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dyllisch ist anders – und doch ist
das Idyll gleich hier. Eingeklemmt
zwischen Möbel Pfister und Quali
pet, angeschnitten von Tramlinien
und langgezogenen Wohnblocks und
direkt an der Hauptverkehrsachse
zwischen dem Genfer Flughafen und
dem Nuklearforschungszentrum Cern.
Hier liegt der Jardin botanique alpin
von Meyrin. 100 Jahre alt, denkmal
geschützt und ausgezeichnet – eine
grüne Oase, über die täglich 500 Flug
zeuge donnern.
«Wer hört die Strasse noch?», fragt
Olivier Chatelain unter dem dichten
Blätterdach. Im Jardin nennen sie den
Agronomen den Big Boss. Nur der Kies
knirscht, während der Chef der Grün
flächen von Meyrin über die verschlun
genen Pfade in den Garten hineinführt.
«Bäume und Büsche können fast vier
Dezibel Lärm schlucken. Wenn die star
tenden Flugzeuge nicht wären, könnte
man glatt vergessen, wo wir sind.»
Meyrin liegt wenige Tramminuten
ausserhalb von Genf. Als der Textil
händler Amable Gras 1915 hier, weitab
bebauter Gebiete, einen Steingarten mit
Bach und kleinem See anlegen liess,
war Meyrin noch ein Dorf. Dann kam der
Flughafen, das Cern, es wurde die erste
Satellitenstadt der Schweiz gebaut.
Heute zählt Meyrin 25 000 Einwohner,
und der Jardin ist umzingelt von der
sich ausdehnenden Stadt. Auf Google
Maps sind die drei Hektaren Grün fast
nicht auszumachen.
Big Boss Chatelain biegt zwischen
HimalajaZedern und europäischen
Eichen ab und geht zum südlichsten
Abschnitt des Gartens. Rund 2450
Pflanzenarten werden hier konserviert,
viele davon sind gefährdete Arten. Ab
und an leuchten die farbigen Schrift
züge der nahen Gewerbezone durch die
Blätter, und der Verkehrslärm nimmt
zu. An der vierspurigen Route de Meyrin
trennt nur ein schmiedeeiserner Zaun
die Natur vom Beton. «Hier musste ein
Teil des Gartens der neuen Tramlinie
weichen. Aber viel weiter wird die Stadt
hier nicht mehr wachsen. Eingekesselt
und geschützt, können wir uns voll und
ganz den Aufgaben eines botanischen
Gartens widmen.»
Hüter von alpiner Flora und Fauna. Als
Amable Gras in der ersten Hälfte des
- Jahrhunderts die Samen, die er von
seinen zahlreichen Reisen nach Meyrin
zurückbrachte, in heimischen Grund
und Boden pflanzte, lag er damit voll im
Trend. In ganz Europa entstanden
Steingärten als Folge der Alpen euphorie
der Zwischenkriegszeit. Bis heute sind
sie die wichtigsten Gralshüter alpiner
Flora und Fauna. Nach dem Tod von
Gras ging der Garten samt Villa und
Nah am Grünen gebaut: Blocks
säumen Meyrins Stadtgarten.
«Im Garten klären
sich die Gedanken.
Grünflächen sind
die Lösung für viele
Probleme.»
Olivier Chatelain, Agronom
Beobachter 19/2019 53