Die Zeit - 12.09.2019

(singke) #1
»ich mach Ihnen den Schrank auf!« Für die
sogenannten postmodernen Neunziger zum
Beispiel stehen die irren Anzüge des japanischen
Labels Comme des Garçons, die er sich in New
York kaufte. Joop kommt jetzt zurück auf die
sonnige Terrasse mit einem Jackett, dessen
Rückseite fehlt. Statt von Stoff wird die Jacke
hinten von zwei Schnallen zusammengehalten.

Joop: Dieses Beweisstück muss ich Ihnen zeigen:
ein Anzug, der nur vorn existiert. Sieht tatsächlich
schick aus, wenn man das trägt. Aber nur, wenn

man für Experimente die richtige Figur hat, den
Mode-Standardkörper. Oder man sieht total ver-
rückt aus, am besten wie ein Alien. Oder ganz fett
geht auch. Aber man darf nicht irgendwie so mittel-
mäßig sein. Da verlangt Mode mehr von einem.
ZEIT: Für solche Sätze werden Fashion-Designer
heute kritisiert, sofort fühlt sich jemand verletzt.
Joop: Ich weiß. Aber wir Fashion-Leute sind die,
die Grenzen übertreten. Was auch immer Sie lieb
gewonnen haben, wir machen es fies. Wir sind
sogar die, die sich dauernd selbst verraten. Weil wir
jetzt schon scheiße finden, dass Sie tragen, wozu
wir Ihnen vorhin geraten haben.
ZEIT: Sie beschreiben, wie überpolitisiert Ihre
Kunst-Uni-Kommilitonen in den Sechzigern wa-
ren. Ist das heute wieder so?
Joop: Nein, die Zeit, die ich beschreibe, verlangte ja
die optische Kriegserklärung an das Etablierte:
Gammel. Heute sieht man an den Unis vor allem
gut angezogene, sympathische Nerds. Sehr ernst-
haft wird da der Modeverführung widerstanden.
Wir erwarten von dieser Generation schließlich die

Rettung der Welt. Den Figuren der Unterhaltungs-
industrie hingegen geht es nicht um Mode im her-
kömmlichen Sinne. Deren Ästhetik ist beeinflusst
von Pornografie. Ich denke an Kim Kardashian. Bei
ihr dreht sich alles nur noch um dieses Beige-sein.
Alles ist beige, alles ist flawless. Ihre pictures spre-
chen nicht. Es sprechen nur noch Titten und Arsch.
Hat Kim Kardashian je einen witzigen Satz gesagt?
ZEIT: Was inspiriert Sie auf Instagram?
Joop: Gar nichts. It’s not telling me a thing. Aber
mein Umfeld bedient es, auch mit pics von mir. Ich
aber sehe nur Leute, die mich angrinsen. Dieses

Patchwork ist für mich keine Story, das langweilt
mich. Ich glaube auch nichts davon. Allen geht’s
gut, alle sind in Ferien, alle haben eine Meinung?
Quatsch. Wenn ich diese perfekten jungen Leute
frage, was sie vermissen, dann sagen die mir: Wir
haben Angst, nicht mithalten zu können! Sie gehen
zu Partys und merken: Hier geht es ja nur um phy-
sische Kompetenz, um Muskeln und Olympiade-
maß der Geschlechtsorgane. Aber ich bin gar nicht
so perfekt, ich kann mich hier gar nicht vergnügen.
Da spürt man die Brutalität.
ZEIT: War das bei Ihnen früher nicht auch so?
Joop: Klar, in New York in den Achtzigern, da wur-
de ich mit all der darkness getauft. Drei Tage, drei
Nächte Party mit Robert Mapplethorpe, ich trug
Lederreithosen und Gummi-Tanktop und habe
SM-Performances gesehen, die waren Hardcore.
Aber ich fand es banal. Alles unbeseelte sexuelle
Getue berührte mich nicht. Das ist fast lächerlich,
die Glätte und Leere dieser Übungen. Ich hatte gar
nicht den Drive, mich freitagabends auf irgendeine
Sex-Jacht zu begeben. Ich hatte Affären, lange, tief

gehende. Wir haben uns nicht missachtet, wir wa-
ren aufrichtig. Bei mir war die Angst vor Unauf-
richtigkeit vielleicht stärker als der Wunsch, mög-
lichst viele Sexualpartner zu sampeln. Später erst
verstand ich die Trauer meines Vaters.
ZEIT: Ihre Mutter hat ihn betrogen.
Joop: Er kommt nach Haus als Kriegsheimkehrer,
ersehnt in den Gebeten meiner Mutter, in die ich
einstimmen musste. Und dann merkte ich: Er war
gar nicht erwünscht. Ich wollte nie verraten, wo-
ran ich geglaubt habe: dass es Aufrichtigkeit gibt
und Romantik und Achtung.
ZEIT: Sie schreiben sehr offen über Sex, aber man
findet in Ihrem Buch kein Outing. Keinen Mo-
ment, in dem Sie feststellen: Ich stehe auf Männer.
Joop: Alles ist Outing. Bei mir gab es nicht dieses
schmerzhafte Erwachen wie bei anderen: wenn
man plötzlich der Mutter und dem Vater nicht
sagen kann, dass man jetzt auf Männer steht. Ich
hatte das nicht. Ich wollte nicht mit 14 Bauern-
jungs flachlegen. Ich war der Prinz von Bornstedt
hier, ich war ambivalent. Da drüben war mein äl-
terer Bruder Friedrich der Große, mit dem ich
meine Zwiegespräche führte! So war ich.
ZEIT: Mit »da drüben« meinen Sie das Schloss
Sanssouci, gleich die Straße runter, Sie sind dem
Haus der Hohenzollern hier nah.
Joop: Ich habe der Prinzessin von Preußen ihr
Hochzeitskleid gemacht – eine Ausnahme, ich
hasse Hochzeitskleider. Das Hochzeitsfest hier in
der Orangerie war berührend. Die DNA dieser
absoluten High-Class-People! Ältere Damen aus
Amerika, schwedischer Adel, so etwas habe ich
noch nie gesehen: Groß, dünn, in violetten Klei-
dern, auf dem Kopf eine Krone aus Amethysten,
die in der Mitte zersägt war. Das Symbol für:
Wir regieren nicht. Die Mädchen und dazu ihre
Brüder, alle 1,80, alle in Valentino, alle rauchten
natürlich. Das waren die schicksten Leute ever.
Heute ist DNA so wichtig. Warum sehen in die-
ser einen Familie alle so geil aus? Man sieht diese
snobistischen families und staunt: Die Tochter
sieht auch wieder scheiße gut aus und heiratet
dann einen scheiße gut aussehenden Prinzen.
ZEIT: Es geht heute wieder um Aristokratisches,
das Wichtigste in der Mode ist heritage, Herkunft.
Joop: Ich spüre, dass wir uns in diese Fantasien
flüchten möchten. Klassentrennung als Orientie-
rungshilfe. Das Endlose der DNA-Stränge, altes,
feines Geld gegen neuen Reichtum von Amazon.
Ich spüre, dass ich das auch haben will. Das wäre
toll, wenn ich das hier machen könnte, auf dem
Bornstedter Hof. Dass das hier endlos geht, durch
die Generationen. Aber wenn meine Töchter das
Buch lesen, wird ihnen dieses Paar, das ich da be-
schreibe, vermutlich nicht sympathisch sein, Wolf-
gang und Karin.
ZEIT: Mit Ihrer Ex-Frau Karin Metz haben Sie
zwei Töchter, Jette und Florentine. Was sollten die
beiden Ihnen übel nehmen?
Joop: Im Sinne des geschmackvollen Familienpor-
träts hätten Karin und ich die Pose halten müssen
und uns nicht trennen dürfen wie ein hysterisches
couple. Wir hätten das alles hier mit ganzer Kraft
aufbauen müssen! Ich hätte nicht nach New York
gehen dürfen. Ich bin mehr schuldig, als dass ich
hinterlassen habe. Aber heritage und family, das
war in den Neunzigern noch zu gestrig.
ZEIT: Sie wirkten damals wie ein Mann, der ganz
geschichtslos durch die Welt schweben kann, ohne
Ahnenlinie oder Heimathof.
Joop: Ich habe gedacht, mir würde das gelingen.
Aber es hat mich eingeholt. Deswegen habe ich
auch das Buch geschrieben: weil ich dieses Bedauern
darüber gespürt habe, dass man so oft allein ist. Al-
lein war. Wir waren zwanghaft individualistisch.
ZEIT: Ging es nicht um Freiheit?
Joop: Ja, es gab einen Spirit der Befreiung. Aber
was haben wir mit der Freiheit gemacht? Der
Mensch will sich unterwerfen. Houellebecq hat
recht. Ich habe Unterwerfung geliebt. Und jetzt
kommen die, die uns die Freiheit nehmen. Noch
lachen wir über Trump und reden uns die Rechts-
außen zur neuen Mitte zurecht.
ZEIT: Herr Joop, zum Schluss noch eine Fashion-
Frage. Sie beschreiben, wie Ihre Tante auf dem
Sterbebett alle ihre Ringe an den Fingern trug, um
sie »noch in der Dunkelheit, die sie bald umfangen
würde, blitzen zu lassen«. Haben Sie einmal darü-
ber nachgedacht, welches Accessoire Sie gern mit-
nehmen würden?
Joop: Ich weiß, was ich nicht gern mitnehme: meine
Zahnkronen. Wie peinlich, wenn man mich ex-
humieren würde, und die finden eine Krone!
Dann sagen die doch: »Schade, wir dachten eigent-
lich, seine Zähne wären ganz gut gewesen.«
ZEIT: Ihre Zähne sehen tatsächlich perfekt aus.
Joop: Mit denen habe ich mir mein Vermögen zu-
sammengegrinst. Ich wusste immer genau, meine
Kraft und meine Power, das sind meine Zähne und
meine Haare. Die fallen nicht aus.
ZEIT: Was ist Ihr Geheimnis?
Joop: Meine DNA. Und Wille. Ich will einfach
nicht! Ich will keinen Bauch, ich will die Zähne
behalten und die Haare auch.

Das Gespräch führte Lars Weisbrod

LITERATUR


»Ich mach Ihnen den


Ein Haus- und Gartenbesuch


beim Modedesigner und


Gegenwartskritiker Wolfgang


Joop, der jetzt ein Buch über


sein Leben geschrieben hat


Wroomwroom dröhnt es aus Wolfgang Joops
Anwesen. Ein junger, schöner Muskelmann mit
blonden Haaren läuft gerade durch den Hof, in
der Hand hält er einen Laubbläser, mit dem
jagt er welke Blätter über den Holzzaun, auf
die kleine Straße, die bis zum Schlosspark
Sanssouci führt. Der Modemacher, Fernsehstar
(»Germany’s Next Topmodel«) und coole
deutsche Weltmann Joop, demnächst 75 Jahre
alt, hat gerade seine Autobiografie veröffent-
licht, »Die einzig mögliche Zeit« heißt das
nachdenkliche, lustige, böse Buch. Joop lebt
inzwischen wieder im Potsdamer Stadtteil
Bornstedt, wo er den alten Bauernhof seiner
Großeltern hat herrichten lassen, auf dem er
aufgewachsen ist. Es geht vorbei an verschiede-
nen Hunden (unter anderem Lieschen, halb
Ridgeback, halb Riesenschnauzer, »Mein
Babyli!«, ruft Joop), auf die großzügige Terrasse
des Haupthauses. Von hier können wir seine
schicke Kunstsammlung drinnen und seinen
beeindruckenden Garten draußen überblicken.
Links und rechts blühen blaue Schmucklilien,
ein Birnbaum fängt unseren Blick, weiter
hinten stößt der gepflegte Rasen an einen großen
Teich. Auf dem gedeckten Tisch warten Blau-
beeren und Schlagsahne auf uns. Joop isst wäh-
rend des Gesprächs nichts davon.


DIE ZEIT: Herr Joop, wer ist denn der schöne
Mann mit dem Laubbläser?
Wolfgang Joop: Der Blonde? Der heißt Hans. Der
blonde Hans! Kümmert sich um Haus, Hof und
Hunde. Er lässt mich täglich an das Gute und
Schöne glauben, im und am Menschen. Nur seine
Begeisterung für Fitnesstraining teile ich immer
noch nicht. Ich bekomme schlechte Laune, wenn
ich ins Gym muss, er welche, wenn er nicht hin-
kann. Ich habe ja seltsamerweise nur Leute um
mich, die mindestens 30 Jahre jünger sind als ich.
ZEIT: Sie wissen, was junge Leute heute treiben?
Joop: Ja. Großstädter-Freunde halten mich auf
dem Laufenden, wie man sich fühlt, verhält, in
welche Clubs man geht. Zur Vorbereitung gehört
heute vegane Ernährung und das Wissen, wie man
die neuen psychogenen Drogen am besten verstoff-
wechselt. Wie kleine Apotheker und Chemiker
dokumentieren die mir ihre Woche! Illustriert von
den Bildern auf Instagram.
ZEIT: Nutzen Sie deren Know-how?
Joop: Natürlich, diese spys halten mich nicht nur
modisch topfit. Für das Verstoffwechseln von Fa-
shion-Trends nehme ich regelmäßig Gelonida, ein
DDR-Medikament, das war die Kopfschmerztab-
lette meiner Großmutter. Und seit einem Unfall in
New York regelmäßig Schlaftabletten. Von den psy-
chogenen Drogen lasse ich aber die Finger, nachher
begegne ich mir auf einem Trip womöglich selbst.
ZEIT: Lassen Sie uns über Mode sprechen. Ihr Buch
ist nicht nur Autobiografie, sondern auch eine
Mode geschichte der vergangenen 50 Jahre. Was war
der erste Fashion-Moment in Ihrem Leben?
Joop: Als ich den Kleiderschrank meines Großvaters
plünderte hier auf dem Hof, aus modischer Not-
wehr. Ich bin in Potsdam aufgewachsen, aber Mitte
der Fünfziger zog meine Mutter legal in den Wes-
ten. Den Dresscode der Schulkameraden dort
kannte ich nicht, für deren neue Outfits war auch
kein Budget da.
ZEIT: Was haben Sie gemacht?
Joop: Ich entdeckte das Geheimnis, dass jeder Trend
auch schon den Gegentrend in der Tasche hat. Zum
Glück durften wir in den Ferien wieder nach drü-
ben zurück in die DDR, wo ich mir die Großvater-
Mode besorgte, die ich plötzlich mit ganz anderen
Augen sah als zuvor: die großen weiten Hosen, di-
cke Wollsocken, von den Schafen, die wir hatten.
Als man im Internat dann meine Fundstücke be-
glotzte, betonte ich snobistisch: »Ich trage nur die
Wolle von eigenen Schafen.«
ZEIT: Das kam bei Ihren Mitschülern an.
Joop: Ja. Auch weil ich die richtigen Fashion-
Proportionen hatte. Die habe ich heute noch im
Alter! Ich war immer meine eigene Modepuppe:
groß, schlank, lange Glieder, das sah schon da-
durch cooler aus als bei anderen. Und ich wusste:
Die falsche Pose macht das schönste Kleid zunichte.
ZEIT: Sie schreiben in Ihrem Buch: »Second-
handsachen fingen nur die an zu tragen, die die
Last der Vergangenheit nicht spürten, also nur
ganz junge Leute.« Spüren Sie die Last der Ver-
gangenheit inzwischen?
Joop: Vielleicht. Ich ziehe eine Jacke von Yoji Yama-
moto an, die ich 1989 gekauft habe, mit breiten
Schultern, die jetzt alle wieder tragen, und ich den-
ke: Das steht mir nicht! So Achtziger wollte ich
doch nicht sein. Das sieht aus, als hätte ich durch-
getragen! Dramatisch.


»Durchgetragen«, sofort ein gutes Joop-Wort, es
beschreibt den problematischen Umstand, dass
auch ein modischer Mensch irgendwann älter
wird und ihm der gleiche Trend zum zweiten
Mal begegnet. In seinem Buch gelingt es Joop,
ganze Jahrzehnte anhand einzelner Kleidungs-
stücke zu erläutern. Hat er die alten Sachen
noch? Dürfen wir sie sehen? »Klar«, sagt Joop,


Foto: Urban Zintel/laif

»Alles unbeseelte sexuelle Getue
berührte mich nicht«, sagt der
74-jährige Wolfgang Joop über sein
früheres Partyleben in New York

Wolfgang Joop:
Die einzig mögliche Zeit.
Kindler, Hamburg 2019;
496 S., 22,– €,
als E-Book 19,99 €


  1. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 38 FEUILLETON 63


Kleiderschrank auf !«

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