Süddeutsche Zeitung - 10.09.2019

(Darren Dugan) #1
Von Possenhofen aus hat der Wachdienst der DLRG Pöcking-Starnberg am Sonntag-
nachmittag dieseWasserhose vor Leoni beobachtet. FOTO: DLRG PÖCKING-STARNBERG

von andreas schubert

München– Stück für Stück nagt sich die
Schere des Baggers durch den Beton, wie ei-
ne Raupe, die sich genüsslich durch einen
Pilzhut frisst. Die Assoziation liegt nahe:
Was hier gerade am Hauptbahnhof abgeris-
sen wird, ist das Ende der 1950er Jahre ge-
baute Vordach des Bahnhofs, der soge-
nannte Schwammerl. In zwei Wochen wird
er komplett verschwunden sein, samt Fun-
dament. Ende des Jahres soll die komplet-
te Schalterhalle Geschichte sein.
Deren Abriss ist umstritten. Denn viele
Gegner der Maßnahme, darunter der Ver-
kehrsclub Deutschland und der Bund Na-
turschutz, lehnen schon die Ursache des
Abrisses ab: Die Halle fällt, weil darunter
das neue Zugangsgebäude für die zweite
unterirdische S-Bahn-Stammstrecke ent-
steht. Noch im Mai, als die Halle geschlos-
sen wurde, versuchten die Gegner vor Ge-
richt einen Baustopp zu erreichen – wenn
auch vergeblich. Nun gibt es kein Zurück
mehr. Dort, wo jahrzehntelang der

Schwammerl stand, richten die im Auftrag
der Bahn agierenden Baufirmen ihre Bau-
stellenfläche ein. Ende September fangen
sie an, die Fassade der Schalterhalle abzu-
tragen, dann wird diese von innen nach au-
ßen zurückgebaut. Mit dem Entkernen ha-
ben die Bauarbeiter schon begonnen. Au-
ßer der Schalterhalle wird auch das Park-
haus an der Bayerstraße abgerissen, das
mangels Auslastung als nicht mehr not-
wendig betrachtet wurde. Für die Planer
bedeutete dies eine Erleichterung: Hätte
das Parkhaus erhalten werden müssen, wä-
ren aufwendige Stützkonstruktionen not-
wendig geworden, was die Bauarbeiten ver-
kompliziert und verteuert hätte.
Im Innenhof des Bahnhofs haben sich
die Bagger bereits vier Meter in die Tiefe ge-
graben, die nördliche Wand der Schalter-
halle steht schon nicht mehr. Ende des Jah-
res sollen die Tiefbauarbeiten beginnen.
Die Arbeiten verlaufen im Prinzip genau so
wie am Marienhof, wo ebenfalls ein neuer
S-Bahn-Halt entsteht. Am Rande der künf-
tigen Baugrube werden voraussichtlich

von kommendem März an sogenannte
Schlitzwände erstellt, für die sich die Bau-
maschinen rund 40 Meter tief ins Erdreich
fräsen. Sie bilden später eine stabile und
wasserdichte Betonwand, die die Baugru-
be stabil macht. Diese Arbeiten werden et-
wa sechs bis acht Monate dauern. Zudem
entstehen in der Grube Stützpfähle, für die

etwa 60 Meter tiefe Löcher gebohrt wer-
den, die danach mit Beton verfüllt werden.
Auf diese kommt ein Betondeckel, unter
dem die Bauarbeiter das rund 40 Meter tie-
fe künftige Zugangsbauwerk ausheben.
Der eigentliche S-Bahnsteig wird etwa 80
Meter weiter westlich in bergmännischer
Bauweise errichtet. Er liegt zum Teil unter-
halb der denkmalgeschützten Gleishalle.
Diese wäre von den Bauarbeiten nicht
sichtbar betroffen, wenn die Stadt Mün-

chen nicht beschlossen hätte, dort einen
neuen U-Bahnhof für die geplante Linie U9
bauen zu lassen. Dessen künftige Lage be-
findet sich unterhalb des heutigen Quer-
bahnsteigs. Von diesem werden während
des Baus der U-Bahn-Station voraussicht-
lich nur zwei Drittel begehbar bleiben. Wie
genau sich das auf die rund 450 000 Passa-
giere auswirkt, die täglich am Hauptbahn-
hof gezählt werden, ist noch offen. Denn
die Planungen für den U-Bahnhof sind
noch nicht abgeschlossen. Doch schon
jetzt müssen die Fahrgäste wegen der Bau-
arbeiten Umwege in Kauf nehmen. Die Ab-
kürzung zur U1 und U2 von der Gleis-
durch die Schalterhalle gibt es nicht mehr.
Es bleibt nur der etwas längere Weg durch
das Sperrengeschoss.
Bis zum Jahr 2028 soll die zweite
Stammstrecke fertig sein, zumindest nach
jetzigem Stand. Zunächst war die Fertig-
stellung 2026 vorgesehen, wegen funda-
mentaler Umplanungen verzögert sich das
Projekt allerdings. So kamen zu den alten
Plänen am Hauptbahnhof nicht nur die Ver-

legung des künftigen S-Bahnsteigs und
die neue Station der U 9 dazu, sondern
auch im Ostabschnitt der Stammstrecke ei-
ne komplette Verlegung des neuen S-Bahn-
hofs weg vom Orleansplatz hin zur Frieden-
straße, was auch eine geänderte Strecken-
führung nach sich zieht.
Das neue Zugangsgebäude am Haupt-
bahnhof, der sogenannte Nukleus, sowie
die neue Empfangshalle sollen zusammen
mit der Stammstrecke fertig werden –
wenn alles optimal läuft, wie ein Bahnspre-
cher erläutert. Es wird 35 Meter und sieben
Stockwerke hoch sein und Büros, Gastrono-
mie und ein Servicezentrum enthalten. An-
sonsten hält sich die Bahn mit Zeitprogno-
sen zurück. So soll auch der Starnberger
Flügelbahnhof abgerissen und neu gebaut
werden. Der Baubeginn sei – wie es bei der
Bahn heißt – „frühestens“ im Jahr 2023.
Denn der Zeitplan ist auch davon abhän-
gig, wann die Abriss- und Neubaugenehmi-
gungen erteilt werden. Sind diese erfolgt,
sei mit einer Bauzeit von etwa drei Jahren
zu rechnen.

Noch im Mai, als die Schalterhalle geschlossen wurde, versuchten Gegner des Abrisses einen Baustopp zu erreichen. FOTO: ROBERTHAAS

Tür auf


Was es im Büro


des Oberbürgermeisters


zu entdecken gibt


 Leute, Seite R4

Nach morgendlichem Nebel wechseln sich
Sonne undWolken ab. Es bleibt trocken.
 Seite R12


Starnberg– Dieses Naturereignis ist sel-
ten – und „wirklich beeindruckend“: Wal-
ter Kohlenz, Vorsitzender der Deutschen
Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Pö-
cking-Starnberg, hat am Sonntagnachmit-
tag von der Wasserrettungsstation in Pos-
senhofen aus einen Tornado über dem
Starnberger See beobachtet. Eine etwa 30
bis 40 Meter hohe Wassersäule habe sich
vor Leoni gen Himmel geschraubt und mal
stärker, mal schwächer pulsiert. Kohlenz
und zehn ehrenamtliche Rettungsschwim-
mer haben das Naturschauspiel vom Ufer
aus beobachtet. „So etwas habe ich in den
letzten 40 Jahren im und am See erst zwei-
mal erlebt.“
Die Windhose, die man über einem Ge-
wässer auch als Wasserhose bezeichnet,
saugt das Wasser aus dem See bis zur Wol-
kenuntergrenze an. Bayernweit erfasst der
Wetterdienst durchschnittlich nur drei bis
vier Tornados im Jahr, Wasserhosen inbe-
griffen. Insbesondere im Herbst, wenn die
Luft deutlich abkühlt, kommt es zu „labil
geschichteten“ Luftschichten, wie die Me-
teorologen die Ausgangslage beschreiben.
So brachte am Sonntag ein Höhentief aus
Südtirol kalte Luft ins Fünfseenland, die
Temperaturen kühlten auf neun Grad Cel-

sius ab. „Der See aber war noch deutlich
wärmer“, erklärt Jens Kühne vom Deut-
schen Wetterdienst in München. Die Luft
ströme in der Folge entsprechend schnell
auf und verwirbele. Laut Kühne entstehen
dabei gemeinhin Geschwindigkeiten zwi-
schen 40 und 60 Stundenkilometern. Wie
schnell der Tornado vom Sonntag war, ist
unklar – DLRG-Chef Kohlenz schätzt ihn
aber als wenig stark ein. „Ich denke nicht,
dass ein Schwimmer ernsthaft bedroht ge-
wesen wäre, wenn er in den Sturm geraten
wäre.“ Grundsätzlich aber fügt er hinzu, sei
mit solchen Tornados nicht zu spaßen.

Nachweislich hat sich zuletzt Anfang
September vor zwei Jahren ein Luftwirbel
in vergleichbarem Ausmaß über der Was-
seroberfläche des Starnberger Sees gebil-
det – auch damals konnten DLRG-Mitglie-
der den Wirbelsturm beobachten. Die Dun-
kelziffer der lokalen Wirbelstürme dürfte
allerdings deutlich höher liegen, schätzt
das regionale Klimabüro des Wetterdiens-

tes. Denn kleine Wirbelstürme, die in der
Fläche kaum wandern, erfassen die Rada-
re nicht. So ist auch der Wirbelsturm vom
Sonntag bei Leoni mit schätzungsweise 30
Metern Durchmesser nicht als solcher auf-
gezeichnet. Auf den Bildschirmen sind laut
Kühne für den besagten Zeitraum lediglich
schwach wandernde große Regenwolken
zu sehen. „Umso dankbarer sind wir für
Meldungen solcher Phänomene“, sagt der
Wetterforscher. Für den Montag hat der
Wetterdienst – auch aufgrund der Nach-
richt vom Starnberger See – sogleich eine
Starkwindwarnung für den Chiemsee, Wa-
ginger See und Simsee herausgegeben.
„Die Wetterlage hat sich ja kaum verän-
dert“, so Kühne.
Während die Rettungsschwimmer die
Fontäne am Sonntag aus sicherer Entfer-
nung vom Ufer aus beobachtet haben, hat-
ten die Gäste und der Kapitän der „Sees-
haupt“ die Logenplätze für das seltene Na-
turereignis. Laut Kohlenz querte das Aus-
flugsschiff just in diesen Minuten den See
in Richtung Leoni. Nach etwa zehn Minu-
ten habe sich das Schauspiel im starken Re-
gen über dem leer gefegten Starnberger
See schließlich wieder aufgelöst. Schäden
gab es keine. carolin fries

München– Ein23-jähriger Mann hat in
der Nacht auf Samstag in der Innenstadt ei-
ne 20-Jährige sexuell missbraucht. Der Tä-
ter habe die Frau gegen 2.30 Uhr auf der
Sonnenstraße angesprochen, teilte die Poli-
zei am Montag mit. Beide seien gemein-
sam in den Hinterhof des City Aparthotels
an der Ecke Landwehrstraße gegangen
und hätten dort Zärtlichkeiten ausge-
tauscht, zunächst einvernehmlich. Als der
Mann Geschlechtsverkehr wollte, lehnte
die 20-Jährige ab. Daraufhin wurde er ge-
walttätig, drückte sie gegen eine Wand, ent-
kleidete sie und verging sich an ihr. Nach-
dem sie fliehen konnte, vertraute sie sich ei-
ner Freundin an; diese verständigte
schließlich die Polizei. Zivile Fahnder fan-
den den Mann am nächsten Tag in der Nä-
he des Tatorts und nahmen ihn fest. Ein Er-
mittlungsrichter erließ Haftbefehl. anh


Der Schwammerl schwindet


Am Hauptbahnhof werden mit dem Abriss der Schalterhalle sichtbar die Bauarbeiten für die zweite Stammstrecke fortgesetzt.
Bald ist auch das Parkhaus an der Bayerstraße dran. Ende des Jahres wird dann tief im Erdreich weitergemacht

19 °/10°


Heute mit


Happy Hour


auf Seite R3


Frau in Hinterhof


sexuell missbraucht


Für Montag hat der Wetterdienst
für mehrere Seen eine
Starkwindwarnung ausgegeben

von stephan handel

D


ie Wiesn ist kein Spaß – das weiß
jeder, der den bayerischen Natio-
nalrausch seriös betreibt. Wir re-
den hier nicht von den Leuten, die wie ein
Amateur ein oder zwei Mal ein Zelt aufsu-
chen. Ernsthafte Wiesngänger richten ih-
ren ganzen Kalender nach dem Oktober-
fest aus: Termine für Hochzeiten, Entbin-
dungen, Taufen und ähnlich nachgeord-
netes Zeug mögen verhandelbar sein.
Nicht aber die 16 Tage Ende September.
Eine so wichtige Angelegenheit be-
darf natürlich genauester Vorbereitung,
sind ja nur mehr zehn Tage hin. Das
Equipment zuerst: Passt die Lederhose
noch? Ausreichend Wadlstrümpf vorhan-
den? Sind die Haferlschuh eingefettet
und poliert? Die Trachtenhemden kön-
nen jetzt schön gebügelt werden, dann
muss man sich später nicht mehr damit
aufhalten. Zur Erhaltung der körperli-
chen Fitness empfiehlt sich die Bereit-
stellung von Mineralien und Vitaminen
in Tablettenform, denn so gut das Hendl
auch schmeckt – so richtig gesundes
Zeug ist da eigentlich nicht drin. Zu Hau-
se sollte man daher für einen ausreichen-
den Vorrat an den wichtigsten Medika-
menten sorgen – Kopfwehpillen, Magen-
säure-Blocker, eventuell Heftpflaster
und Heilsalben, falls es zu nie ganz zu ver-
meidenden Stürzen kommt. Ganz wich-
tig: Kurze Notizen schreiben, an die be-
vorzugten Wirte, an bekannte Bedienun-
gen, an die Türsteher von Weinzelt und
Käfer, wenn’s mal später wird – gelegent-
lich hat auch der treueste Stammgast
Probleme ins Zelt zu kommen, dann er-
weist sich der Vorzug eines gut gepfleg-
ten Netzwerkes.
Vorbereitung – Durchführung – Nach-
bereitung, das sind die drei Eckpunkte je-
des professionellen Projektes. Deshalb:
Für die Woche nach der Wiesn Urlaub ein-
reichen. Leichten Sport einplanen, eine
kleine Radtour, ein bisschen Schwimmen
vielleicht, um den geschundenen Körper
wieder auf Trab zu bringen. Für alle Fälle,
und weil man ja nie weiß, was passiert: Ei-
nen Termin bei der Eheberatung ausma-
chen. Alles erledigt? Nichts vergessen?
Auf geht’s – ozapft wird.


NR. 209,DIENSTAG, 10. SEPTEMBER 2019 PGS


Ranzen auf


Die Schule geht los – und


in München geht der Trend


klar zum Ganztag


 Thema des Tages, Seite R2

Ihr Lokalteil auf Tablet und Smart-
phone:sz.de/zeitungsapp

Tornado über dem Starnberger See


Vor Leoni beobachten Rettungsschwimmer eine 40 Meter hohe Wasserhose – ein seltenes Naturschauspiel, das aber niemanden in Gefahr brachte


Bis zum Jahr 2028 soll
die zweite Röhre fertig sein –
zumindest nach jetzigem Stand

München


MÜNCHNER MOMENTE

Ein Rausch


nach Plan


FOTOS: C. HESS, GETTY IMAGES

Film ab


Viele Kommunen haben einen


Imagefilm. Aber so unterschiedlich die


Orte, so eintönig sind die Produktionen


 Bayern, Seite R11

DAS WETTER



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