GEO - 09.2019

(Nancy Kaufman) #1

Am Abend bin ich auf ein Sommer­
fest eingeladen. Die Gäste sitzen in gro­
ßer Runde. Eine Bekannte erkundigt
sich, woran ich gerade arbeite. Begeis­
tert erzähle ich von Brodowin, seinen
Biobauern, dem Gefühl, in die Natur
meiner Kindheit gereist zu sein.
Eine Stimme vom anderen Ende des
Tisches unterbricht plötzlich meine
Schwärmerei. "Öko? Osten? Hör auf!",
höhnt sie. "Die sind doch hochsubven­
tioniert Wenn ich deren Gelder kriegte,
könnte ich auch anders wirtschaften."
Stimmt, hätte ich entgegnen können.
Biobauern bekommen aus dem Agrar­
topf der EU höhere Prämien und Son­
derzahlungen als ihre konventionellen
Kollegen. Für den Ökohof Brodowin mit
seiner 1500 Hektar großen Betriebsflä­
che beliefen sie sich für das Jahr 2018
auf insgesamt 665 646 Euro. Hört sich
viel an. Relativiert sich aber, wenn man
die 140 Angestellten des Betriebs be­
denkt. Das saubere Wasser! Die Arten­
vielfalt! Doch ich schlucke meine Ant­
wort runter und wechsle das Thema.
Der Ton war so aggressiv.


Das Niedermachen von Positionen
anderer, hat mir der Psychologe Ralph
Hertwig erklärt, sei häufig auf kogniti­
ve Dissonanz zurückzuführen. Im Kopf
sei dem Stänkerer klar, dass er sein Ver­
halten ändern müsse. Doch dazu sei er
(noch) nicht bereit. Um die Unstimmig­
keit zwischen dem eigenen Denken und
Handeln aufzulösen, werte er die Aus­
sagen des Gegenübers ab. Klar, gegen
Kritik wehrt man sich immer dann am
stärksten, wenn sie empfindlich trifft.
Und noch etwas hat mir Ralph Hert­
wig erzählt.
Bevor Charles Darwin, der Entde­
cker des Entstehens der Artenvielfalt,
heiratete, griff er tief in die Werkzeug­
kiste der Entscheidungsfindung. Dar­
win machte eine zweispaltige Liste. Pro
Ehe: ständige Freundin und Gefährtin
im Alter. Jemand zum Liebhaben. Bes­
ser als ein Hund. Charme von Musik
und weiblichem Geplauder. Auf der
Contra-Seite nur: Verwandte besuchen:
eine schreckliche Zeitverschwendung!
Ich stelle mir vor, Bäuerin in Zeiten
des Artensterbens zu sein und vor der

Brodowin ist reich
an Biotopen - und
daher auch an Arten
Steppenrasen:
Federgras, Sperbergras­
mücke, Kriechender
Sellerie, Heidelerche,
Wendehals, Braunkehl­
chen, Grauammer


  • Uferwiese und
    Röhrichtmoor:
    Blaukehlchen,
    Rohrschwirl, Wasser­
    ralle, Knabenkraut­
    Orchideen, Kuckucks­
    lichtnelke, Tüpfelralle,
    Bekassine

  • Hecken: Goldammer,
    Nachtigall, Neuntöter,
    Sperbergrasmücke

  • Sandbänke und
    Flachwasser: Trauer­
    schwalbe, Flusssee­
    schwalbe, Kiebitz,
    Flussregenpfeifer
    Kleingewässer:
    Laubfrosch, Rotbauch­
    unke, Zwergtaucher,
    Kammmolch,
    Reiher, Wasserralle,
    Drosselrohrsänger,
    Schellente


Entscheidung zu stehen, meinen Be­
trieb aufbio umzustellen. Ich notiere:
Höhere Subventionen. Dank besse­
rer, vor allem stabilerer Preise nicht
mehr bei jedem Marktflimmern um die
Existenz bangen. Höhere gesellschaft­
liche Anerkennung. Keine Ausgaben
mehr für Pestizide. Kein Gift mehr auf
dem Land. Größere Artenvielfalt auf
allen Flächen.
Check. Check. Check... Für 2018
meldeten die Bundesländer Rekord­
zahlen für die Anmeldungen umstel­
lungswilliger Betriebe.

GEO-Reporterin ANKE SPARMANN (1.)
hat unerwartet Unterstützung gefunden:
Ihre Hündin Betty liebt Öko-Rohkost.
Fotogratin BETTINA THEUERKAUF
nahm zahllose Mückenstiche in Kauf,
um einen Sonnenuntergang über den
Brodowiner Feldern zu genießen.
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