die Zuschaltung des Demokratie-Kämp
fers Joshua Wong aus Hongkong per
Skype zu einem Diskussionsabend -
die Teilnahme von Ausländern erfordert
eine Sondererlaubnis.
Oder die beiden Gedenk-Flugblätter
für die 22 Aktivisten, die 1987 wegen
angeblicher "marxistischer Verschwö
rung" ohne Verfahren für bis zu drei
Jahre im Gefängnis landeten: Wham
und seine Leute hefteten sie in einem
MRT-Zug mit Klebestreifen ans Fens
ter -genug, um ihn wegen "Vandalis
mus" anzuklagen. Oder die nicht geneh
migte Mahnwache gegen die Todesstrafe
am Gefängnis von Changi.
Oder der Facebook-Eintrag, in dem
stand, bei Verhandlungen mit politi
schem Hintergrund seien die Richter in
Malaysia unabhängiger als die in Singa
pur-für den Staatsanwalt ein Fall von
"Verächtlichmachung des Gerichtswe-
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sens". "Ich werde in allen
Punkten schuldig gespro
chen werden", sagt Jolovan
Wham mit Gleichmut. "Das
ist so gut wie sicher." Ins
gesamt, schätzt er, werde
ihn das 40 000 bis 100 000
Dollar kosten- eine für ihn
unbezahlbare Summe, so
dass er schließlich wohl ins
Gefängnis gehen wird.
OLOVAN WHAM,39 Jahre
alt, ist kein Märtyrertyp. Er
blickt mit wachen, munte
ren Augen in die Welt, und
er spricht mit der aufgeräumten und
zugleich dringlichen Stimme eines Man
nes aufverlorenem Posten, der beschlos
sen hat, das Beste aus seiner Lage zu
machen. "Auswandern wäre eine zu ein
fache Antwort", sagt er.
Und am nächsten Tag schieben sich
wieder Käufermassen durch die Shop
ping-Magistrale Orchard Road. Schlan
gen stehen vor Gucci und Louis Vuitton,
die futuristische ION Mall ist vor Men
schenmassen kaum zu sehen.
Und vor der Ngee Ann City umste
hen mehrere Hundert Singapurer ein
knappes Dutzend nagelneuer Autos, die
Hände verbissen auf den Lack gepresst:
Wer am längsten durchhält, gewinnt ei-
»Auswan
dern wäre
.
e1ne zu
einfache
Antwort«
JOLOVAN WHAM
Er nennt sich »Schwuler
Sozialarbeiter und Aktivist«
und hält Mahnwachen auf
dem Hügel der »Speakers'
Corner« im Hong Lim Park
nen Subaru XV im Wert von mehr als
70000 Singapur-Dollar. Der Rekord
liegt bei 82 Stunden und 16 Minuten.
"Das ist es, was es für Leute wie mich
so schwer macht", sagt Jolovan Wham
mit schicksalsergebenem Lächeln. "Es
gibt einfach so viel Reichtum hier."
Auch nach dem Tod des Staatsgrün
ders und Patriarchen Lee Kuan Yew im
Jahr 2015 habe sich die Lage der Men
schenrechte nicht gebessert -im Ge
genteil, unter dessen Sohn, dem jetzi
gen Premierminister Lee Hsien Loong,
sei es noch schlimmer geworden. Doch
fü r Whams Mitbürger bleibt das Stre
ben nach Freiheit offenbar ein selt
sames Hobby, wie Extrembügeln oder
Unterwasserschach. Und längst scheint
sich auch im Rest der Welt der lange
Zeit undenkbare Gedanke breitzuma
chen, dass Kapitalismus und Innovation
in einem autoritären Staat mindestens
so gut aufgehoben seien wie in einer li
beralen Demokratie.
Der britische Ökonom Peter Wilson,
Professor an der Singapore Manage
ment University, behauptet, der wirt
schaftliche Erfolg des Landes wäre so
"in einem demokratischen System nicht
möglich gewesen". Und Indiens natio
nalistischer Regierungschef Narendra
Modi hat angekündigt, sich das Modell
Singapur zum Vorbild zu nehmen.
Seit den Attentaten des 11. Septem
ber 2001 finde auch Singapurs eisernes
Sicherheits-Regime immer mehr Nach
ahmer in der Welt, vermerkt Singapurs
langjähriger Imageberater Koh nicht
ohne Genugtuung. Auch die Regierung
der USA unter Präsident Trump soll
schon mal Singapurer Offizielle zu den
Vorzügen der Todesstrafe für Drogen
delikte befragt haben.
Überwuchert der Zukunfts-Flugha
fen, der sich Republik Singapur nennt,
mit seiner gnadenlosen Perfektion all
mählich auch den Rest der Welt?
Singapurs Premierminister Loong
stellte im Jahr 2010 jedenfalls erfreut
fest, dass die Kritik des Westens an sei
nem autoritären Regime allmählich ge
genstandslos wird.
"Das war vor Guantanamo Bay", sag
te er. "Jetzt sind wir vielleicht gar nicht
mehr so weit voneinander entfernt."�
GEO-Reporter und Schriftsteller
JÖRG-UWE ALBIG (1.; aktueller Roman:
.. Zornfried") hat sich schon lange
gewundert, warum die Verfechter des
Kapitalismus diesen automatisch mit
liberaler Demokratie verknüpfen. Nach
seinem Besuch in Singapur weiß er: Es
gibt ihn auch ohne. Fotograf GI U LI 0 D I
STUR CO wollte zunächst nicht glauben.
welchen Stellenwert der Flughafen
im Stadtleben Singapurs einnimmt.
GEO og 201g