biologen,
    und Göring-Eckardt, die in der späten
    DDR ein Theologie-Studium wegen
    Krankheit unter- und wegen der Wende
    schließlich abgebrochen hat.
    Als dieses links-rechte, west-östliche
    und im Zweifel vor allem pragmatische
    Duo voriges Jahr als Vorsitzende bestä-
    tigt wurde, schien beim „anatolischen
    Schwaben“ Enttäuschung darüber er-
    kennbar, dass sich keine breite Strö-
    mung für eine eigene Kandidatur stark-
    gemacht hatte.
    „Dass ich gern Fraktionsvorsitzender
    geworden wäre, verheimliche ich nicht,
    aber dafür hatte ich erkennbar keine
    Mehrheit in meiner Fraktion“, sagte
    Özdemir im Januar 2018 im WELT-In-
    terview. Er fügte hinzu, er hätte sich „in
    der Tat vorstellen können, dass andere
    Kriterien mindestens so entscheidend
    sind“ wie die Flügelzugehörigkeit, etwa
    sein Agieren im Bundestagswahlkampf
    und bei den (gescheiterten) Jamaika-
    Sondierungen.
    Hofreiter und Göring-Eckardt waren
    da gerade im Amt bestätigt worden – al-
    lerdings mit einem ernüchternden Er-
    gebnis. Er bekam 66,1 Prozent, sie 67,
    Prozent – für eine Kandidatur ohne Ge-
    genkandidaten ist das schwach.
    Wohl deshalb war in den vergange-
    nen Wochen in Fraktionskreisen von ei-
    ner „Nervosität“ der beiden Vorsitzen-
    den die Rede. Sie war in erster Linie Öz-
    demir zuzuschreiben, der als potenziel-
    ler Herausforderer galt, aber sein Pul-
    ver bislang trocken gehalten hatte.
    Özdemir ist in der Wählerschaft be-
    liebter als in der Fraktion, vor allem auf
    deren linken Flügel. Jürgen Trittin, der
    einstige Bundesumweltminister, gilt
    als erklärter Gegner Özdemirs. Ande-
    rerseits wissen die Grünen, dass sie
    sich keinen Gefallen tun, wenn sie ei-
    nen in der Öffentlichkeit ausgespro-
    chen populären Politiker zu sehr am
    Rand verstecken.
    Der Parteispitze Habeck/Baerbock,
    die noch im Herbst von den Delegierten
    im Amt bestätigt werden muss, würde
    Özdemir zudem nicht gefährlich. Er hat
    bereits vor geraumer Zeit erklärt, von


seiner formal noch bestehenden Spit-
zenkandidatur zurückzutreten. Und er
wie Kappert-Gonther bestätigten auch
in ihrem Brief vom Samstag, sie würden
eine Spitzenkandidatur bei der nächs-
ten Bundestagswahl nicht anstreben.
Was wohl auch ein Kamikazeunterneh-
men wäre: Habeck und Baerbock sind in
der Partei bislang völlig unumstritten,
und ihre Persönlichkeiten gelten als ein
wichtiger Grund für den hohen demo-
skopischen Zuspruch für die Grünen.
Dass die Partei jüngst in Brandenburg
und Sachsen nicht die Zahlen und Grö-
ßenordnungen erreichte, für die es seit
2018 in Bayern, Hessen und bei der Eu-
ropawahl reichte, kreiden die Grünen
nicht oder nur sehr bedingt ihrem Spit-
zenduo an.
Özdemir wurde als 28-Jähriger 1994
zusammen mit Leyla Onur (SPD) der
erste Bundestagsabgeordnete mit tür-
kischen Eltern. 2002 erfuhr seine poli-
tische Karriere eine jähe Unterbre-
chung, nachdem die private Nutzung
dienstlich erworbener Bonusmeilen
sowie die Annahme eines Kredits des
PR-Beraters Moritz Hunzinger be-
kannt geworden waren.
Sein in jenem Jahr gewonnenes Bun-
destagsmandat über die Landesliste
nahm Özdemir nicht an, sondern kandi-
dierte 2004 für die Europawahl. Er blieb
für eine Legislaturperiode, bis 2009, in
Brüssel und Straßburg. 2013 gelang ihm
die Rückkehr in den Bundestag.
Özdemir gilt vielen Fraktionsmitglie-
dern als Einzelkämpfer, der eher auf
sich als auf ein Team baut. Seine Wahl
in der Fraktion ist deshalb alles andere
als sicher.
Darum kann es sich für Özdemir als
cleverer Schachzug erweisen, nun zu-
sammen mit Kappert-Gonther den
Fraktionsvorsitz anzustreben. Die aus
Marburg stammende Fachärztin für
Psychiatrie war seit 2011 Abgeordnete in
der Bremischen Bürgerschaft und wech-
selte 2017 in den Bundestag. Kappert-
Gonther ist Obfrau ihrer Fraktion im
Gesundheitsausschuss und Sprecherin
für Drogenpolitik. Ihre fachliche Kom-
petenz ist unumstritten. Dass sie ambi-
tioniert sei, hatte sich auch schon he-
rumgesprochen. Jetzt greift die Ko-Vor-
sitzende der Parlamentarischen Linken
in der Grünen-Fraktion weit nach oben.
Und während Kappert-Gonther als
offiziöse Repräsentantin des linken Flü-
gels gegen Hofreiter antreten wird,
muss Özdemir die Klingen kreuzen mit
Göring-Eckardt. Die beiden Überra-
schungskandidaten wollen der Fraktion
neuen Schwung allerdings nicht durch
ihre Kandidatur vermitteln – sondern
durch ihre Wahl.
Für Özdemir könnte das eine Zwi-
schenstation werden. Auf dem Weg
nach Stuttgart.

WWWarum Cem Özdemir jetzt denarum Cem Özdemir jetzt den


Machtkampf in der Fraktion wagt


Mit Kirsten


Kappert-Gonther


will der frühere


Grünen-Chef


Katrin


Göring-Eckardt


und Anton Hofreiter


verdrängen.


Eine andere,


noch wichtigere


Position hält er


sich damit warm


REUTERS

/THILO SCHMUELGEN

Cem Özdemir will
KKKatrin Göring-atrin Göring-
Eckardt (l.) an
der Spitze der Bundes-
tagsfraktion ablösen

E


in Parteichef darf interne Proble-
me in der Öffentlichkeit höchs-
tens andeuten. Deshalb konnte
AfD-Chef Jörg Meuthen am Montag
nach den Wahlen in Sachsen und Bran-
denburg über die westdeutschen AfD-
Landesverbände nur sagen, dass die
noch „Luft nach oben in der Geschlos-
senheit“ hätten. Wer aber nicht Partei-
chef ist, muss feststellen: Mit Ausnah-
me von Hessen und Hamburg ist die
AfD in allen West-Ländern schwer zer-
stritten. Zwar hat die „Schneise der Ver-
wüstung“, wie Bundesvize Kay Gott-
schalkin WELT die westlichen Verhält-
nisse nannte, unterschiedliche Formen.
Aber der Grund ist überall derselbe: In
der AfD kann man nicht damit umge-
hen, klein zu sein.

VON MATTHIAS KAMANN

Eine Partei, die von fundamentalen
Forderungen lebt, kann sich mit ihrer
geringen Wirkung im Westen nicht ar-
rangieren. Weil die Wahlergebnisse
nicht den Erregungen entsprechen und
die Partei nicht mitregieren will noch
darf, können sich die Anspannungen
nicht entladen. Das führt zu permanen-
ter Unzufriedenheit und macht anfällig
gegenüber „Flügel“-Anhängern, die
mehr Erfolg durch noch rabiateres Auf-
treten verheißen. Hinzu kommt: Dem
sehr speziellen Personal dieser Partei
ermöglichen vor allem kleine Landes-
verbände die Cliquenwirtschaft.
Bei den Wahlen in Brandenburg und
Sachsen blieb die AfD in den jeweils
größten Städten, in Potsdam und Leip-
zig, deutlich unter ihren landesweiten
Ergebnissen. In wachsenden Großstäd-
ten ist die Partei nun einmal schwach.
Das gilt erst recht für Berlin. Daher
träumt der dortige Landes- und Frakti-
onsvorsitzende Georg Pazderski nicht
vom Durchmarsch, sondern will die AfD
durch einen gemäßigten Kursan groß-
städtische Verhältnisse anpassen. Da
aber Berlin von ostdeutschen „Flügel“-
Hochburgen umgeben ist und mit die-
sen in der Partei verglichen wird, wird
die Berlin-Schwäche nicht hingenom-
men. Daher gerät Pazderski nun unter
Druck. Bei der Neuwahl des Landesvor-
stands im Herbst ist eine Revolte gegen
ihn nicht auszuschließen. Und in der
Abgeordnetenhausfraktion gibt es für
deren Vorstandswahl am Dienstag Ge-
genkandidaten zu Pazderski und zu ei-
nem seiner wichtigen Mitstreiter, dem
parlamentarischen Geschäftsführer
Frank-Christian Hansel. Zwar geht es
dabei auch um offene persönliche Rech-
nungen. Aber im Hintergrund mischt
der „Flügel“ mit, um Pazderski und
Hansel zumindest anzählen zu können.
Zu den Eigenheiten der AfD gehört,
dass Landesverbände überhaupt wich-
tig sind. Während sie in anderen Partei-
en meist unauffällig vor sich hin funk-
tionieren, haben sie in der AfD eine
eminente Bedeutung. Als Schlachtfel-
der. Das liegt schon daran, dass es in
dieser Partei als besonders basisdemo-
kratisch gilt, wenn Landesparteitage
nicht nur Delegierten offenstehen, son-
dern allen Mitgliedern – jedenfalls de-
nen, die sich mobilisieren lassen, um für
Rabatz zu sorgen.
Zugleich sind die AfD-Fraktionen in
den Landtagen arm an Einfluss – von
Koalitionen ausgeschlossen, an parla-
mentarischen Knalleffekten stärker in-
teressiert als an der Herausbildung von
Kompetenznetzwerken. Und wenn die
Fraktionen dann noch so zerstritten
sind wie die in Baden-Württemberg,
konzentriert sich alles auf den Landes-
verband und dessen Frontverläufe. Die
sehen im Südwesten so aus, dass der
erst im Frühjahr gewählte Vorstand ein
Trümmerhaufen ist. Der eine Lande-
schef, der Bundestagsabgeordnete Dirk
Spaniel, wurde vom anderen Vorsitzen-
den Bernd Gögel und weiteren Vor-
standsmitgliedern zum Rücktritt aufge-
fordert, weil das Vertrauensverhältnis
„endgültig beschädigt“ sei. Umgekehrt
empfahl Spaniel denjenigen, die es an-
ders als er nicht mit dem „Flügel“ hal-
ten, den Gang in eine „liberale Selbst-
hilfegruppe“.
Strukturell ähnlich ist es in Nieder-
sachsen. Die kleine Fraktion unter der
Vorsitzenden (und Landeschefin) Dana
Guth spielt im Landtag eine marginale
Rolle, und im Landesverband herrscht
ein lähmender Dreikampf. Guth und ein
kleiner Kreis von tendenziell Gemäßig-
ten stehen „Flügel“-Protagonisten ge-
genüber, für dauerndes Störfeuer sor-
gen die Getreuen des früheren Landes-
chefs Armin-Paulus Hampel.
Ist ein Landesverband klein, könnte
man zusammenhalten und sich von au-

ßen helfen lassen. Die AfD im Saarland
macht es anders. Dem dortigen Lande-
schef Josef Dörr, der mithilfe einer fa-
miliär geprägten Kleinclique herrscht,
warf der saarländische Bundestagsabge-
ordnete Christian Wirth vor, den Lan-
desvorstand zum „Politbüro“ zu ma-
chen. Dörr wiederum will Wirth aus der
Partei ausschließen. Der Bundesvor-
stand würde am liebsten den Landes-
verband auflösen, scheitert aber am Wi-
derstand von Dörr und den Seinen.
Da darf man in Bremennicht zurück-
stehen. Der Spitzenkandidat bei der
Bürgerschaftswahl im Mai, Frank Mag-
nitz, will sein Mandat als Bundestagsab-
geordneter gegen den Protest des Bun-
desvorstands behalten, obwohl Magnitz
nun in Bremen in der Bürgerschaft sitzt.
Und in der hat er sich mit zwei anderen
AfD-Abgeordneten aus der bisher fünf-
köpfigen Fraktion verabschiedet. Die
drei von der Magnitz-Truppe wollen
sich „AfD-Gruppe in der Bremischen
Bürgerschaft“ nennen, aber der Bundes-
vorstand hat ihnen verboten, den Na-
men der Partei zu benutzen. Magnitz
dürfte ein Novum gelungen sein: Im
Bundestag einer Fraktion anzugehören,
deren Parteiname ihm in einem Landes-
parlament von der eigenen Partei ver-
wehrt wird.
In Schleswig-Holsteinsieht es so
aus, als sei die schwerste Krise über-
standen: Die bisherige Landeschefin
Doris von Sayn-Wittgenstein wurde we-
gen rechtsextremer Positionen aus der
Partei ausgeschlossen und wird auch
nicht mehr vom „Flügel“ unterstützt.
Da aber viele ihrer bisherigen Anhänger


  • die sie erst im Frühjahr zur Vorsitzen-
    den wählten – nun tief verärgert sind,
    ist nicht damit zu rechnen, dass sie ei-
    nen offen gemäßigten Vorsitzenden ak-
    zeptieren. Wahrscheinlicher ist, dass
    der Bundestagsabgeordnete Bruno
    Hollnagel als Kompromissfigur an die
    Spitze des Landesverbands zurück-
    kehrt. Da sich aber Hollnagel noch nie
    zum konsequenten Eingreifen in die
    Streitereien der Nord-AfD aufraffen
    konnte, ist nur ein oberflächlicher
    Scheinfrieden zu erwarten.
    Einen neuen Landeschef braucht die
    AfD auch in Rheinland-Pfalz. Der bis-
    herige Vorsitzende Uwe Junge will das
    Amt abgeben, aber Fraktionschef im
    Landtag bleiben. Junge gelang es in den
    vergangenen Monaten immer weniger,
    seine Versuche zur Abgrenzung von
    rechtsextremen Tendenzen im Landes-
    verband zu vermitteln. Leute, die solche
    Tendenzen hinnehmen, dürften nach
    Junges Abgang Auftrieb bekommen.
    Faktisch keine Führung hat der größ-
    te AfD-Verband, der nordrhein-westfä-
    lische. Nachdem sich Anfang Juli alle
    mehr oder weniger gemäßigten Vor-
    standsmitglieder zurückgezogen haben,
    gehören dem Gremium nur noch drei
    Personen an. Dazu zählen mit den
    Landtagsabgeordneten Thomas Röck-
    emann und Christian Blex zwei der
    schärfsten „Flügel“-Hardliner, die es in
    der AfD gibt. Im Oktober soll neu ge-
    wählt werden, und die Nicht-„Flügler“
    werden vermutlich den Bundestagsab-
    geordneten Rüdiger Lucassen aufbie-
    ten. Im anderen Lager sieht es so aus,
    als wollten Röckemann und Blex wieder
    antreten, ergänzt um die (gescheiterte)
    Europakandidatin Verena Wester. Da
    Röckemann und Blex bisher nicht für
    Kompromisse bekannt sind, steht die
    NRW-AfD entweder vor einer Rich-
    tungsentscheidung – oder vor einer
    Fortsetzung ihrer Nichtexistenz.
    In Bayern, wo seit dem Absingen al-
    ler drei Deutschlandlied-Strophen bei
    einem „Flügel“-Treffen Anfang Mai
    ebenfalls heftige Kämpfe toben, hat sich
    Landeschef Martin Sichert Luft ver-
    schafft. Vorläufig zurückgewiesen wur-
    de der Machtanspruch von Katrin Eb-
    ner-Steiner, der völkischen Vorsitzen-
    den der zerstrittenen Landtagsfraktion.
    Eines der radikalsten Landesvorstands-
    mitglieder, Benjamin Nolte, wurde aus
    dem Gremium ausgeschlossen. Das
    heißt nicht, dass die Völkischen Ruhe
    geben. So soll nicht nur Ebner-Steiner,
    sondern auch Nolte am 19. Oktober in
    Beratzhausen beim „Ostbayernfest“ der
    dortigen Jungen Alternative als Redner
    auftreten. Ebenfalls mit dabei sind drei
    Leute, an denen sich ein weiterer Grund
    ablesen lässt, warum westliche AfD-
    Landesverbände nicht zur Ruhe kom-
    men: Immer wieder gesellen sich „Flü-
    gel“-Protagonisten aus Ostdeutschland
    zu Leuten, die im Westen für Ärger sor-
    gen. Nach Beratzhausen kommen aus
    Sachsen der Europaabgeordnete Maxi-
    milian Krah, aus Sachsen-Anhalt der
    dortige Landeschef Martin Reichardt
    und aus Brandenburg Andreas Kalbitz.


So zerstritten ist


die AfD im Westen


Triumphe im Osten, anderswo fast nur tiefe Krisen


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