Die Zeit - 12.09.2019

(singke) #1

Und der Zukunft zugewandt


Dieser Wagen soll nach Elektro-Auto aussehen – und Volkswagen nebenbei noch vom Schmuddel-Image befreien. Ganz schön viel auf einmal VON BURKHARD STRASSMANN


E


igentlich ist der ID.3 nur ein Auto.
Nicht groß, nicht klein, der Experte
sagt: kompakt. Nettes Autogesicht,
harmlos, deeskalierend. Drinnen luf-
tig, Raum für die Füße. Wenige
Knöpfe und Schalter, dafür Touchscreens. Ein
Platz in der Mittelkonsole für Handy oder Hand-
tasche. Nur wenn man die Motorhaube öffnet,
merkt man: Das ist keine Motorhaube, denn da
ist kein Motor. Bloß Geräte wie Klimaanlage
und elektrisches Zeug. Wird wohl ein Elektro-
auto sein, da weiß man nie, wo sie den Motor
verstecken.
Wer jetzt die Klappe schließt und die Kiste
vergisst, der hat es nicht verstanden: Das war das
neue, ganz große Ding!
Das neue, ganz große Ding mit dem beschei-
denen Namen ID.3 wird im deutschsprachigen
Raum so hübsch denglisch ausgesprochen: »ai di
drei«. Was in dieser Woche auf der Internationa-
len Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt
erstmals öffentlich gezeigt wird und im säch-
sischen Zwickau ab 2020 vom Band laufen soll, ist
ein Widerspruch in sich: Der ID.3 ist ein komfor-
tables, alltagstaugliches Elektrofahrzeug, dessen
Reichweite selbst für Pendler ausreicht (mindes-
tens 330 Kilometer, mit der großen 77 Kilowatt-
stunden-Batterie sogar bis 550 Kilometer). Und
das zugleich bezahlbar sein soll (Einstiegspreis
unter 30.000 Euro).
Es geht um nicht weniger als den ersten
Volks-Elektro-Wagen. Noch vor zwei Jahren
hätte das kaum jemand für möglich gehalten.
Der ID.3 ist die dritte Idee von einem Volks-
wagen, die dritte Idee von einem Volkswagen
nach Käfer und Golf, das ganz große Zukunfts-
konzept. Doch für den Konzern womöglich noch
wichtiger ist, dass der ID.3 helfen muss, den Die-
selskandal vergessen zu machen, die bitterste
Schmach des Herstellers. Auch deshalb soll der
ID.3 das erste Elektroauto sein, dessen Design
den Triumph der elektronischen Zeitenwende
über die Erdölära widerspiegelt.
Das seit Jahren beschriebene Postulat eines
neuen Elektroautodesigns soll endlich auch eine
Formenwende hervorbringen. Heute noch ver-
stecken die meisten Hersteller das Elektrische im
Üblichen – wie jüngst Porsche den Taycan in
einer konventionellen Karosserie. Oder sie fin-
den, wie BMW mit dem i3, nur eine polarisie-
rende, nicht gerade massentaugliche Form. Der
ID.3 schläfert eher ein, als dass er polarisiert.
Das ist ein dickes Lastenbuch: E-Auto-Wun-
der, Instrument der Krisenkommunikation und
Designoffenbarung – das Elektroauto hat neben
der dicken Batterie im Fahrzeugboden noch jede
Menge Verantwortung zu schleppen.

Die Farbe Blau soll irgendwie elektrisch
wirken, sogar auf den Radkappen

Dabei kommt es aufs Design an. Seit der ersten
Ölkrise werden die Karosserien aerodynamisch
optimiert. Da die Gesetze der Strömungslehre für
alle Hersteller gelten, ähneln sich die Autos immer
mehr. Den Unterschied macht zunehmend das
Design. Doch bei den Elektrofahrzeugen wird der
schöne Schein endgültig zum letzten Unterschei-
dungsmerkmal. Schwärmte man früher einmal
von »der Maschine«, wird es heute irgend so ein
ofenrohrartiges Teil von Samsung, LG oder Pana-
sonic sein. PS? Egal, auf die Reichweite kommt es
an. Sound? Es gibt ja nun keine manipulierbaren
Auspufftöpfe mehr, kein eindrucksvolles Einlass-
zischen. Und schließlich: die Langlebigkeit? Die
Zuverlässigkeit? Die Spaltmaße? Alle bedienen
sich aus den Regalen derselben Zulieferer.
Was bleibt, um sich als Hersteller, Händler
oder Autobesitzer von anderen abzuheben, ist das
Design. Und wer etwas Neues hat, muss eben da-
mit auftrumpfen. Das traurigste Elektroauto ist
jenes, dem man das Neue nicht ansieht.
Darum bemühen sich alle Hersteller, die
Qualität »E« auf der Straße zu kommunizieren.
Mit mäßig eindrucksvollen Ergebnissen. Ver-
suchsweise haben sich Designer unter anderem
von Mercedes und BMW darauf geeinigt, dass
die Farbe Blau irgendwie elektrisch wirkt. Blau
taucht deshalb im Signet vieler E-Fahrzeuge auf.

Die Radkappen werden blau markiert, bläuliche
Lichtleisten umspielen Front und Heck und illu-
minieren den Innenraum.
Überhaupt, das Licht. »Licht ist das neue
Chrom«, predigt VW-Chefdesigner Klaus Bi-
schoff. Licht ist heute meist elektrisch, viel Licht
ist also besonders elektrisch, und darum machen
E-Autos gern mittels Lichtdesign innen und au-
ßen auf ihre Besonderheit aufmerksam. Der Köl-
ner Designprofessor Paolo Tumminelli weist auf
die Paradoxie hin: Ausgerechnet das E-Auto, das
mit Strom äußerst knausrig umgehen muss,
protzt außen herum mit einer Lightshow. »Die
spielen Weihnachtsbaum!«
Von solchen Einwänden offenbar unbeein-
druckt lässt der VW-Designer Bischoff beim ID.3
eine LED-Linie über die gesamte Front laufen,
»eine einzigartige Lichtsignatur«. In Asien und
den USA leuchtet auch das VW-Logo in der
Mitte. Europäische Behörden sind Spielverderber
und haben das Logoleuchten untersagt.
Die Farbe Blau, der LED-Hype – ein biss-
chen mickrig ist er doch noch, der Werkzeug-
koffer der E-Designer. Schon allein deshalb, weil
all diese Farb- und Lichtspielereien seit Jahrzehn-
ten zum Werkzeugkasten der Tuner und Auto-
pimper gehören. Als einziges sicheres Unter-
scheidungsmerkmal zwischen Oldschool- und
Elektroantrieb bleibt bloß ein unauffälliges »E«
auf dem Autokennzeichen, da wo Oldtimer ein
»H« haben. Dürftig!
Vielleicht legt Bischoff deshalb so viel Wert
auf die runderneuerte Frontpartie seines neuen
ID.3. Der Verbrennungsmotor nahm ein gutes
Jahrhundert lang den Platz der Kutschpferde ein.
Der Elektromotor dagegen braucht weder Mo-
torraum noch eine großartige Kühlung, sein Platz
kann irgendwo im Auto sein, sogar direkt an den
Rädern. »Bislang wurde ein Drittel des Fahrzeug-
körpers vom Motor eingenommen«, sagt Bi-
schoff, »jetzt entsteht ein Vakuum, das es auszu-
füllen gilt.« Oder es gibt Verschiebungen im
Fahrzeug. Ein Teil dessen, was früher Motorraum
war, wird beim ID.3 dem Innenraum zugeschla-
gen; der Neue bietet den Passagieren auf der
Grundfläche eines Golfs den Platz eines Passats.

Der Gesetzgeber verlangt künstlichen
Krach: Eine Chance für die Designer

So fällt selbst dem Designverächter auf: Weil vorn
Freiraum entsteht, wird die Autonase kürzer. Ent-
sprechend schrumpfen die »Radüberhänge«, also
das Stück Auto, das über die Radachsen hinaus-
reicht. Und der Abstand zwischen den Radachsen
wächst. Zusammen mit den extra großen Rädern
bekommt der Wagen so etwas definitiv Spielzeug-
automäßiges, Harmloses, Friedfertiges.
Die Änderungen am Vorderwagen haben für VW
noch eine weitere erwünschte Wirkung. »VW findet
so zu seinen Wurzeln zurück«, sagt Klaus Bischoff,
der sich immerhin seit 31 Jahren mit Volkswagen-
Design beschäftigt. Man erinnere sich an den Käfer;
der hatte Heckantrieb und entsprechend vorn eben-
falls keinen Motor und eben auch keine Motorhau-
be. Zum »Käfergesicht« gehörte nie ein aufgerissenes
Maul mit Kühlergrill-Zähnen. Und zum absehbaren
Ende der Golf-Ära gilt nun: »Wir können die Front
wieder schließen.« Ein bisschen Maul bleibt: Auch
Batterien werden heiß; darum hat auch der ID.3
noch einen dünnen Lachmund zum Luftholen.
Ein neues Feld, auf dem sie deutliche Zeichen
setzen können, verdanken die Fahrzeugdesigner
ausgerechnet dem Gesetzgeber. Der wunderbare
Vorteil des elektrischen Antriebs, die Freiheit von
Lärm, bedroht angeblich Verkehrsteilnehmer wie
etwa Blinde, die auf Geräusche angewiesen sind.
Tatsächlich ist es gewöhnungsbedürftig, dass sich
Autos leise von hinten an Fußgänger und Radfahrer
heranschleichen. Und die Gewöhnung birgt Risi-
ken, die der treu sorgende Staat nicht akzeptiert. Er
verlangt seit Juli 2019 für alle neuen Elektroautos
und rein elektrisch fahrbare Hybridfahrzeuge künst-
lichen Krach.
Autos, die schneller als ein Fahrrad fahren, sind
meist aufgrund von Wind- und Reifenabrollgeräu-
schen laut genug. Geregelt wird der Bereich bis zu
20 Stundenkilometern und beim Rückwärtsfahren;
dann muss jedes Fahrzeug Hörbares emittieren. Die

EU will Kunstkrach, der nicht leiser ist als ein Gespräch
(56 Dezibel) und maximal so laut wie eine Wasch-
maschine im Schleudergang (75 Dezibel).
Das ist natürlich eine feine Sache für die Spezial-
abteilung Sounddesign. Da greift man gern beherzt in
die Tasten. Die Folgen werden alle Verkehrsteilnehmer
zu hören bekommen. Erste Hörproben im Internet
lassen Kakofonie erwarten: Manche E-Autos werden
wie elektrische Zahnbürsten klingen, andere wie
Staubsauger. Ein Citroën hört sich an wie eine Mi-
schung aus Kinderchor und Funksignal. Für ein elek-

trisches Konzeptauto hat BMW sogar den Oscar-
gewinner und Hollywoodkomponisten Hans Zimmer
beauftragt, der eine Mischung aus Straßenbahn und
der Landung Außerirdischer entwarf. Immerhin bei
Schritttempo eine klare Ansage.
Der Chefdesigner charakterisiert den Sound des
ID.3 so: »Freundlich, sympathisch, zurückhaltend.«
Dabei wäre für das Schicksalsmobil eigentlich Beet-
hovens Fünfte angesagt.
Damit der ID die Last des Imagewandels nicht
ganz allein tragen muss, montieren sie synchron im

fernen Wolfsburg auf dem Markenhochhaus von
Volkswagen ein neues Logo. Früher stand dort ein
blau-weißes Versprechen, heute gibt es Klartext:
schwarz-weiß. Weltweit werden in 171 Ländern bei
etwa 10.000 Autohändlern Logos, Schilder und
Briefköpfe ausgetauscht. Die hässliche Sache mit
dem Diesel mögen dann bitte alle vergessen, so die
Botschaft. Jetzt kommt die Revolution, und die
guckt ganz harmlos.

A http://www.zeit.deeaudio

Das Design des ID.3 bedient sich beim Käfer

Fotos [M]: Christian Bittmann/Auto Bild; Volkswagen AG


ANZEIGE


  1. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 38 WIRTSCHAFT 25


http://www.deutscheswirtschaftsforum.de

Das Deutsche Wirtschaftsforum führt einmal jährlich die erste
Führungsebene aus Wirtschaft und Politik in Frankfurt am Main
zusammen, um über aktuelle Fragen der Wirtschaft – auch mit
Blick auf den gesamteuropäischen Kontext – zu diskutieren.
Die Themen in diesem Jahr sind:


  • DIE WETTBEWERBSFÄHIGKEIT EUROPAS
    Wie bleibt Europa in wichtigen Zukunftsfragen handlungs-
    fähig und welchen Beitrag können die Einzelstaaten leisten?

    • DIE WIRTSCHAFT IM UMBRUCH
      Was muss passieren, um im Wettlauf um Digitalisierung
      und Innovation nicht nur den Anschluss zu halten, sondern
      vorne mit dabei zu sein?

    • ZEIT FÜR DEMOKRATIE
      Vor welchen Herausforderungen steht die Demokratie
      und wie können wir sie schützen?




Fotos v.l.n.r.:

4, © Reinhard Fasching; 8, © Roland Korner; 9, © KION GROUP AG/Oliver Lang

Anbieter: Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Buceriusstraße, Hamburg

∞ Convent Gesellschaft für Kongresse und Veranstaltungsmanagement mbH, Senckenberganlage 10–12, 60325 Frankfurt am Main

Mathias Oberndörfer
Bereichsvorstand Öffentlicher
Sektor, KPMG AG
Wirtschaftsprüfungs-
gesellschaft

Johannes Reck
Co-Gründer und CEO,
GetYourGuide Deutschland
GmbH

Dr. Daniel Risch
Regierungschef-Stellvertreter
und Minister für Infrastruktur,
Wirtschaft und Sport,
Fürstentum Liechtenstein

Susanna Schneeberger
Mitglied des Vorstands/
Chief Digital Officer,
KION GROUP AG

Jean-Claude Trichet
European Chairman,
Trilateral Commission;
Former President,
European Central Bank

Referenten (Auszug):

Valentina Daiber
Vorstand Recht und
Corporate Affairs, Telefónica
Deutschland

Prof. Dr. Stephanie Kelton
Professor of Economics and
Public Policy, Stony Brook
University

Dr. Jörg Kukies
Staatssekretär, Bundesminis-
terium der Finanzen

Dr. Christoph Loos
Vorsitzender der
Konzernleitung, Hilti AG

René Obermann
Geschäftsführer, Warburg
Pincus Deutschland GmbH;
Mitglied des Aufsichtsrates,
Airbus SE

Partner: Veranstalter:

Offizieller Druckpartner:

Premium-Partner:

Förderer: Medienpartner: Technikpartner: Cateringpartner: Hostessenpartner:


  1. Oktober 2019 · Paulskirche · Frankfurt am Main


Weitere Informationen zum Programm und zu den Teilnahmebedingungen finden Sie unter http://www.deutscheswirtschaftsforum.de

107359_ANZ_10735900018522_23882152_X4_ONP26 1 09.09.19 12:57
Free download pdf