Süddeutsche Zeitung - 10.09.2019

(Darren Dugan) #1
von dominik hutter

N


ebenan in dem kleinen Ruheraum
stehen die Gitarren. Eine akusti-
sche und eine elektrische, der Ver-
stärker natürlich mit dabei. „Das hat sich
leider nicht so eingependelt, wie ich ur-
sprünglich gedacht habe“, sagt Dieter Rei-
ter. Eigentlich wäre es schön gewesen, zur
Entspannung zwischen den Terminen
ganz privat im stillen Kämmerlein ein paar
Gitarrenriffs zu spielen. Dazu aber fehlt
dem Oberbürgermeister die Zeit. Die Ins-
trumente werden vor allem dann genutzt,
wenn sich der begeisterte Hobbyrocker in
einem nahegelegenen Übungsraum mit
seiner Band trifft. Ansonsten stehen sie
herum, wie auch der offensichtlich unge-
nutzte Fernseher, über dem ein Fußballtri-
kot hängt. „Der ist nicht einmal angeschlos-
sen“, sagt er.


Was der 61-Jährige sonst noch mit sei-
ner E-Gitarre anstellt, ist auf einem riesi-
gen Foto an der Wand seines Büros zu se-
hen. Da tritt der SPD-Politiker auf großer
Bühne vor mehr als 20 000 Menschen auf



  • beim Konzert für Flüchtlinge und ihre
    Helfer 2015 auf dem Königsplatz. Es war
    ein Statement – und davon finden sich eini-
    ge in dem gut 70 Quadratmeter großen
    Amtszimmer an der Südwestecke des Rat-
    hauses am Marienplatz. Eine Ansicht der
    ersten Großdemo gegen Pegida am Send-
    linger-Tor-Platz ist zu sehen, im Regal ste-
    hen Fotos von Willy Brandt und Helmut
    Schmidt. Collagen von Kindern, die dem
    Rathaus-Chef geschenkt wurden, hängen
    an der Wand, es gibt jede Menge Bücher
    und die unvermeidlichen Devotionalien.
    Bierkrüge etwa.


Dazu kommen Erinnerungen ans erste
Anzapfen auf der Wiesn: ein roter, bemer-
kenswert schwerer Schlegel und ein matt-
schimmernder Zapfhahn.
Zimmer 293, Marienplatz 8, 80331 Mün-
chen lautet die korrekte Anschrift des Ober-
bürgermeisters. Wobei Raum 293 eigent-
lich eine ganze Zimmerflucht markiert. Be-
sucher kommen zunächst ins Vorzimmer,
das über einen markanten Erker am Rat-
hauseck verfügt. Alte Türen, verschnörkel-
te Stühle, Parkett – was das Rathaus von au-
ßen verspricht, hält es im Großen und Gan-
zen auch im Inneren ein. Reiters Büro, di-
rekt anschließend ans Vorzimmer, sieht et-
was anders aus. Moderner. Schnörkellos.

Es gibt einen stinknormalen Schreibtisch,
einen Konferenztisch mit Stühlen und eine
kleine Sitzgruppe, die laut Reiter über-
haupt nie benutzt wird. Standardmobiliar
der Münchner Stadtverwaltung. Kein teu-
res Office-Design.
Auf den Hauptraum mit Reiters Arbeits-
platz folgen: das kleine Nebenzimmer mit
Couch, Trikots und Gitarren. Sowie ein Mi-
ni-Raum mit Schrank, in dem Reiter ein
paar Reservehemden verwahrt („falls
beim Mittagessen wieder mal was schiefge-
gangen ist“) und der als Vorraum für das
kleine Bad dient. Theoretisch könnte man
in diesen Räumen auch mal über Nacht
bleiben. Das hat Reiter aber noch nie ge-

tan. Irgendwann muss man auch einmal
nach Hause.
Von Amtsvorgänger Christian Ude ist in
den Räumen nichts geblieben. Der hatte ei-
ne schon etwas bejahrte Auslegware auf
dem Boden liegen, besaß eine wohnzim-
mertaugliche schwarze Ledersitzgruppe,
auf der er Gäste und Mitarbeiter empfing,
und einen nicht immer ganz aufgeräum-
ten Schreibtisch. Ein bisschen verkrusch-
ter als heute sah es bis 2014 aus, für Reiters
Geschmack war es eindeutig zu dunkel.
Der aktuelle OB ist „Leertischler“, wie er
es selbst nennt. Überquellende Papierber-
ge sind ihm ein Gräuel. Am Abend, so sein
Prinzip, sollten auf dem Tisch keine unbe-

arbeiteten Akten mehr herumliegen. Ak-
ten gibt es in großer Zahl in einer Stadtver-
waltung. Über den Tisch des OB wandern
jährlich Tausende von Beschlussvorlagen
für den Stadtrat. Mappen über Mappen
zum Unterschreiben. Bürgerpetitionen. Be-
schwerden. Und es geht ja nicht immer nur
um Kommunalpolitik. Ein Münchner Ober-
bürgermeister ist Mitglied und zumeist so-
gar Vorsitzender zahlreicher Aufsichtsrä-
te. Auch da gilt es wichtige Entscheidun-
gen zu treffen.
Reiter verbringt in seinem Amtszimmer
nach eigener Aussage mehr Zeit, als ihm ei-
gentlich lieb ist – Politiker müssten schließ-
lich unter die Leute. Aber natürlich hat ein
Oberbürgermeister automatisch auch jede
Menge Repräsentationspflichten außer-
halb des Rathauses. Ein Stadtoberhaupt
tingelt quasi als Reden-Maschine und
Grußwort-Automat durch die Stadt. Es
gilt, Bürgersprechstunden, Aufsichtsrats-
und sonstige Sitzungen zu absolvieren und
ganz allgemein die Stadt zu repräsentie-
ren. Dafür gibt es ein streng hierarchisches
Vertretungssystem: Hat der OB keine Zeit,
werden zunächst die Terminkalender der
beiden Bürgermeister befragt. Es folgen:
Fraktionsvorsitzende und irgendwann
auch einfache Stadträte. Ein bis zwei Au-
ßer-Haus-Termine pro Tag sind für den
Rathaus-Chef das Minimum.
Aber auch wenn Reiter im Rathaus ist,
sitzt er nicht zwangsläufig an seinem
Schreibtisch. Die wöchentliche Runde der
städtischen Referenten etwa trifft sich mit
ihrem Chef in einem anderen Sitzungs-
raum auf gleicher Etage. Ebenfalls im zwei-
ten Stock befinden sich der Große und der
Kleine Sitzungssaal, in denen der Stadtrat
tagt. Ist der OB mit im Saal, führt er den Vor-
sitz.
Manchmal aber sitzt Reiter auch ein-
fach nur auf seinem Fensterbrett und
denkt nach, wie er weiter verfahren soll.
Das geht gut bei dem wirklich sensationel-
len Blick direkt auf den Marienplatz, wie er
sagt. Und es müsse sein. „In letzter Zeit ha-
be ich oft über die Fraunhoferstraße nach-
gedacht“, sagt Reiter. Radfahren plus Ver-
kehrswende versus Autofahren plus Liefer-
verkehr. Ein klassisches Kommunalpro-
blem. Der Oberbürgermeister ist es ge-

wohnt, unangenehme Beschlüsse zu fas-
sen. Schon wegen seiner Rolle als oberster
Chef der Verwaltung. Die Referenten fra-
gen normalerweise nicht bei Alltagsthe-
men im OB-Büro nach. Sondern vor allem
dann, wenn eine „Pest-oder-Cholera-Ent-
scheidung“ ansteht, erklärt er.
Oberbürgermeister, das sagt Reiter im-
mer wieder, sei ein Traumberuf. Weil man
wirklich erstaunlich viel bewirken könne.
Dennoch gibt es natürlich auch jene Tage,
an denen irgendetwas grandios schief
läuft oder heftige Attacken auf das eigene
Nervenkostüm gestartet werden. Reiter
kann dann auf eine Sammlung mit Postkar-
ten zurückgreifen, die ihm der frühere Kul-
turreferent Hans-Georg Küppers regelmä-
ßig alle 14 Tage mit ins Büro gebracht hat.
Darauf lustige und manchmal auch etwas
derbe Büro-Sprüche à la „Mach einfach
dein Ding. Irgendjemand findet es sowieso
scheiße.“ Oder: „Nicken, lächeln, Arsch-
loch denken.“ Das klingt natürlich nicht
sehr nett. Aber im Ernstfall hilft es.
MÜNCHNER
CHEFZIMMER

Ein Besuch bei
Dieter Reiter,
Münchens Oberbürgermeister
SZ-Serie · Folge 9

Im Neuen Rathaus am Marienplatz haben
neben demOberbürgermeister auch die
beiden Bürgermeister Manuel Pretzl (CSU)
und Christine Strobl (SPD) ihre Büros. Der
neugotische Palast ist zudem Sitz des
Münchner Stadtrats – dort tagen die Voll-
versammlung und die Fachausschüsse.
Die Stadtratsfraktionen und -gruppierun-
gen haben ihre Räume und internen Sit-
zungssäle ebenfalls am Marienplatz 8. Der
Bau verfügt über mehrere Innenhöfe, in
der Zentrale der Münchner Kommunalpoli-
tik haben daher auch noch drei Referate,
also Stadtministerien, Platz: das Direktori-
um, das sich um juristische und zentrale
Angelegenheiten kümmert. Es ist direkt
dem Oberbürgermeister unterstellt. Die
Kämmerei, also das städtische Finanzmi-
nisterium, dessen Chef Christoph Frey im
ersten Stock direkt unter dem OB-Büro re-
sidiert. Und das Personalreferat, dessen
Leiter Alexander Dietrich im dritten Stock,
ebenfalls direkt über Reiters Räumen, un-
tergebracht ist. DH

Von Amtsvorgänger Christian Ude ist in den Räumen nichts geblieben, sogar die wohnzimmertaugliche schwarze Ledersitzgrup-
pe ist verschwunden. Der aktuelle Oberbürgermeister Dieter Reiter ist ein „Leertischler“, wie er es selbst nennt.

Im Regal von
Oberbürgermeister Dieter
Reiter stehen Fotos von
Willy Brandt und Helmut
Schmidt. Ein roter Schlegel
und ein Zapfhahn erinnern
ihn an seine erste
Wiesn-Eröffnung, die
Gitarren im Nebenzimmer
an seine große
Leidenschaft – allerdings
kommt er selten zum Üben.
Wenn seine Nerven arg
strapaziert werden, helfen
ihm Postkarten-Sprüche,
die ihm der frühere
Kulturreferent Hans-Georg
Küppers geschenkt hat.
FOTOS: CATHERINA HESS

Rückzugsort für den Hobbyrocker


Im Nebenraum steht seine Gitarre, im Schrank hängen Reservehemden, Dieter Reiter könnte hier in seinem Amtszimmer sogar ein Bad nehmen oder über Nacht bleiben.
Aber irgendwann darf sogar ein Oberbürgermeister nach Hause – denn auch so verbringt der Politiker mehr Zeit in seinem Büro, als ihm eigentlich lieb ist

München– Einen Brauer, noch dazu von
Paulaner, stellt man sich irgendwie ganz
anders vor. Als gwamperten Mönch, nor-
malerweise, der einen großen Humpen mit
schäumendem Bier in der Hand hält. Inso-
fern ist es schon nachvollziehbar, dass die
Brauerei ihre jüngste Brauerin Teresa
Seidl am Montag mit großem Tamtam der
Presse auf dem Nockherberg präsentiert.
Nicht nur, weil sie als Frau eher eine Aus-
nahme in der Branche darstellt, sondern
auch, weil sie eine höchst erfolgreiche Brau-
erin ist. Denn Teresa, die erst im Frühjahr
mit ihrer Ausbildung fertig wurde, gewann
in diesem Jahr gleich die Meisterschaft der
Münchner und südbayerischen Brauer
und Mälzer. Das von ihr gebraute Dunkle
wurde von der Jury als bestes Bier in ihrem
Jahrgang ausgezeichnet.
Wenn man so einen Meistersud vorwei-
sen kann, dann will man ihn aber auch
nicht nur für einen einzigen Wettbewerb


verwenden, dachte sich die Brauerei wohl.
Und deshalb durfte Teresa Seidl Ende Juli
ihr Dunkles erneut brauen, und zwar in der
Gasthaus-Brauerei des Paulaners am Nock-
herberg. Dort kann man von Freitag an „Te-
resas Meistersud“ nun auch genießen, vor-
aussichtlich mindestens einen Monat lang.
Uli Schindler, der Braumeister vom Nock-
herberg, hat aber schon angedeutet, dass
er das Bier gerne noch länger auf der Ge-
tränkekarte lässt, wenn es gut ankommt.
Vorstellbar wäre das, denn das untergä-
rige, dunkle Bier mit einer Stammwürze
von 13,5 Prozent und einem Alkoholgehalt
von 5,85Prozent (also etwas mehr, als ein
klassisches Vollbier normalerweise hat),
ist recht süffig. „Ich habe mich bei meinem
Rezept eher an die traditionellen Sorten ge-
halten und deswegen die Hopfensorten
Hercules und Hallertauer Tradition ver-
wendet“, sagt die junge Brauerin, „dazu
noch Münchner und Pilsner Malzsorten.“

Es sollte ein Dunkles werden, das nicht zu
exotisch ist, sondern durch feine Aromen
überzeugt. Eigentlich sei das „ein typi-
sches Frauenbier“ geworden, sagt sie, weil
es leicht süßlich schmecke und wenig Röst-
aromen enthalte. Sie selbst hat es dem-
nach eher weniger mit Frauenbieren,
denn: „Am liebsten trinke ich ein Helles“,
sagt sie.

Die 21-jährige Teresa Seidl stammt aus
dem kleinen niederbayerischen Ort Stei-
nernkreuz, „das ist eine 50-Seelen-Ge-
meinde zwischen Straubing und Cham“.
Nach dem Abitur entschied sie sich für die
Brauerlehre bei Paulaner, um erst einmal
einen soliden „Beruf mit Zukunft“ zu ler-

nen. Das ist ihr ganz offenkundig erfolg-
reich gelungen. Seit dem Ende ihrer Ausbil-
dung im Frühjahr arbeitet sie derzeit im La-
bor für Qualitätssicherung von Paulaner,
und in Kürze beginnt sie dann ein Studium
der Ernährungswissenschaften an der TU
in München.
Gut gefallen hat ihr, dass sie in einem
traditionellen Männerberuf reüssiert hat:
„Mir als Mädchen ist es natürlich auch ein
großes Anliegen, der von Männern domi-
nierten Branche zu zeigen, dass auch wir
Mädels in der Lage sind, zu guten Brauern
heranzuwachsen“, sagt sie. Unter den rund
150 Brauern bei Paulaner sind momentan
fünf Frauen und eine Auszubildende. Aber
die Zahl wächst, sagt Ausbildungsleiterin
Susanne Weber: „Bei den Azubis sind nor-
malerweise die Hälfte weiblich.“ Und in der
Wirtshausbrauerei des Paulaner Brauhau-
ses am Kapuzinerplatz ist sogar eine Brau-
meisterin die Chefin. franz kotteder

Rathaus


„Mir war wichtig, dass es ein dunkles Bier wird, das nicht zu exotisch ist“, sagt
TeresaSeidl, hier in der Wirtshausbrauerei am Nockherberg. FOTO: STEPHAN RUMPF

Ein Dunkles von der Frau, die das Helle liebt


Im Paulaner am Nockherberg gibt es jetzt „Teresas Meistersud“ – ein Bier, mit dem die junge Brauerin Teresa Seidl die Meisterschaft für München und Südbayern gewann


Unter den rund 150 Brauern
bei Paulaner sind
momentan fünf Frauen

R4 (^) LEUTE Dienstag, 10. September 2019, Nr. 209 DEFGH

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