Neue Zürcher Zeitung - 08.09.2019

(John Hannent) #1
NZZamSonntag8. September 2019
WirtschaftSBB 29

SBB-Chef Andreas
Meyer bei der Taufe
einesBombardier-
Zuges: DerPerso-
nenverkehr hat in
seinerZeit umfast
25% zugenommen.
(Genf,8. März2018)

MARTIAL TREZZIN

I / KEYSTONE

DerZu-schnell-Zug


In seinen dreizehnJahren als Chef hat Andreas Meyer die SBBzum modernenUnternehmen umgebaut. Am


Schluss hatsein dauerndes Höchsttemposelbst Verbündete überfordert.VonJürg Meier


D


ie Sonne taucht denSchienengüter-
terminal in Spreitenbach in warmes
Licht, doch SBB-Chef AndreasMeyer
ist an diesem Mittwoch vor einer
Woche aus anderen Gründen besterLaune. Er
hat soeben neue private Partner für die seit
Jahren kriselndeFrachtsparte SBBCargo vor-
gestellt.Fotografen schiessen Bilder,Meyer
umarmt die neuen Mitbesitzer – und dann
einenvon deren Transporteuren, der auch
noch dabeisteht. Dieserweiss nichtrecht, wie
ihm geschieht, und erwidert die Umarmung
steif und halbherzig.
Es ist eine typische Szene fürMeyer. Was er
als freundschaftlicheGeste sieht, nehmen an-
dere beinahe als Angriff wahr.Was er alsvol-
len Einsatz für die SBB definiert, überfordert
selbst jene, die ihmwohlgesonnen sind. Und
so ist einefast schon paradoxe Situation
entstanden. Zieht man mit Kennern des
öffentlichenVerkehrs Bilanz überMeyers
dreizehnjährige Amtszeit, erhält seine Arbeit
viel ehrlichgemeintes Lob. Und gleichzeitig
ist einkollektives Aufatmen darüber zu spü-
ren, dass er bis spätestens Ende 2020 seinen
Chefsessel räumenwird.

Top: EineLösung


fürSBBCargo


AndreasMeyer ist einMensch, den steigender
Druck zu höhererLeistung antreibt. Daszeigt
sich beim Thema SBBCargo. Als er an diesem
schönenAugusttag in Spreitenbachvor den
Medien ansRednerpult tritt, ist ihm klar,dass
er eine guteLösung präsentieren muss. Und
tatsächlich hat er diewohl bestmöglichen
Partnergefunden.
Das Gütergeschäft steckt seitJahren so tief
in der Krise, dass es einemWunder gleicht,
wenn einmalkein Verlust herausschaut. Die
vier Schweizer Strassentransportunterneh-
mer, dieMeyer an Bord holt, bringen genau
das mit, was SBBCargo seit Jahrenfehlt. Sie
haben eine langfristigePerspektive und sehr
viel Geschäftssinn. DieSchweizerFamilien-
firmen habengemerkt, dass dieBahn gegen-
über denLastwagen einen gigantischenVor-
teil hat. Sie darf auch in der Nachtfahren. SBB
Cargo kann nunSchritt für Schritt ein System
aufbauen, bei dem mehr und mehr Güter

nachts überweit ere Strecken transportiert
und amfolgendenMorgen perLastwagenwei-
terverteiltwerden. Bringt das Unternehmen
das hin, lässt sichviel Geld verdienen.

Flop: Der
Bombardier-Zug

AndreasMeyer ist einMensch, der andere
überzeugen kann. Aber er ist auch einMensch,
der sich selbst nur schwer überzeugen lässt.
Pragmatismus ist ihmfremd, erwill immer
das Maximum und lässt sich kaumvom Ziel
abbringen.
Bei derBeschaffung desDoppelstockzuges
von Bombardier erweist sich dies als schlechte
Mischung. DasGeschäft ist der grösste Flop in
Meyers Amtszeit. Die SBB bestellten unter sei-
ner Leitung eineSchweizer Speziallösung.
Einen Zug, den es so noch nie gab und derviel
zu viele Ansprüche gleichzeitig zu befriedigen
hat. Er muss schnell in denKurven sein,wes-
halb erstmals bei einemZweistöcker eine
Technologie eingesetztwird, die denWagen-
kasten aufrichtet. Doch jetztzeigt sich,wie
schwierig es ist, sie zu beherrschen.Der Zug
muss zudem in mehrerenLändernfahren
können – obwohl es bis heutekeine konkreten
Pläne gibt, ihn jemals jenseits der Grenze ein-
zusetzen.
Gleichzeitig sind die Anforderungen an die
Software höher als in jedem Zug zuvor.So
hoch, dass derDoppelstöcker zumfahrenden
Computerproblemgeworden ist.

Top: Einmodernes


Unte rnehmen


Meyer betont eines immergerne: Er scheut
sich nicht, heisse Kartoffeln anzufassen. Man
kann sogar sagen: Er liebt esgeradezu. Dies
kam ihm bei einem seinerwichtigsten Erfolge
zugute, dem Umbau der SBB zum modernen
Unternehmen.Bei Meyers Amtsantritt im Jahr
2007 hatten die SBB eineReihe von in ternen
Problemen,wie frühere Mitarbeiter berichten.
Divisionenwie derPersonenverkehr oder die
Infrastruktur arbeitete n zu oftgegen- anstatt
miteinander.Kennzahlen – für dieFührung

eines so grosses Unternehmens essenziell –
waren unvollständig. Immerwieder mussten
SBB-Exponenten Aussagenkorrigieren,weil
sie in den Tiefen des UnternehmensWichtiges
übersehen hatten. Meyer baute die SBB zum
modernen Unternehmen um. In der Öffent-
lichkeit gibt es dafürkeine Sympathien. Bran-
chenkenner jedoch sind sich einig: Nur so
waren die SBB in derLage, dasWachstum zu
bewältigen.Der Personenverkehr legte in
Meyers Amtszeit umfast 25% zu.

Flop: Unte rhalt


und Verspätungen


Nettgesagt, räumt AndreasMeyer un gern Feh-
ler ein.Weniger Nette bezeichnen ihn auch als
stur. Daszeigte sich beim ThemaVerspätun-
gen. Meyer wies – durchaus zuRecht – immer
wieder darauf hin, dass dieseweniger stark
zugenommen haben, als allgemein wahr-
genommenwird. Und dass es für dieVerspä-
tungen viele nachvollziehbare Gründegebe.
Was er aus dem Blick liess: Es liegt auch an
den SBB, dass die Situation schlechter ist, als
sie seinkönnte. Sie schafften es nicht, den Er-
neuerungsrückstand bei den Gleisen einzu-
holen, den sie sich über lange Jahre eingehan-
delt hatten. Die SBB unterschätzten lange die
Auswirkungen, welche derMehrverkehr und
der Einsatzvon immer schnelleren, immer
schwerere n und immer beschleunigungsstär-
keren Zügen auf die Infrastruktur haben. Zu-
dem gab es in dieserwichtigenFrage immer
wieder Streitere ien mit dem Bundesamt für
Verkehr.Dessen ChefPeter Füglistaler und
AndreasMeyer sind sich nichtwohlgesonnen


  • was nicht nur anMeyer liegt. AmSamstag
    warnte Verkehrsministerin SimonettaSom-
    maruga im Radio SRF davor, den Unterhalt zu
    unterschätzen. Sie prüft, den SBB ab 2021 da-
    für mehrGeld zu geben.


Top: Geldaus
Immobilien

AndreasMeyer sieht sich als CEO und nicht als
Patron. Als Antreiber und nicht als gutmütiger
Vorgesetzter. Als Chef eines Unternehmens,

das Geld verdienen muss, und nicht als obers-
ter Beamter, der niemanden ärgern möchte.
Und so liess er noch die hinterste Bahnhofs-
ecke und den letztenLagerschuppen auf
deren Ertragspotenzial analysieren. Mit Er-
folg. Bald werden die Mieteinnahmen der SBB
die Milliardengrenze überschreiten. Meyers
Immobilienstrategie hat dem noch immer
hochsubvent ionierten Unternehmen eine sta-
bile Einnahmequelle mit Zukunftspotenzial
verschafft.Denn die Passagierzahlenwerden
steigen. Und dadurchwird es mehrKunden
für dieBahnhofslädengeben und mehr Mieter
für Wohnungen an denBahnhöfen. Nur küm-
mert das die Öffentlichkeit kaum. Sie disku-
tierte lieber über die als zu hoch empfunde-
nen Mieten fürLäden undWohnungen.

Als AndreasMeyer anfing, war dasMotto klar:
Die SBB solltenweg vom Staatsbetrieb und hin
zum Unternehmen.Doch je stärker die SBB
auf Gewinne und Effizienz achtete n, desto
grösserwurde dieGegenbewegung, die mehr
Rücksichtverlangte – auf dasPersonal, auf die
Randregionen, auf Ältere, aufBehinderte.
Meyer baggerteweit er, hielt dasTempo
hoch, präsentierteIdee umIdee, Projekt um
Projekt. Aber je lauter dieForderung nach
mehrService-public-Denkenwurde, desto
verlorenerwirkte er.Denn er, Chef einer
Schweizer Ikone, ist invielem alles andere als
schweizerisch: unbescheiden, hart nicht nur
gegen sich, sondern auchgegen andere,kon-
frontativ statt ausgleichend.
In den SBB schieden nach seinem Antritt
jene bald aus, die sich ihm nicht bedingungs-
los unterstellten.Der Rest der Branche – 120
Unternehmen bestimmen im öffentlichen
Verkehr mit – blieb zunehmend auf Distanz.
Die Nachfolgerin oder der Nachfolgervon
AndreasMeyer wird viel von dessen Arbeit
profitierenkönnen. Aber siewird sicherkein
zweiter AndreasMeyer sein.Der Betrieb
braucht mehrRuhe. EineKommunikation, die
nicht glattstreicht und schönredet. Eine Stra-
tegie, die auf dasTagesgeschäftfokussiert, auf
Schienen,Weichen,WC. Und die nicht mit
neuen Apps den Kampfgegen das SiliconVal-
ley aufnimmt.
Als AndreasMeyer anfing, war er der rich-
tige Mann am richtigen Ort, dreizehnJahre
später ist er es nicht mehr. Das hat er zum rich-
tigen Zeitpunkt selbstgemerkt.

33 000
Mitarbeitende
habendie SBB.
Diese sind in vier
Divisionen beschäf-
tigt: Personenver-
kehr, Cargo(Güter),
Immobilien und
Infrastruktur.

3 Mio.


Schweizer besitzen
entweder ein GA
oder ein Halbtax
und sind damit SBB-
Stammkunden.

793


Bahnhöfe undHalte-
stellen bedienendie
SBB imPersonen-
verkehr. An diesen
gibt es 232 Kioske.

SBBinZahlen

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