Süddeutsche Zeitung - 10.09.2019

(Darren Dugan) #1
Berlin – Bundesentwicklungsminister
Gerd Müller hat in den vergangenen Jah-
ren gegen erheblichen Widerstand aus
Wirtschaft und Politik erst das Textilbünd-
nis durchgeboxt und jetzt den Grünen
Knopf, das erste staatliche Textilsiegel
weltweit. Beim Startschuss am Montag be-
gründete Müller das Vorhaben mit den mi-
serablen Arbeitsbedingungen in der Textil-
industrie: Millionen „schuften wie Sklaven
in Textilfabriken arbeiten für 15 Cent, 14
Stunden, sechs Tage die Woche“, sagte er.
Der Grüne Knopf sei eine Maßnahme, um
diese „Ausbeutung in den Strukturen des


  1. Jahrhunderts“ zu beenden. Richten soll
    es der Markt. Verbraucher sollen beim Ein-
    kauf künftig möglichst nur noch Hosen,
    Hemden, Bettlaken oder sonstige Textilien
    kaufen, auf denen der Grüne Knopf ange-
    bracht ist. 27 Unternehmen sind bis jetzt
    dabei, angefangen von der kleinen Firma
    Drei Freunde über Mittelständler wie Vau-
    de und Trigema bis hin zu den Discountgrö-
    ßen Aldi und Lidl. 26 weitere Unterneh-
    men durchlaufen derzeit den Prüfprozess,
    darunter Hugo Boss und die Otto-Group.
    Der Grüne Knopf ist als globales Siegel
    konzipiert und kann von deutschen Unter-
    nehmen auch im Ausland oder von auslän-
    dischen Unternehmen in Deutschland und
    weltweit genutzt werden. Der Staat hat 26
    ökologische und soziale Kriterien für das
    Siegel festgelegt. Erfasst werden anfangs
    nur die Nähereien und Färbereien; später
    sollen auch die anderen Stufen der Produk-
    tion wie Baumwollanbau, Entkörnen, Spin-
    nen oder Weben eingeschlossen werden.
    Hersteller müssen anhand bestehender pri-
    vater Siegel wie GOTS oder Fairwear Foun-
    dation belegen, dass sie die Kriterien erfül-
    len. Das neue Siegel ist also als Meta-Siegel
    konstruiert und soll Verbrauchern die Ori-
    entierung beim Kleiderkauf erleichtern.
    Hinzu kommt eine Bewertung der Unter-
    nehmen anhand von 20 Kriterien. Wer mit-


macht, muss beispielsweise einen unab-
hängigen Beschwerdemechanismus für Ar-
beiter einführen. Bislang dürfen Arbeiter
nicht in allen Ländern freie Gewerkschaf-
ten gründen, verboten ist dies etwa in Chi-
na, dem mit Abstand größten Exporteur
von Bekleidung. In der Fertigung von Texti-
lien vom Baumwollanbau bis zur Konfekti-
on sind weltweit rund 150 Millionen Men-
schen tätig, drei Viertel davon Frauen.
Die Reaktionen auf den Grünen Knopf
fallen sehr unterschiedlich aus: Für die Ver-
braucherzentrale Bundesverband hat „der
Grüne Knopf das Potenzial, mehr Licht in
den Siegeldschungel zu bringen“. Um aber
Katastrophen wie den Einsturz der Fabrik
Rana Plaza mit mehr als Tausend Toten zu
verhindern, reiche ein solches freiwilliges
Label nicht aus. Hier brauche es ein Liefer-
kettengesetz. Die Kampagne für Saubere
Kleidung kritisiert, dass nur gesetzliche
Mindestlöhne Kriterium seien, diese aber
oft nicht existenzsichernd sind. Weil zu-
dem nur ein Teil der Lieferkette abgedeckt

werde, könnten Textilien mit dem Grünen
Knopf auch nicht als „fair“ oder „sozial
nachhaltig“ bezeichnet werden, sagte Inge-
borg Mehser vom Kirchlichen Dienst in der
Arbeiterwelt. Bemängelt wurde auch, dass
die Überprüfung an private Unternehmen
vergeben wurde, die schon in der Vergan-
genheit Missstände nicht abstellen konn-
ten. Kritik kommt auch von der Industrie.
Das Siegel schaffe mehr Unklarheit, sagte
Ingeborg Neumann, Präsidentin des Bun-
desverbands Textil und Mode. Laut dem
Handelsverband Deutschland ist das Sie-
gel „nicht massenmarkttauglich“, weil vie-
le Unternehmen die hohen Standards des
Grünen Knopfes nicht erfüllen könnten.
Müller geht derweil mit gutem Beispiel
voran. Er habe einen neuen Anzug an, sag-
te er bei der Pressekonferenz, dessen Her-
steller voraussichtlich in den nächsten Wo-
chen den Grünen Knopf erhalte. Und den
Hemdenhersteller habe er gewechselt,
weil dieser bei der Initiative nicht mitma-
che. caspar dohmen  Kommentar

Tokio– Schon wieder ein Abgang bei Nis-
san:Konzernchef Hiroto Saikawa legt nach
dem Bekanntwerden von überhöhten Zah-
lungen unter der Ägide von Ex-Chef Carlos
Ghosn seine Ämter bei dem japanischen
Autobauer nieder. „Saikawa hat kürzlich
seine Bereitschaft zum Rücktritt bekun-
det. Entsprechend seinem Wunsch, den
Staffelstab an eine neue Generation von
Führungskräften bei Nissan weiterzuge-
ben, wird er am 16. September zurücktre-
ten“, sagte Yasushi Kimura am Montag, der
Vorsitzende des Verwaltungsrates. Bis En-
de Oktober solle ein Nachfolger gefunden
werden. Bis dahin werde der für das opera-
tive Geschäft zuständige Nissan-Manager
Yasuhiro Yamauchi den Autobauer kom-
missarisch leiten.

Verwaltungssrat Kimura betonte, die un-
verhältnismäßig hohen Zahlungen an Sai-
kawa und andere Manager seien nicht ille-
gal gewesen. Saikawa hatte vergangene
Woche zugegeben, gegen interne Richtli-
nien verstoßen und sich dadurch unrecht-
mäßig bereichert zu haben. Saikawa hatte

nach dem Skandal um den früheren Chef
Ghosn Besserung bei der Unternehmens-
führung und der Kontrolle versprochen.
Auch wollte er Nissan wieder auf Augenhö-
he mit dem französischen Partner Renault
bringen. Ghosn soll sich auf Kosten des Un-
ternehmens um mindestens fünf Millio-
nen Dollar bereichert haben. Er bestreitet
die Vorwürfe. Einem Medienbericht zufol-
ge soll das Gerichtsverfahren im März star-
ten. Nissan hatte im Juli nach einem Ge-
winneinbruch angekündigt, 12 500 Stellen
zu streichen, um Kosten zu sparen. Rufe
nach einem Rücktritt Saikawas waren aber
schon laut geworden, nachdem sein Vor-
gänger Carlos Ghosn wegen mutmaßlicher
Sonderzahlungen festgenommen worden
war. reuters/ap

von jan willmroth und
nilswischmeyer

Frankfurt– Wenn das Personaltableau
steht und die neuen EU-Kommissare ihre
Posten bezogen haben, geht das Ringen
wieder los. Der Aktionsplan für ein nach-
haltiges Finanzwesen steht zur Debatte,
und damit die Frage, wie streng das Regel-
werk für grüne Investments werden soll.
Vor zwei Jahren hatte Kommissionspräsi-
dent Jean-Claude Juncker mit großen Zah-
len argumentiert: Allein, um die Emissions-
ziele der EU bis 2030 zu erreichen, seien zu-
sätzliche Investitionen von 180 Milliarden
Euro pro Jahr notwendig, so Juncker da-
mals. Ohne mehr private Investitionen wä-
re das nicht zu stemmen. Und um die zu er-
leichtern, soll eine einheitliche Definition
von „nachhaltig“ her.
Die Kommission will per Verordnung
neue Leitlinien für Banken, Versicherun-
gen und Vermögensverwalter etablieren,
sie will den Markt für nachhaltige Invest-
ments transparenter machen und den Auf-
sichtsbehörden neue Befugnisse erteilen.
Schon im Frühjahr 2018 hatte die Kommis-
sion dazu ihre Vorschläge präsentiert. Erst-
mals sollte allgemein festgelegt werden,
unter welchen Gesichtspunkten eine Inves-
tition als ökologisch nachhaltig gelten
darf. Weil die Zeit in Sachen Klimawandel
besonders drängt, liegt der Fokus zuerst
auf ökologischen Aspekten. Andere Um-
weltthemen und rein soziale Aspekte sol-
len später geregelt werden.


Noch immer sind sich Kommission, Mi-
nisterrat und EU-Parlament in zentralen
Punkten uneins. Eine Expertengruppe der
Kommission hat im Juni einen „techni-
schen Bericht“ zur Klassifizierung nachhal-
tiger Wirtschaftsbereiche vorgelegt. Mit
dem Ziel einer einheitlichen sogenannten
„Taxonomie“ haben die Experten darin un-
ter anderem sechs positive Umweltziele de-
finiert und daneben 67 Aktivitäten, die
stark zum Klimawandel beitragen. Ziel ist
ein Rahmenwerk, das nachhaltiges Wachs-
tum im Einklang mit dem Pariser Klimaab-
kommen und den Nachhaltigkeitszielen
der Vereinten Nationen ermöglicht.
Ein Beispiel zeigt, wie knifflig das sein
kann. Denn es geht etwa darum zu definie-
ren, welche Art von Strom als nachhaltig
gilt und welche nicht. Soll die klimafreund-
liche Kernenergie begünstigt werden, oder
wegen ihrer ansonsten hohen Umweltrisi-
ken gerade nicht? Ist Wasserkraft grund-
sätzlich gut, oder steht sie zu oft im Wider-
spruch zum Erhalt natürlicher Lebensräu-
me und Schutzgebiete?


Unsicher ist auch, wie viel sich mit den
Vorgaben wirklich ändert. Mit ihrem
Wunsch nach strengen Verpflichtungen
scheitert die Kommission wohl an den Mit-
gliedstaaten, wie Dokumente belegen, die
der SZ vorliegen. Demnach will unter ande-
rem die Bundesregierung die Klassifizie-
rung nicht verpflichtend einführen. Das be-
stätigt das federführende Bundesfinanzmi-
nisterium: „Die Bundesregierung erachtet
freiwillige Standards zum jetzigen Zeit-
punkt grundsätzlich als besser geeignet“,

heißt es dort. Die Taxonomie sei ein No-
vum, es müsse erst am Markt getestet wer-
den, wie sie sich auswirke. Nach derzeiti-
gem Stand müssten Firmen, die das EU-
Öko-Label für ihre Produkte erhalten wol-
len, ihre Investments gemäß der Taxono-
mie offenlegen. Bei Produkten, die nicht
als „umweltmäßig nachhaltig“ gelten, be-
steht laut aktuellem Ratsentwurf „keine
Verpflichtung“, darzulegen, inwieweit sie
den Vorgaben der Taxonomie entspre-
chen. Damit, so kritisiert unter anderem

das Forum Nachhaltige Geldanlagen, wür-
de man zwar die grüne Nische regulieren,
nicht aber den Massenmarkt.
Experten der Deutschen Vereinigung
für Finanzanalyse und Asset Management
(DVFA) beklagen zudem, dass Unterneh-
men ihre Daten zur Taxonomie nur freiwil-
lig veröffentlichen sollen. Das führe zu ei-
ner „schwerwiegenden Asymmetrie“.
Denn um genau über die Auswirkungen ih-
rer Investments Bescheid zu wissen, brau-
chen Investoren zuerst verlässliche Daten.

Laut Kompromissvorschlag der finni-
schen Ratspräsidentschaft soll die EU-
Kommission nun bis Juli 2022 berichten,
ob die Regulierung funktioniert und wie
sie sich auf Kapitalflüsse auswirkt. Sven
Giegold, Finanzexperte der Grünen im EU-
Parlament, gehen die Pläne nicht weit ge-
nug. „Der Ministerrat bremst mit der Klas-
sifizierung nachhaltiger Anlagen ein weite-
res europäisches Zukunftsprojekt aus“,
sagt er. Der aktuelle Entwurf öffne „Green-
washing“ Tür und Tor. Noch kann sich am

Entwurf viel ändern. Zunächst muss der
Ministerrat eine Position finden. Danach
wird die Verordnung erneut zwischen Kom-
mission, Ministerrat und Parlament disku-
tiert, und erst später entscheidet sich, in-
wiefern die Taxonomie erweitert werden
soll, etwa auf ethische Standards wie die
Rücksicht auf Menschenrechte. Auch da-
bei gilt: Je strenger die Kriterien, desto we-
niger Unternehmen können sie erfüllen.
Die Mitgliedstaaten arbeiten vorerst dar-
auf hin, lieber nicht zu streng zu sein.

Nissan-Chef Saikawa tritt zurück


Der japanischeAutokonzern kommt nicht zur Ruhe: Nun geht der nächste Manager


Das Label soll helfen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. FOTO: OH

Eingenäht


Beim neuenstaatlichen Textilsiegel machen zunächst 27 Unternehmen mit


Konflikt um grüne Standards


Um mehr privates Kapital in nachhaltige Finanzierungen zu lenken, bemüht sich die EU-Kommission seit Jahren um einheitliche Regeln für
ökologisch und sozial vorteilhafte Investitionen. Bald entscheidet sich, wie streng sie werden. Nicht nur die Bundesregierung bremst

Hiroto Saikawa, der
bisherige Vorstands-
chef, gibt sein Amt
auf. Saikawa habe
seinen Rücktritt zum


  1. September er-
    klärt. Ein Nachfolger
    soll im Oktober
    benannt werden.
    FOTO: CREDIT


Die meisten


Mitgliedsstaaten wollen


keine strengen Regeln


22 HF2 (^) WIRTSCHAFT Dienstag,10. September 2019, Nr. 209 DEFGH
Ist Windenergie grundsätzlich gut, oder schädigt sie auch die natürlichen Lebensräume? Investoren brauchen klare Vorgaben, doch die sind nicht immer leicht zu definieren. FOTO: AXEL HEIMKEN/DPA
//MORETOPICS
RECRUITING&
ATTRACTION
SERVICES &
OPERATIONS
CORPORATE
HEALTH
DIGITALLEARNING STARTUP
EXPERIENCE
Neue Berufe,Organisationsmodelle und Bürolandschaften–die
Zukunft der Arbeit ist dynamisch,agilund digital. Dieser epochale
Umbruch in der Arbeitswelt ist zugleich ein gesellschaftlicher
Megatrend.FutureofWork ist dabeiWegbereiter neuer Strukturen
und Arbeitsräume,bietetFreiräume für Kreativität und Flexibilität
und bringt innovativeTechnologien hervor. All diesmachen wir
im „FutureofWork Village“auf der Zukunft Personal Europe und
auf der Konferenz „Digital Mind Change“ greif- und erlebbar. Um
die Komplexität desWandels abzubilden,unterteilen wir „Future
of Work“ in vierFacetten: Leadership,Culture&Mindset, Skills &
Competences,Tools&Methods sowie Spaces. Ob Panel Discussion,
Keynote oderWorkshop–für alleFacetten bieten wir hochkarätig
besetzte,interaktiveFormate an.ImFutureofWork Villageder
Zukunft PersonalEuropepräsentieren die Branchenvisionäre
zudem ganzheitliche Produktlösungen und innovativeTools, mit
denen Sie die digitaleTransformation erfolgreich gestalten.
RETHINK.CREATE. TRANSFORM.
MEHRDAZU FINDEN SIE AUF
WWW.ZUKUNFT-PERSONAL.COM/EUROPE
Europas führendesExpoEvent
rund um die Arbeitswelt
ZP EUROPE
KOELNMESSE
17.–19.SEPTEMBER 2019
HIGHLIGHTTOPIC


// FUTURE


OF WORK


AMBASSADORTOOLS&METHODS AMBASSADORSPACES AMBASSADOR LEADERSHIP,CULTURE&MINDSET

GETYOUR


TICKET NOW!


INFOS //
REGISTRIERUNG
Free download pdf