Die Zeit - 12.09.2019

(singke) #1

DIE ZEIT: Lieber Herr Messner, kann man von Ihnen
sagen, dass es wohl niemanden auf der Welt gibt, der
so oft von oben auf die Erde geschaut hat wie Sie –
Piloten und Astronauten einmal ausgenommen?
Reinhold Messner: Das kann schon sein.
ZEIT: Wie schauen Sie auf diese Welt?
Messner: Ehrlich gesagt, ich bin für unseren Lebens-
raum pessimistisch. Wir sind zu viele Menschen,
und wir verbrauchen zu viel. Die globale Erwär-
mung hat Folgen: Der Hagel, der hier vor ein paar
Tagen runterkam, hat in Bozen allen Wein kaputt
gemacht. Das hat’s früher alle hundert Jahre gege-
ben, jetzt passiert das jeden Sommer.
ZEIT: Was sehen Sie in den Bergen, die Sie seit Ihrer
Jugend kennen?
Messner: Ich sehe Trümmer, die runterkommen, so
groß wie Häuserzeilen, hundert Meter breit, hundert
Meter tief und fünfhundert Meter hoch, die kippen
einfach aus den Wänden! Der Klimawandel könnte
uns Menschen am Ende auf Lebensbedingungen zu-
rückwerfen, wie es sie in der Steinzeit oder Eiszeit
gab. Die allermeisten von uns wären dann nicht in
der Lage, zu überleben. Wenn in den Städten nur für
eine Woche der Strom ausbliebe, wären die allermeis-
ten aufgeschmissen.
ZEIT: Halten Sie die Gattung Mensch nicht für intel-
ligent genug, das eigene Überleben zu organisieren?
Messner: Ich halte den Einzelnen und kleine Gesell-
schaften, also Clans und Stämme, Dorfgemeinschaf-
ten, für überlebensfähig. Aber wenn die Gruppen
größer werden, Nationalstaaten zum Beispiel, funk-
tioniert das nicht mehr. Ich war gerade in Pakistan,


ich habe eine kleine Stiftung, mit der wir vier Schulen
und mehrere Häuser gebaut haben, aus Dankbarkeit
für die Rettung nach dem Unglück am Nanga Parbat
im Jahr 1970. Die Häuser, die wir gebaut haben, sind
die besten Häuser im Umkreis von hundert Kilome-
tern. Alle sauber, alle bemühen sich darum. Aber die
Schulen sind nicht im besten Zustand. Nur weil sie
der Allgemeinheit gehören. Niemand fühlt sich rich-
tig verantwortlich. Der Mensch ist kein Kommunist.
Wir sind Egoisten mit Empathie für eine begrenzte
Zahl von Zeitgenossen.
ZEIT: An dieser Stelle könnten wir auch das Interview
abbrechen und sagen, das war’s, es geht alles bergab.
Ende.
Messner: Das Ende der Menschheit ist so und so ge-
wiss, da gibt’s keinen Zweifel.
ZEIT: Warum?
Messner: Weil alle Gattungen früher oder später aus-
sterben. Die Menschheitsgeschichte ist ja eine ver-
gleichsweise kurze, die Erdgeschichte umspannt Mil-
liarden Jahre. Die Dolomiten zum Beispiel haben vor
60 Millionen Jahren angefangen zu wachsen. 60 Mil-
lionen Jahre! Wahnsinn! Wenn ich durch ihre Wände
klettere, finde ich versteinerte Fische im Gestein. Sie
waren ja Korallenriffe, im Meer gewachsen, bis zu
tausend Meter hoch. Die Große-Zinne-Nordwand ist
voller kleiner Ammoniten. Mit jedem Griff habe ich
irgendein Fossil in der Hand. Vielleicht haben sich
Menschen schon vor 10.000 Jahren gefragt, woher
diese kommen. Heute wissen wir es natürlich.
ZEIT: Der Mensch lernt also dazu und findet viel-
leicht doch Lösungen?

»Die Kunst ist, nicht zu sterben«


Reinhold Messner hat den Mount Everest, die Wüste Gobi und das EU-Parlament überlebt. Hier erklärt er, wie Fische zu Felswänden werden,


welche Erwartungen er an Frauen hat und weshalb Glück auch im Weltuntergang möglich ist


Reinhold Messner gilt als größter Bergsteiger aller Zeiten. Nun wird er 75

Fortsetzung auf S. 14

1944 wird Messner als
eines von neun Kindern
eines Südtiroler Lehrers
geboren. Schon mit fünf
Jahren erklimmt er einen
Dreitausender.

1980 gelingt ihm die
erste Alleinbegehung des
Mount Everest. Sechs
Jahre danach ist er der
erste Mensch, der alle 14
Achttausender der Erde
bestiegen hat.

1999 zieht er für die
italienischen Grünen ins
EU-Parlament ein, dem
er bis 2004 angehört. Er
schreibt Bücher, züchtet
Yaks und hat das
Messner Mountain
Museum gegründet.

Reinhold


Messner


Messner: Bisher ist es ihm immer gelungen. Wir stehen
am Anfang einer Klimakatastrophe, alles verändert
sich sehr schnell. Ich bin hundertprozentig sicher, dass
es in zwanzig Jahren wärmer sein wird als heute. Wenn
der Klimawandel weitergaloppiert, sehe ich kaum
Korrekturmöglichkeiten, die noch greifen würden.
ZEIT: Auch nicht, wenn wir alle die Klimaziele des
Pariser Übereinkommens und die ökologische Wende
hinbekämen?
Messner: Nein. Eine Korrektur wird Jahrhunderte
brauchen, man kann es nicht in Jahrzehnten regeln.
Es ist möglich, dass Technologen und Wissenschaftler
etwas finden, das unser Problem löst. Hier sind wir
noch nicht am Ende der Fahnenstange. Nur wenn alle
Staaten der Welt zusammenstehen, könnte ganz lang-
sam etwas erreicht werden. Stattdessen sind wir welt-
politisch in der schlimmsten Situation seit dem Fall
der Mauer. Es herrscht Chaos, Egoismus, der Populis-
mus wächst – »America first«, »Turkey first«, Brexit –
und die anderen sind uns wurscht.
ZEIT: Ist dieser Pessimismus auch eine Alterserschei-
nung?
Messner: Persönlich bin ich kein Pessimist, ich schaue
lieber nach vorne. Ich habe früh festgestellt, dass es
wenig bringt, auf das zurückzublicken, was hinter uns
liegt, was im Leben gelungen ist. Zurückzuschauen
gibt wenig Lebensfreude, keine neue Lebensenergie.
Ich brauche das Hier und Jetzt. Gegenwart und Zu-
kunft. Wenn ich monatelang, vielleicht sogar jahre-
lang mit einer Idee schwanger gegangen bin und diese
dann umsetze, ist das für mich gelingendes Leben.
Darauf sind wir angelegt. In diesem Moment ist die

Frage, wie lange es die Menschheit noch machen
kann, irrelevant. Die Leute sagen, man muss auch
einen Baum pflanzen, wenn die Welt untergeht, und
das ist auch richtig so.
ZEIT: Glück zu empfinden ist also auch im Welt-
untergang möglich?
Messner: Solange jemand die Suche nach dem Glück
forciert, kann er es nicht finden. Diese vielen Glücks-
bücher sind Humbug. Glück passiert erst, wenn ich
in einer Person, einem Tun, einer Sache aufgehe. Hin-
terher spüre ich, dass ich glücklich war. Das Glück
wäre für alle Menschen zu haben, wenn sie sich ein-
schränken würden. Weniger Konsum, weniger
Wachstum, dafür Verzicht als Lebensqualität.
ZEIT: Sie haben gut reden, Sie haben auf Ihrem
Schloss Juval die Schönheit im Überfluss. Sie sind
vermögend und dank vieler Tiere und schöner Wein-
berge auch noch Selbstversorger. Mit welcher Auto-
rität wollen Sie andere vom Verzicht überzeugen?
Messner: Also bitte. Ich habe den Verzichtsalpinismus
mitgeprägt. Ich war ja nie der wohlhabende figlio di
papà (italienische Redewendung für Berufssohn), der
luftig durch die Welt schaukeln konnte, sondern ich
musste mir alles erarbeiten. Mit dem Verzicht auf die
vielen Sherpas, Sauerstoffflaschen und Bohrhaken
bin ich gewachsen. Meine Expeditionen kosteten
einen Bruchteil dessen, was die anderen ausgegeben
haben. Am Berg habe ich gelernt, wie Verzicht funk-
tioniert. Wenn ich einen Berg raufsteige, bin ich der
sauberste Mensch, weil ich nur atme.


  1. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 38 DOSSIER 13

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