Süddeutsche Zeitung - 10.09.2019

(Darren Dugan) #1
von alexander mühlauer

London– Alex Cruz versuchte gar nicht
erst, seine Piloten in Schutz zu nehmen. Es
tue ihm wirklich leid, sagte der Chef von
British Airways in derBBC, dass „zynische
Aktionen der Pilotengewerkschaft uns in
diese Lage gebracht haben“. Und so glich
das Terminal 5 des Londoner Airports
Heathrow am Montag einem Geisterflugha-
fen. Dort, wo die Flüge von British Airways
eigentlich täglich starten und landen, ging
nichts mehr. Am Gatwick Airport sah es
nicht besser aus. Die Piloten der britischen
Fluggesellschaft hatten den Betrieb lahm-
gelegt. So gut wie alle für Montag und
Dienstag geplanten Flüge mussten gestri-
chen werden, mehr als 280000 Fluggäste
sind davon betroffen. Es ist der erste Pilo-
tenstreik in der Unternehmensgeschichte
von British Airways – und wie es aussieht,
ist er noch lange nicht zu Ende.


Die Piloten fordern mehr Geld. Sie wol-
len stärker an den Gewinnen der Flugge-
sellschaft beteiligt werden. Das vorliegen-
de Tarifangebot von 11,5 Prozent mehr Ge-
halt in den kommenden drei Jahren hat die
Gewerkschaft zurückgewiesen. British Air-
ways hingegen sieht darin eine faire Offer-
te und verurteilte den Streik aufs Schärfs-
te. Das Verhalten der Piloten werde nicht
nur die Kunden bestrafen, sondern auch
der Marke und allen Mitarbeitern schaden,
erklärte Konzernchef Cruz. Er zeigte sich
zwar offen für weitere Verhandlungen,
scheint aber keine große Hoffnung auf ei-
ne baldige Einigung zu haben.
Der Streit zwischen dem Unternehmen
und der Gewerkschaft ist inzwischen so
verfahren, dass sich am Montag das Büro
des britischen Premierministers Boris
Johnson einschaltete. Downing Street sah
sich offenbar dazu gezwungen, beide Sei-
ten „dringend“ aufzufordern, den Konflikt
beizulegen. Doch weder die Konzernlei-
tung noch die Gewerkschaft sieht bislang
einen Grund, von ihrer jeweiligen Position
abzurücken. Neun Monate dauert der Tarif-
streit nun schon. Ein Ende des Gezerres ist
nicht in Sicht. Die Gewerkschaft will weiter
Druck aufbauen und hat für den 27. Sep-
tember bereits einen dritten Streiktag an-
gekündigt.
Gewerkschaftsvertreter Brian Strutton
betonte am Montag, dass die Geschäfte bei
British Airways derzeit gut liefen. Die Pilo-
ten wollten an den Gewinnen genauso be-
teiligt werden, wie sie Einbußen in harten
Zeiten mitgetragen hätten. Die Flugkapitä-
ne seien zu Kompromissen bereit, würden
aber nicht einknicken, sagte Strutton.


Im vergangenen Jahr machte British Air-
ways trotz drohendem Brexit einen Ge-
winn vor Zinsen und Steuern in Höhe von
2,7 Milliarden Euro. Nach Angaben der Pilo-
tengewerkschaft Balpa kostet das Unter-
nehmen ein Streiktag nun 40 Millionen bri-
tische Pfund (etwa 44 Millionen Euro). Im
Vergleich dazu mutet die Lohnforderung
der Gewerkschaft eher bescheiden an: Die-
se liege weniger als fünf Millionen Pfund
höher, als die Airline zuletzt angeboten ha-
be, so Strutton. Ein jüngstes Angebot der
Gewerkschaft zu Gesprächen habe British
Airways allerdings ignoriert.
Die von der Konzernleitung unterbreite-
te Offerte würde die Jahresgehälter der am
höchsten bezahlten Piloten auf knapp

über 200000 Pfund (etwa 222000 Euro) an-
heben, teilte British Airways mit. Im
Schnitt verdienen die Flugkapitäne bei der
Airline 90000 Pfund pro Jahr, was etwa
100000 Euro entspricht.
Der Streit ums Geld eskalierte Ende der
vergangenen Woche, als British Airways
am Freitagabend eine E-Mail an die 4300
angestellten Piloten verschickte. Darin
drohte die Fluggesellschaft mit Sanktio-
nen, sollten sich die Mitarbeiter beim ge-
planten Streik am Montag und Dienstag be-
teiligen. Demnach würden Reisevergünsti-
gungen, von denen Piloten und ihre Fami-
lien profitieren, für die kommenden drei
Jahre gestrichen. Alle bereits mit günsti-
gen Konditionen gebuchten Flüge würden

annulliert. Mitarbeiter von British Airways
und ihre Familienmitglieder erhalten bis
zu 90 Prozent Rabatt auf Flüge sowie äu-
ßerst lukrative Tickets in der Business-
Klasse. Der Umfang der Vorzüge richtet
sich unter anderem nach der Dauer der Be-
triebszugehörigkeit.
Angesichts dieser Drohungen war der
Furor unter den Piloten groß. Auch der dar-
in enthaltene Hinweis, dass ein Streik ei-
nen „ernsthaften Bruch“ mit dem Arbeits-
vertrag darstelle, hielt sie nicht mehr da-
von ab, am Montag nicht zur Arbeit zu er-
scheinen. Nachdem dieFinancial Times
über die unmissverständliche E-Mail be-
richtet hatte, erklärte ein Sprecher von Bri-
tish Airways, dass man sich nicht dafür ent-

schuldigen werde, alles dafür zu tun, um
die Kunden vor Beeinträchtigungen zu
schützen.
Für British Airways bedeutet der Streik
ein Novum in der Unternehmensgeschich-
te. Noch nie legten Piloten ihre Arbeit nie-
der. In Großbritannien gibt es ohnehin kei-
ne so stark ausgeprägte Streikkultur wie et-
wa in Frankreich. Die Angestellten im Ver-
einigten Königreich zählen europaweit zu
jenen, die sich mit Aufständen gegen Ar-
beitgeber eher zurückhalten. Doch bei Bri-
tish Airways ist es mit der Solidarität zur ei-
genen Firma nun vorbei. Die Fluggesell-
schaft will deshalb alles daran setzen, um
zumindest die Passagiere nicht weiter zu
verärgern. Während des Streiks muss die

Airline ihre Fluggäste für ausgefallene Ver-
bindungen entschädigen oder Ersatzflüge
anbieten. Flüge mit den Kooperations-
und Tochtergesellschaften BA CityFlyer,
SUN-AIR und Comair sind von den Streiks
nicht betroffen. Der Konzern zeigte sich ge-
knickt: Man verstehe die Frustrationen
der Kunden, erklärte British Airways. Und
weiter: „Nach Monaten der Versuche, den
Streit um Bezahlung zu lösen, tut es uns ex-
trem leid, dass es hierzu gekommen ist.“
Am größten deutschen Flughafen in
Frankfurt waren anfangs keine Auswirkun-
gen zu spüren. Bis Montagmittag habe es
keine Annullierungen wegen des Streiks
gegeben, hieß es. Eine Prognose für Diens-
tag gab es zunächst nicht.

Der erste Streik der Firmengeschichte


Dasgab es bei der größten Fluggesellschaft auf der Insel noch nie: Die Piloten von British Airways machen Ernst – auch am Dienstag fallen
so gut wie alle Flüge aus. Nun schaltet sich sogar Downing Street in den Tarifstreit ein. Doch ein Ende des Arbeitskampfes ist nicht in Sicht

Der Konzern drohte den


Streikwilligen per E-Mail


harte Sanktionen an


DEFGH Nr. 209, Dienstag, 10. September 2019 (^) WIRTSCHAFT HF2 21
British-Airways-Chef
Alex Cruzverurteilt den Streik
aufs Schärfste.
Der Arbeitskampf würde
die Kunden bestrafen
und die Marke beschädigen.
FOTOS: DPA

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