Die Welt Kompakt - 11.09.2019

(Darren Dugan) #1

dass insbesondere manövrierun-
fähige Schlauchboote auf das of-
fene Meer hinausgetragen wer-
den, je länger sie ohne Hilfe sind.
Deswegen suchen wir inzwischen
weit mehr Meeresfläche ab als
noch vor vier Jahren.


Wie erleben Sie die Migranten
auf dem offenen Meer?
Viele scheinen Angst vor der liby-
schen Küstenwache zu haben, die
kriminell und korrupt ist – und
Flüchtlinge nachweislich in men-
schenverachtende Internie-
rungslager steckt. Erst vor ein
paar Wochen habe ich erlebt, wie
ein europäisches Schiff, das zwi-
schen Libyen und Lampedusa lag
und zu einer Ölplattform gehör-


schen Libyen und Lampedusa lag
und zu einer Ölplattform gehör-


schen Libyen und Lampedusa lag


te, 150 Flüchtlinge nicht aufneh-
men wollte. Ich hatte es ange-
funkt und über seine Pflichten
aufgeklärt. Die Crew informierte
stattdessen die libysche Küsten-
wache, die zwei Stunden später
eintraf. Auf dem Gummiboot
brach plötzlich Panik aus. Einige
der 150 Migranten sprangen über
Bord und versuchten zu dem eu-
ropäischen Schiff zu schwim-
men. Vergebens. Die Mannschaft
übergab sie der Küstenwache.
Das war ein klarer Rechtsbruch.


Von ähnlichen Vorfällen wird
immer wieder berichtet. Wie
fühlen Sie sich, wenn Sie aus
der Luft dabei zusehen müssen?
Das ist tatsächlich sehr belas-
tend. Noch immer sterben Men-
schen vor meinen Augen. Wenn
etwa die Hilfe zu spät kommt,
kannst du nur zuschauen, wie sie
ertrinken. Auch wenn ich wäh-
rend der Flüge, die sieben Stun-
den dauern, fokussiert bin, neh-
me ich nicht irgendeine Men-
schenmasse war. Ich sehe Män-
ner, Frauen und Kinder. Von den
vielen Flüchtlingen, denen wir
bislang helfen konnten, kam bei
1600 die Rettung wirklich in letz-
ter Minute. Da war das Schlauch-
boot schon geplatzt. Wir wissen
das so genau, weil wir die Einsät-
ze auch per Foto dokumentieren.

Wie gehen Sie mit der psy-
chischen Belastung um?
Wenn du solche Einsätze fliegst,
brauchst du ein stabiles soziales
Netz. Es ist wichtig, dass unsere
sechs Piloten Rückhalt haben, al-
so jemanden, mit dem sie über
das Erlebte sprechen können.
Für die eigene Psychohygiene
stehen uns zusätzlich Psycho-
logen zur Seite. Darüber hinaus

sind die Einsatzpläne so konzi-
piert, dass wir uns abwechseln.
Maximal 14 Tage in der Luft, da-
nach vier Wochen frei. Das ist
auch wichtig, weil das Retten
dann wie eine Sucht ist. Du willst
ständig alles geben.

Und dann können Sie einfach
so abschalten?
Na ja, ich muss. Jeder kehrt in sei-
nen Hauptberuf zurück, wir alle
machen die Aufklärungsflüge eh-
renamtlich und finanzieren uns
nur über Spenden. In meinem
Fall bedeutet das, weiter Gleit-
schirmflugstunden zu geben. Das
entspannt gewissermaßen.

2018 hat Ihnen Malta die Start-
erlaubnis entzogen. Gleiches
ist nun den französischen Pilo-
tes Volontaires mit Italien pas-
siert. Was ist bei Ihnen im ver-
gangenen Sommer vorgefallen?
Leider ist das immer noch ein ju-
ristisches Tauziehen. Meiner Mei-
nung nach haben die maltesi-
schen Behörden nichts gegen uns
in der Hand. Wir sind rein privat
fffinanziert und benötigen deshalbinanziert und benötigen deshalb
von keinem Staat eine Einsatzer-
laubnis. Malta behauptet das Ge-
genteil, um unsere Einsätze zu
blockieren. Wir haben daraufhin
geklagt und die Basis verlegt,
doch auch hier hat man uns vor
KKKurzem ein Verbot erteilt, sodassurzem ein Verbot erteilt, sodass
wir wieder umdisponieren muss-
ten. Es besteht aber noch Hoff-
nung, die Starterlaubnis dort zu-
rückbekommen, weshalb ich Land
und Ort nicht nennen möchte.

Gegner der privaten Seenot-
rettung werfen Helfern wie Ih-
nen vor, sich mit Schleppern
gemeinzumachen. Können Sie
das nachvollziehen?
Es wäre falsch zu sagen, die
Schlepper, die die Menschen für
viel Geld auf die seeuntauglichen
Boote bringen, kalkulierten uns
nicht mit ein. Aber was wäre die
Konsequenz? Sollen wir die Men-
schen sterben lassen? Der sprin-
gende Punkt ist: Flüchtlinge wür-
den sich dennoch auf den Weg
machen, weil die Zustände in ih-
ren Heimatländern sie dazu brin-
gen. Mehr private Seenotkreuzer
führen nicht automatisch zu
mehr Überfahrten von Migran-
ten, wie eine Oxford-Studie aus
dem Jahr 2017 gezeigt hat. Die
Menschen hoffen auf ein besse-
res Leben in Europa. Ich verstehe
ihre Sichtweise – aber auch den
Vorbehalt innerhalb Europas, wie
diese Herausforderung bewältigt
werden kann.

Wären Sie froh über eine politi-
sche Lösung, auch wenn Ihre
Arbeit damit überflüssig wer-
den würde?
Absolut! Meine Kollegen und ich
sind nicht der Meinung, dass See-
notrettung eine zivile Aufgabe
ist. Es müssen zwingend politi-
sche Lösungen her: Angefangen
mit den Konflikten in den Hei-
matländern über eine staatliche
Seenotrettung bis hin zur Auf-
nahme und Integration der Men-
schen. Abschottung ist, wie man
derzeit an italienischen Häfen
sieht, keine Lösung.

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,11.SEPTEMBER2019 PANORAMA 31


TILL FORRER

N


ach unserem Umzug
aufs Land habe ich et-
was getan, was meinem
Sohn heute noch peinlich ist: Ich
habe zum Sommerfest seines
Fußballvereins etwas Grünes,
Gesundes mitgebracht. Genauer
gesagt, ich habe Tomatenspieße
mit Mozzarella und Nudelsalat
zum Büfett beigesteuert. Das
war eine Sensation, allein weil
die Tomaten schon farblich auf-
fffielen in der braunen Reihe ausielen in der braunen Reihe aus
Hackbällchen, Steaks und dun-
kel gebräunten Würstchen.
„„„Was gab es dennWas gab es denn
so zu essen?“,
fffragte mich meinragte mich mein
Mann später, und
ich sagte nur:
„Hm, Fleisch mit
Fleisch?“
Und das bei
Jungen, die
Sportler sind, ei-
gentlich ja sogar
Profifußballer
werden wollen?
Seltsam. Doch
niemanden fiel damals etwas an
der Auswahl auf, niemand hat
sich beschwert. Wie anders wäre
das in der Großstadt gewesen,
aus der wir vor sechs Jahren
nach Brandenburg gezogen sind.
In Berlin kursierten vor Fes-
ten in Kindergarten, Schule
oder Hort wochenlang Listen.
Grünkernbratlinge wurden mit
Dörrobststäbchen kombiniert,
und alles musste feinstens mit
den diversen Nahrungsmittel-
unverträglichkeiten und Aller-
gien der Kinder abgestimmt
werden. Und wer sich dem wi-
dersetzte, „Tiefkühlscheiß“
oder „was Ungesundes“ mit-
brachte, wurde in der What-
sApp-Gruppe geschnitten.
Nicht hier, 130 Kilometer von
Berlin entfernt. Vielleicht
brauchte es auch keine Abspra-
che, weil sich eh alle einig wa-
ren? Absolution immerhin gab
es von den Kindern. Die Mozza-
rellaspießchen waren so schnell
weg, dass ich kaum gucken
konnte, der Nudelsalat ebenso.
Nur mein Sohn, der hat mein
Essen demonstrativ nicht ge-
gessen. Nach Jahren in Berlin
mit vegetarisch-veganen Kin-
derfesten an Schule, Kita und
Hort hat der nun 16-Jährige sich
dem ländlichen Fleischkult nur
zu gern ergeben. Was vielleicht
auch nicht das Schlechteste ist
fffür einen Pubertierenden imür einen Pubertierenden im
WWWachstum.achstum.
AAAber was sollen die Kinderber was sollen die Kinder
auch anderes lernen in einer Er-
wachsenenkultur, in der es
scheinbar nichts Schöneres gibt
als Tiere auf dem Grill? Grillfa-
ckeln, Bauchspeck, marinierte
Schulter, gern auch klischeemä-
ßig mit einem Spritzer Bier ab-
geschmeckt – es scheint hier

draußen auf dem Lande nichts
Schöneres zu geben als „Happy
Cadaver“, gern auch am Spieß
gegrillt. Spanferkel etwa sind bei
Festen, privat wie öffentlich,
sehr beliebt. Wer jemals dachte,
dass der Veggie Day eine gute
Idee ist, der hat sich noch nicht
auf dem Land umgesehen.
Angegrillt wird gefühlt im Fe-
bruar, dann hängen bis in den
September die Grillschwaden
hartnäckig über unserem Dorf
(fünf Häuser, 17 Einwohner). Ir-
gendwer grillt immer, man lädt
sich auch gern
dazu ein, und je-
der hat noch was
im Tiefkühlfach,
was unter gro-
ßem Hallo gerös-
tet wird. Auch
das ist natürlich
nicht schlecht –
so lernt man als
Zuggezogener
schnell die Nach-
barn kennen.
All das liegt
aaaber auch daran, dass Fleischber auch daran, dass Fleisch
hier einfach so abartig billig ist
und es neben Supermärkten und
Discountern kaum Einkaufs-
möglichkeiten gibt. Wer einen
gut sortierten Wochenmarkt hat
so wie die der Berliner, mit Anti-
pasti, Dips und drei Sorten
Schafskäse, der hat eben keine
Probleme mit seiner Grillvari-
anz. Aber es gibt kulinarische
Hoffnungsschimmer. Im be-
nachbarten Cottbus findet jähr-
lich einmal ein Street-Food-Fes-
tival statt, und in Proschim, ei-
nem Ort, der allerdings womög-
lich schon bald für die Braun-
kohle abgebaggert wird, gibt es
neuerdings ein Restaurant für
Flammkuchen, das auch mehre-
re vegetarische Varianten im An-
gebot hat. Andere Versuche
scheitern hingegen. Die in ganz
Deutschland so beliebten Veg-
gie-Burger von Lidl stapeln sich
in unserem Markt noch. Auch
die „Veganz“-Ecke im Rewe ne-
benan ist verwaist.
Besser frequentiert wird dort
die neue Salattheke, zumeist
von Frauen. Auch wenn deren
Männer dafür meist nur Spott
übrig haben. „Bist du denn eine
KKKuh?“, habe ich schon einen sa-uh?“, habe ich schon einen sa-
gen hören. „Nee, aber du bist ein
Hornochse“, wäre die richtige
Antwort gewesen.
Ich jedenfalls feiere die Frau-
en, die sich widersetzen und
doch mal mutig den Grillkäse
zwischen die Grillfackeln
schmuggeln, um für mehr Viel-
fffalt am Büfett zu sorgen. Letz-alt am Büfett zu sorgen. Letz-
tens nahm sogar eine Frau die
Plastikschälchen voll Fleisch
wieder aus dem Wagen und legte
stattdessen vegetarische Wurst
hinein. Wenn das mein Sohn ge-
sehen hätte!

An der Salattheke fragt der


MMMann die Frau: „Bist du eine Kuh?“ann die Frau: „Bist du eine Kuh?“


Unsere Autorin arbeitet in Berlin, lebt auf dem


Land. Dort irritiert sie der hohe Fleischkonsum.


Was ist so schön an fettigen Grillfackeln?


Kerstin
Rottmann

STADT


LAND

Free download pdf