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Dann stoppen die Männer die Ma
schine, ziehen Gesteinsproben heraus.
Und drillen weiter; in drei Monaten sind
sie so rund 680 Meter in Richtung Erd
bebenzone gelangt. Es kann nicht mehr
lange dauern, bis der Bohrer die von der
Urgewalt zerrissene Felszone erreicht.
In einer benachbarten Goldmine hat
Maggie Laus Boss Tullis Cullen Onstott,
64, Professor für Geomikrobiologie in
Princeton, vor einigen Jahren eine sen
sationelle Entdeckung gemacht. Beim
Bohren eines Erkundungstunnels war
plötzlich Wasser aus einer Wand gequol
len. Ein Zufall. Onstott, den alle nur TC
nennen, mobilisierte aufdie Nachricht
hin seine Kollegen, und sie setzten sich
ins Flugzeug.
Im Grubenwasser aus 2,8 Kilometer
Tiefe fanden die Wissenschaftler mas
senhaft Bakterien-DNA. Was sie nicht
erwartet hatten: Sie stammte nur von
einer Art. Es war das erste bekannte
Ökosystem des Planeten, das nicht mehr
als einen einzigen, einsamen Bewohner
beherbergte. Sein 60 Grad heißes Bio
top musste seit Abermillionen Jahren
abgeschottet gewesen sein, kalkulier
ten die Forscher anband von Isotopen.
Es blieb nicht die einzige verrückte Er
kenntnis: Die Mikrobe überlebt dank
der Spuren des radioaktiven Urans, die
in vielen Goldlagerstätten vorkommen.
w
Ä H R E N D P F LA N Z E N das
Licht der Sonne nutzen,
um Zucker für den Eigen-
bedarfherzustellen, baut
der Winzling auf die alternative Energie
der Strahlung. Sie spaltet aus Wasser
molekülen Wasserstoff ab. Diesen Vor
gang nutzt der Einzeller in einer Folge
chemischer Reaktionen zur Ummode
lungvon Mineralen, etwa Eisensulfaten.
Bei diesem Prozess gewinnt er Energie.
Nicht viel, aber es reicht. Denn der Ere
mit ist genügsam.
Zudem fanden die Forscher Hinwei
se auf ein besonderes Lebenskonzept
Anders als die Wesen an der Erdober
fläche ist das Bakterium nicht Teil ei
nes organischen Kreislaufs- kein Blatt
verrottet in seiner Welt, das es aufzeh
ren könnte. Es muss auf die unorgani
sche, unbelebte Materie zurückgreifen.
Sämtliche Körperteile fertigt der Einzeller aus Molekülen
an, die im unterirdischen Wasser gelöst sind. So nutzt er etwa
Kohlendioxid, um den Kohlenstoff auszubauen und daraus
Zellstrukturen zu errichten. Und auch sämtliche Eiweiße
stellt er selber her. Solange Nachschub vorhanden ist, geht die
Do-it-yourself-Show immer weiter.
"Niemand hätte darauf gewettet, dass wir auf ein so auto
nomes Geschöpf treffen würden, welches sich auf radikale
Weise selbst genug ist", sagt Onstott. Der Fund öffnete die
Tür zu einerneuen Dimension des Lebens, das vom Sonnen
licht vollkommen unabhängig war.
Nach einem Zitat aus Jules Vernes Roman "Die Reise zum
Mittelpunkt der Erde" tauften sie das Bakterium auf den Na
menDesulforudis audaxviator. Der Namenszusatz bedeutet
Maggie Lau sucht in
einem aufgegebenen
Stollen nach rostigen
Verschlüssen alter
Bohrlöcher. Denn Rost
könnte ein Hinweis
sein auf Wasser, das
dahinter schwappt.
Und Wasser kann
immer Leben enthal
ten, weiß die Mikro
biologin - Bakterien
oder andere Einzeller
GEO 09 2019