Frankfurter Allgemeine Zeitung - 06.09.2019

(Nandana) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Medien FREITAG, 6. SEPTEMBER 2019·NR. 207·SEITE 15


W


ieund mit welchen Mitteln
der Anschauung oder Einfüh-
lung erzählt man Kindern im
Fernsehen vom unvorstellba-
ren Grauen in Auschwitz, und warum soll-
te man es überhaupt tun? Ab welchem Al-
ter traut man, mutet man Kindern Sensibi-
lität ohne Seelenzerstörung zu, zeigt ih-
nen diese Hölle auf Erden, und zu wel-
chem Bildungszweck tut man es? Wie de-
tailgenau kann man, muss man, darf man
schildern, ohne „kindlich“ zu verharmlo-
sen, gefühlig zu verkitschen oder die Op-
fer zu erniedrigen?
Wenn schon fiktionale „Erwachsenen-
filme“ wie etwa Philipp Kadelbachs Neu-
fassung von „Nackt unter Wölfen“ (2015)
nach Bruno Apitz’ Buchenwald-Bericht
Kontroversen über die Darstellung, die
Angemessenheit, die angebliche Zur-
schaustellung von sadistischer Gewalt
und industriell betriebener Tötung bewir-
ken? Doch erkennen nicht gerade Kinder
besser als Erwachsene das Unechte grau
geschminkter Gesichter in schlotternden
Kleidungsfetzen und mit aufgemalten Fol-
terspuren? Werden SS-Aufseherinnen
vielleicht umgehend zu phantastischen
Märchenhexen umgedichtet? Ist für die
Historie nicht besser die Schule zuständig
oder das Elternhaus? Oder sollte doch
das Kinderfernsehen sich in eigenen Pro-
duktionen mit Auschwitz befassen?
Die achte und letzte Folge des medien-
pädagogisch umfassend begleiteten euro-
päischen Kinderfernsehprojekts unter Fe-
derführung des SWR „Der Krieg und
ich“, ist zugleich die heikelste. Bis man
mit der vierzehnjährigen tschechoslowa-
kischen Jüdin Eva Ende 1944 nach Ausch-
witz kommt, hat man schon viele Facet-
ten des Zweiten Weltkriegs gesehen,
Standpunkte gehört, Schuld wurde be-
nannt, von Solidarität und Hoffnung be-
richtet, aber auch betont, dass es Mit-
menschlichkeit nur hier und da gab.
Auf eine „Reise“ in die Vergangenheit
des Zweiten Weltkriegs wolle man die jun-
gen Zuschauerinnen und Zuschauer
(etwa ab acht) mitnehmen, in den Alltag
von Kindern in verschiedenen Ländern,
die den Krieg erlebten, so heißt es jeweils
im Vorspann der Sendungen. Regisseur
Matthias Zirzow verwendet Mittel des Do-
kudramas zur Verdeutlichung. Jeweils ein
Kind erzählt die Episode aus seiner Sicht,

das ist seit der langlebigen exzellenten
Kinderdokureihe „Schau in meine Welt“
bewährt. Als Dokumentarin im Hinter-
grund spricht Petra Schmidt-Schaller er-
läuternde, informierende und vertiefende
Kommentare. Ihre Stimme, betont sach-
lich und zurückhaltend anteilnehmend zu-
gleich, ist ein großer Glücksfall für das
Gratwanderungsprojekt „Der Krieg und
ich“ (zu dem es schon einen Vorläufer
über den Ersten Weltkrieg gibt). Die
Spielszenen mit den jugendlichen Darstel-
lern sind durchweg geglückt, Archivauf-
nahmen und nachgesprochene Zeitzeu-
gendokumente ergänzen das Programm.
Als besondere Idee aber überzeugt der
Einfall, Spiel- und Dokumentaraufnah-
men immer wieder durch bis ins Kleinste
nachgebildete Miniaturspielweltszenen
zu distanzieren und zu abstrahieren.
In Folge eins bis sieben sahen die Kin-
der die Faszination des zehnjährigen An-
ton (Juri Gayed) für die Hitlerjugend – be-
vor ihm in der Nacht des 9. November
1938 bewusst wird, was es mit der gewalt-
samen Ausgrenzung von Juden eigentlich
auf sich hat. Mit der dreizehnjährigen San-
drine (Mina Christ) waren die jungen Zu-
schauerinnen und Zuschauer 1942 im Sü-
den Frankreichs und erlebten, wie ihr
bald verhafteter Pfarrersvater Flüchtlinge

versteckte und die gesamte Gemeinde ge-
gen die kollaborierende französische Poli-
zei zusammenstand. Mit dem zehnjähri-
gen Fritjof (Nils Sand) erfuhren sie von
der nationalsozialistischen Besatzung
und Unterdrückung der norwegischen Be-
völkerung, begleiteten den fünfzehnjähri-
gen Justus (Arved Friese), der endlich
auch für Deutschland kämpfen will, im
„Volkssturm“, dem letzten sinnlosen Auf-
gebot des Hitler-Regimes. Mit Calum
(Ruairidh Harris) aus dem schottischen
Clydebank sah man seine Stadt im deut-
schen Bombenhagel brennen und erfuhr,
dass es deutschen Städten wie Dresden
im Bombardement der Alliierten nicht an-
ders erging. Romek (Adam Halajczyk)
war Schmuggler in einem Getto in Polen,
die kleine Vera (Uljana Torkiani) floh al-
lein aus dem belagerten Stalingrad in ein
weit entferntes sowjetisches Kinderheim.
Die achte Folge aber hat es in mehrfa-
cher Hinsicht in sich. Im Winter 1944
kommt die vierzehnjährige Eva (Natálie
Vágnerová), eine tschechoslowakische Jü-
din, mit einem Viehwaggon-Transport
aus dem Lager Theresienstadt in Ausch-
witz an. Noch versucht sie, ihren größten
persönlichen Schatz, ihre Klaviernoten,
zu retten. Bei den Selektionen an der
Rampe gibt ihr ein Kapo den Hinweis,
sich unbedingt für arbeitsfähig zu erklä-

ren. Eva sucht Renata (Katerina Coufalo-
vá), gemeinsam spielten und sangen die
Waisen in einem anderen Lager. Sie fin-
det die Freundin in einer Baracke, apa-
thisch. Später zwingt man die Mädchen,
zur Unterhaltung der Lagerleitung aufzu-
treten. Gegeben wird Schubert.
Es verdichten sich Gerüchte, dass das
Lager bald befreit werden könnte, aber
noch findet Eva im Kleiderlager, in dem
sie sich herausputzen soll, Kostüme der
anderen Kinder. Kinder, die „auf die ande-
re Seite“ gehen mussten, wo hinter dem
Stacheldraht die Schornsteine Tag und
Nacht rauchen. Es sind Schornsteine, die
hier, ebenso wie die Baracken und der Sta-
cheldraht, als Spielminiaturwelt gebastelt
sind. Dokumentarisch dagegen sind die
Aufnahmen von Kofferbergen, Kleider-
bergen, Haarbürstenbergen und Haarber-
gen. Dunkle Haare, blonde Haare, rote
Haare, braune Haare, weiße Haare, alle
in Schwarzweiß, aber dennoch unter-
scheidbar. Dass die Gefangenen gescho-
ren wurden, sah man zuvor in einer Spiel-
szene. Das Wagnis der indirekten Darstel-
lung des Grauens gelingt hier nachdrück-
lich, so scheint es (Bücher Matthias Zir-
zow, Maarten van der Duin, Ramona
Bergmann, Kamera Bernhard Wagner, Ju-
lia Baumann, Szenenbild Animation Toto
Studio). Eva erlebt die Befreiung. Die letz-

ten Bilder der Auschwitz-Folge aber gehö-
ren den in der Realität ermordeten Chor-
kindern aus Theresienstadt. Mit lustigen
Clownsgesichtern oder Tiermasken be-
malt stehen sie, manche kaum zehnjäh-
rig, in den Archivaufnahmen dicht ge-
drängt auf der KZ-Bühne, Häuserkulissen
im Hintergrund, und singen aus Leibes-
kräften. Bei Eva, so viel sei für Eltern ver-
raten, wird die Musik ihr Leben retten.
Wie andere Folgen auch hat diese eine
biographische Grundierung, in diesem
Fall die Erinnerungen Anita Laskers.
Dass man zum Verstehen der Gegen-
wart Orientierungswissen, persönliche
Urteilskraft und Gewissen braucht, das
ist wohl Gemeingut, aber wie man dieses
bildet, darüber kann und muss man sich
auseinandersetzen. Wenn solches nicht
vom Himmel gefallen kommt, dann kann
auch das Kinderfernsehen, so, wie es in
„Der Krieg und ich“ gelingt, einen wichti-
gen Beitrag leisten. Insbesondere die drit-
te Folge, in der Sandrine vor einer schwie-
rigen moralischen Entscheidung steht,
kann man sich gut für den Einstiegs-
Ethikunterricht in weiterführenden Schu-
len vorstellen. HEIKE HUPERTZ
Der Krieg und ichläuft am 7. und 8. September
um20 Uhr im Kinderkanal Kika. Die Folgen finden
sich auch in der ARD-Mediathek. Unter planet-
schule.de sind Begleitmaterialien zur Serie für den
Unterricht abrufbar..

GENF, 5. September
Das„französische Modell“ werde er er-
neuern, hatte Emmanuel Macron nach
seiner Wahl erklärt und die öffentlich-
rechtlichen Sender als „Schande der
Republik“ bezeichnet. Zwei Jahre lang
hat die Öffentlichkeit auf den Entwurf
für eine neue Medienordnung gewar-
tet. Zum Ende der Sommerferien hat
der neue Kultur- und Kommunikations-
minister Franck Riester das Projekt
nun bei einer Medienkonferenz vorge-
stellt.
Die großen Gewinner der Reform
sind die führenden Privatsender TF
und M6 (Bertelsmann). „Wir haben
wie Hunde dafür gekämpft“, freut sich
M6-Chef Nicolas de Tavernost, „und
der Kampf hat vierzig Jahre gedauert“


  • seit es in Frankreich frei empfangba-
    res Privatfernsehen gibt. Um die natio-
    nale Filmindustrie zu schützen, musste
    es strenge Regeln beachten und unter-
    lag zahlreichen Restriktionen, die den
    Sendern im Wettbewerb einen schwe-
    ren Stand bescheren. Denn der Strea-
    mingdienst Netflix hat einen Rahmen,
    wie er für die Sender gilt, längst ge-
    sprengt. Fortan dürfen TF1 und M
    auch am Mittwoch, Freitag und Sams-
    tag Spielfilme ins Programm nehmen

  • und zukünftig sogar dreimal mit Wer-
    bung unterbrechen. Zudem sind im
    Fernsehen nun auch Werbespots für Ki-
    nofilme erlaubt. Werbung für Super-
    märkte bleibt verboten: Von deren täg-
    lichen Anzeigen mit den Sonderange-
    boten leben die Lokalzeitungen.
    Die verschiedenen Bereiche des öf-
    fentlich-rechtlichen Bereichs – Fern-
    seh- und Radioprogramme, das Archiv
    INA, die Auslandssender – werden in
    einer Holding zusammengeführt und
    einem Superintendanten unterstellt.
    Fusionieren will Riester auch die staat-
    liche Medienaufsicht CSA und die mit
    der Bekämpfung der Piraterie beauf-
    tragte Kommission Hadopi. Der wich-
    tigste Punkt von Macrons Medienre-
    form betrifft die Streamingdienste.
    Riester will Netflix (mit fünf Millionen
    Abonnenten in Frankreich) und Ama-
    zon in die Verantwortung nehmen:
    Sechzehn Prozent ihres in Frankreich
    erzielten Umsatzes müssen sie in fran-
    zösische Produktionen investieren.
    Der Konflikt mit den Vereinigten Staa-
    ten ist programmiert. Sollten sich Net-
    flix und Co. nicht an die Vorgabe hal-
    ten, werden sie, so der Minister, „abge-
    schaltet“. Franck Riester wird das Ge-
    setz nächstens im Kabinett präsentie-
    ren, 2020 kommt es vor das Parlament

  • aber die neuen Werbefreiheiten der
    Privaten sollen noch vor Ende des Jah-
    res in Kraft treten. JÜRG ALTWEGG


Sie erzählen Kindern vom Menschheitsverbrechen


Seit sieben Jahren reist eine kleine Grup-
pe Berliner um die Welt, verbringt zwei
Monate am Stück in genau einer interes-
santen Straße und mit deren Bewohnern
und macht daraus ein Magazin. Das Heft
heißt „Flaneur“, die bisherigen Destina-
tionen waren zum Beispiel der Moskauer
Boulevardring, die Montrealer Rue Ber-
nard oder die Treze de Maio in São Paulo.
Den Flaneuren geht es um eine literari-
sche, vielschichtige Begegnung mit jenen
Orten, kulturell, geographisch, ästhetisch,
politisch. In engster Zusammenarbeit mit
lokalen Persönlichkeiten entsteht ein wil-
des, oft weit über zweihundert Seiten di-
ckes Heft, das in jeder Hinsicht beein-
druckt. Weltoffenheit, Themengespür, re-
daktionelle Qualität und kultursensible
Gestaltung erlauben den konzentrierten
Zugang zu nahen und fernen Wirklichkei-
ten, geben Raum für unbekannte Erzäh-
lungen, ohne den fragmentarischen Blick
des Flaneurs zu vernachlässigen. Zur Ver-
öffentlichung des diesjährigen Magazins
nahm die Redaktion von „Flaneur“ am ver-
gangenen Wochenende das Haus der Kul-
turen der Welt in Beschlag und veranstalte-
te, entlang den Inhalten des Printpro-
dukts, ein Festival mit Filmen, Gesprächs-
runden und künstlerischen Performances.
Die neue Ausgabe des Heftes spielt in
der Hauptstadt des Inselstaates Taiwan,
dem bevölkerungsreichen Taipeh. Die
dortige Kanding Road / Wanda Road, wel-
cher der genaue Blick gilt, kreuzt den Be-
zirk Wanhua an der Grenze zu New Tai-
peh City und ist diesmal vor allem ein as-
soziativer Ausgangspunkt, denn die
Wucht und Themenvielfalt der ostasiati-
schen Großstadt überwältigen schnell.
„Flaneur“ zeigt, dass sich gerade im Kon-
text der andauernden Massenproteste in
Hongkong der Blick auf Taiwan lohnt. So-
wohl die Vergangenheit als auch die politi-
sche und ästhetische Gegenwart Taipehs
werden von den Redakteuren Fabian Saul
und Grashina Gabelmann exzellent in
den Vordergrund gestellt.
Taiwan war von 1895 an von Japan be-
setzt, wurde dann nach dem Zweiten Welt-
krieg als letzter verbleibender Teil der
„Republik China“ unter antikommunisti-
scher Diktatur regiert. Trotz großer demo-

kratischer Fortschritte in den Neunzigern
ist das Land, vor allem aus ökonomischen
Gründen, zwischen Annäherung und Ab-
grenzung zur Volksrepublik China hin-
und hergerissen. „Die Jungen wollen mit
China nichts zu tun haben, die Alten ha-
ben mehr Angst vor Krieg und Armut als
vor Unfreiheit“, erzählt Theaterdirektor
Snow Huang. Er ist selbst gebürtiger
Hongkonger, hat noch Familie und Freun-
de in der Stadt. In Taipeh betrachte man
sorgenvoll die blutigen Ereignisse.
Huang führt auf einen Erinnerungs-
Soundwalk vom Haus der Kulturen der
Welt aus durch den umgebenden Tiergar-
ten. Fünfzehn Personen mit Kopfhörern
folgen ihm schweigend, streifen andäch-
tig durch den Unterschlupf und auf Wie-
sen an Herumliegenden vorbei. In einer
Art Hörspiel erfährt man aus privaten
Briefen von taiwanischen Dissidenten,
die unter dem 38 Jahre währenden Kriegs-
recht vom Mai 1949 an politisch verfolgt
wurden. Sein Stück „Book of Lost Words“
basiert auf Akten, die 2011 von Yi-Lung

Chang, der Enkelin einer vom Staat er-
mordeten Taiwanerin, erstritten wurden.
Chang ist auch vor Ort, berichtet davon,
wie sie ihrer Mutter das einzige Lebenszei-
chen ihres Vaters mit vierzig Jahren Ver-
spätung überbrachte: Ein Brief, verfasst
am Abend vor seiner unrechtmäßigen Exe-
kution, die Mutter war damals noch ein
Säugling. Die Strecke von Kanding Road
bis Wanda Road verbindet das frühere Fol-
tergefängnis und den Hinrichtungsort.
Die Regierung von damals ist heute im-
mer noch als eine der beiden großen Par-
teien im Parlament vertreten, mit ent-
schieden größeren Sympathien für chine-
sische Kommunisten.
In Taiwan gab es aufgrund ebendieses
steigenden Einflusses der Volksrepublik
China schon heftige Proteste. 2014 brach
sich das „Sunflower Movement“ Bahn,
und erfreulicherweise hat man mit Brian
Hioe einen damaligen Aktivisten und heu-
tigen Journalisten nach Berlin holen kön-
nen, der eigenhändig ein gründliches Ar-
chiv der damaligen Bewegung angelegt

hat. In seinem Vortrag berichtet der ge-
bürtige New Yorker und Absolvent der Co-
lumbia-Universität vom damaligen Kon-
flikt und den räumlichen und ästheti-
schen Strategien der Oppositionsbewe-
gung. Hioe zeigt die komplexen Struktu-
ren des Taiwaner Widerstands auf, vom
Humor in der Bewegung bis hin zu Versor-
gungs- und Besetzungsmaßnahmen. Die
Dokumentation ist fast so beeindruckend
wie die Kreativität und der Erfindergeist
der jungen, digitalaffinen Generation,
die darin zum Ausdruck kommt.
Dann zeigt Hioe Bilder von seinem letz-
ten Besuch in Hongkong im Juni. Die Si-
tuation sei irgendwann nicht mehr mit
Taipeh vergleichbar. An einem Tag sei zu-
letzt so viel Tränengas auf Demonstran-
ten geschossen worden wie während des
gesamten, einmonatigen „Sunflower Mo-
vement“. Auf Straßen, auf denen man vor
kurzem noch unbehelligt flanieren konn-
te, trifft man nur noch Menschen mit
Atemschutzmasken und anderen Ge-
sichtsverhüllungen an.

Spätestens hier wird offensichtlich, wel-
che Vorteile eine solche Veranstaltung
komplementär zu einem fragmentari-
schen, essayistischen Magazin haben
kann. Individuelle Persönlichkeiten, auf
die es ankommt, treten in den Vorder-
grund, im Dialog können Verflechtungen
entstehen, kann Brisanz spürbar werden.
Das kompakte „Flaneur-Festival“ be-
weist, dass es nicht bloß ästhetische Na-
belschau betreibt oder eine weitere der
zahllosen didaktischen Kulturveranstal-
tungen Berlins ist.
Für diese Leistung ist der Gruppe um
Herausgeberin Ricarda Messner zu gratu-
lieren. Auch die Gestaltung der Magazine
sowie des Festivals unter Leitung von Jo-
hannes Conrad und Michelle Philipps
(Studio Yukiko) ragt heraus. Das Heft ist
eine neo-brutalistische Augenweide, die
das Chaos einer neongetränkten Groß-
stadt aufgesaugt und ausgespien hat. Man-
darin und Englisch jagen vogelwild über
große, dicke Heftseiten. Erfreulich ist,
dass das Festival hingegen nur mit sehr de-
zenten Lichtelementen und darauf pla-
zierten gedrungenen Schriftzügen arbei-
tet. Anstatt zu versuchen, die Stimmung
jener fernen Straße über Fotografien oder
exzessive Gestaltungselemente zu über-
tragen, wird den angereisten Gästen die
Bühne überlassen. Auch diese Entschei-
dung legitimiert Berlin als Veranstaltungs-
ort, denn acht vielbeschäftigte taiwani-
sche Medienmacher und Künstler nur zur
Bespaßung einfliegen zu lassen, muss
nicht sein.
Wie schon der journalistische Archi-
var Brian Hioe andeutet, hat diese Veran-
staltung auch eine politische Funktion.
Viele unserer gegenwärtigen Konflikte
haben mit Information, Diskurs, Vernet-
zung zu tun. Dieses Magazin und die dar-
um geführten Gespräche kann man nicht
löschen, man kann sie nicht zensieren.
Im Gegenteil, die Publikation, ihre Ma-
cher und ihr Publikum erhalten Auftrieb.
Dass Berlin und die Bundesrepublik da-
für ein Podium bieten, ist verdienstvoll.
JANNIK SCHÄFER
Die achte Ausgabe des MagazinsFlaneur – Taipeh
ist unter http://www.flaneur-magazine.com und in ausge-
wählten Zeitschriftenläden erhältlich.

Sieben Stunden verbringen die Deut-
schen durchschnittlich pro Tag mit Me-
dieninhalten. Von den 420 Minuten
werde eine Stunde mit dem Lesen von
Texten verbracht. Dies stellt zumindest
die Studie „ARD/ZDF-Massenkommu-
nikation Trends 2019“ fest. Für die Un-
tersuchung wurden zweitausend Men-
schen im Alter ab vierzehn Jahren vom
Institut Kantar befragt.
Mit 202 Minuten werden Videos den
Angaben zufolge am häufigsten genutzt.
Mit 186 Minuten folgten Audioinhalte.
In beiden Bereichen dominierten linea-
re Angebote: Bei der Videonutzung ent-
fielen 76 Prozent auf das klassische Fern-
sehprogramm, bei der Audionutzung 79
Prozent auf das lineare Radiopro-
gramm. Texte würden von 65 Prozent in
gedruckter Form gelesen, 58 Prozent der
Leser nutzen Texte im Netz und in Apps.
Bei den Nutzern unter dreißig Jahren
ergibt sich ein anderes Bild: So beschäf-
tigten sich die Vierzehn- bis Neunund-
zwanzigjährigen den Angaben zufolge
täglich eine Stunde weniger mit Medien-
inhalten (357 Minuten). Bei den unter
Dreißigjährigen liegt die Nutzungsdauer
von Audioinhalten und Videoinhalten
mit 175 Minuten und 151 Minuten je-
weils unter dem Durchschnitt. Mit 63 Mi-
nuten liege die Beschäftigung mit Tex-
ten etwas über der Zahl des Bevölke-
rungsdurchschnitts. Bei den Jüngeren
wird vor allem der Trend zur nonlinea-
ren Mediennutzung deutlich: Mit 45 Pro-
zent werde nur noch knapp jeder Zweite
vom Fernsehen erreicht. 51 Prozent der
Befragten schauten sich Videos und Fil-
me im Netz an. Im Audio-Bereich ist die
Entwicklung etwas weniger deutlich:
Rund ein Drittel der Audionutzung ent-
fällt auf Streamingdienste, das lineare
Programm wird täglich von der Hälfte
der Jüngeren genutzt. epd/F.A.Z.

Ein Magazin als Festival


ImHaus der Kulturen der Welt wurde eine Zeitschrift „aufgeführt“: Das Flaneur-Festival ist ein gelungenes medienpolitisches Experiment.


Eva (Natálie Vágnerová) muss für die SS-Wachen im Konzentrationslager singen. Foto SWR/Looks Film/Andreas Wünschirs


Privatsender


atmen auf


Macrons Medienreform
nimmt Gestalt an

Sieben Stunden
Mediennutzung bestimmt den Tag

Die taiwanische Künstlerin Sheryl Cheung tritt beim „Flaneur-Festival“ im Haus der Kulturen der Welt auf. Foto Diana Pfammatter


EineSerie für Kinder


schildert den Zweiten


Weltkrieg und das


Grauen des Holocausts:


„Der Krieg und ich“


findet einen Weg, den


Jüngsten darzustellen,


was das NS-Regime


anrichtete.


Das vergangene Geschäftsjahr des
WDRwurde, anders als gestern an die-
ser Stelle gemeldet, mit einem Plus von
21,3 Millionen Euro abgeschlossen.
Der Defizitbetrag von 84,1 Millionen
Euro bezieht sich auf das Betriebshaus-
haltsergebnis. Die effektiven finanziel-
len Aus- und Abflüsse beim WDR sind
positiv, der Überschussbetrag wird als
Rücklage verbucht. Die Gesamtrückla-
ge des WDR beträgt 287,4 Millionen
Euro. Der WDR ist gesetzlich verpflich-
tet, einen ausgeglichenen Haushalt vor-
zulegen. F.A.Z.
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